Hilfe auch aus Freilassing, Piding und Bayerisch Gmain
Blaulicht-Meer in Bad Reichenhall: Feuerwehren und Rettungskräfte bei Gefahrengut-Szenario gefordert
Überall Blaulicht, ein rauchender Lkw mit Gefahrengut, Einsatzkräfte mit Schutzanzügen und mehrere „Verletzte“, die aus den Rathäusern evakuiert wurden: Für Aufsehen sorgte ein Großaufgebot aus Feuerwehren und Rettungskräften des BRK am Mittwochabend in Bad Reichenhall. Kommandant Ralf Wichter klärt auf, warum dieser „Stresstest“ so wichtig war und wie sich die Einsatzkräfte bei der anspruchsvollen Übung geschlagen haben.
Bad Reichenhall - Ein scheinbar normaler Mittwochabend in der Innenstadt von Bad Reichenhall: Die Passanten schlendern durch die Fußgängerzone, erledigen ihre Einkäufe oder essen in einer der Gaststätten am Rathausplatz. Doch auf einmal geht alles ganz schnell: Sirenen sind zu hören und die ersten Rettungsfahrzeuge treffen ein. Wenige Minuten später herrscht ein großes Blaulicht-Durcheinander vor dem Alten und Neuen Rathaus und in der Salinenstraße.
Mit Absperrbändern wird der Bereich um einen rauchenden Lkw abgegrenzt. Ausrüstungen werden ausgepackt und Kommandos erteilt, während weitere Rettungskräfte eintreffen: Was wie ein Chaos auf Außenstehende wirkt, entpuppt sich als geplanter Übungseinsatz für die Feuerwehren aus Bad Reichenhall, Piding, Freilassing und Bayerisch Gmain. „Wir haben im Mai mit den Vorbereitungen angefangen“, schildert Ralf Wichter, erster Kommandant der Reichenhaller Feuerwehr, die Tage zuvor beim Daurregen mehrfach gefordert war.
Fiktiver Anruf bringt die Übung ins Rollen
Ein ausgewählter Personenkreis kennt die Details schon vorab, doch der Großteil der Rettungskräfte weiß nur, dass sie an diesem Abend eine Übung erwartet. Worum es geht und wohin sie ausrücken mussten, das erfahren sie erst gegen 18 Uhr. Denn dann bringt ein fiktiver Anruf bei der Leitstelle alles ins Rollen. Das Szenario sieht vor, dass ein Lkw mit einer vermeintlichen Gefahrengut-Lieferung Probleme bekommt. „Der Leitstelle wurde ein komischer Geruch am Rathausplatz gemeldet, weshalb zunächst ein ABC-Erkundungseinsatz alarmiert wurde“, so Wichter.
Vor diesem Anruf wurde der Lkw dementsprechend am Rathausbrunnen platziert und präpariert. Eine Nebelmaschine im Inneren des Fahrzeugs sowie Gefahrengut-Behälter auf Paletten, eine Puppe als „schwer verletzter Fahrer“, Rauchpatronen im Außenbereich: Der Unfall sollte, so gut es eben geht, realistisch dargestellt werden.
Die ersten Kräfte reichten nicht aus
Nach dem Anruf bei der Leitstelle rückten ein Einsatzleitwagen und Löschfahrzeug der Reichenhaller Florianijünger sowie ein Kreisbrandinspektor und -meister. „Der Einsatzleiter Hans Ertl hat dann festgestellt, dass die Kräfte vor Ort für diese Situation nicht ausreichen. Daher wurde die Alarmstufe auf ,ABC - Chemie Austritt im Freien‘ hochgestuft“, erklärt der Kommandant.
Das hatte schlussendlich zur Folge, dass die Feuerwehr aus der Kreisstadt mit den Löschzügen aus Marzoll, Karlstein und der Hauptwache sowie die Feuerwehren aus Piding, Freilassing und Bayerisch Gmain ausrückten. Zusätzlich kamen noch die Kreisbrandinspektion und das BRK. Insgesamt waren 170 Einsatzkräfte vor Ort. Allein die Feuerwehren waren mit 18 Fahrzeugen beteiligt. Und war auch Absicht: Es sollte die Zusammenarbeit mit anderen Feuerwehren, aber auch mit dem BRK trainiert werden.
Schwerpunkte selbst erarbeiten
Wichter bestätigt, dass es sich um ein sehr anspruchsvolles Übungsszenario für den Einsatzleiter gehandelt hat. Denn mehrere Mitglieder der Jugendabteilung und eine Mitarbeiterin des Rathauses, die unbedingt mithelfen wollte, hielten sich als „Verletzte“ - Schminke macht's möglich - bereit. Ertl wusste beim Eintreffen vor Ort noch gar nicht, dass er auch eine Evakuierung veranlassen muss. „Der Gefahrenstoff-Austritt, die Verletzten in den Rathäusern, dazu die großflächige Lage: Er musste die Einsatzschwerpunkte nach und nach herausfinden“, fasst der Kommandant zusammen.
Das Szenario wurde auch deshalb ausgewählt, weil solche Einsätze immer viele Kräfte fordern. Demnach mussten Ertl und seine Einsatzleitung vieles koordinieren. „Das war eine ganz andere Arbeit als bei Bränden oder Hilfeleistungen. Durch die Lage musste Ertl zum Beispiel eine Schutzkleidung anziehen. Und durch die viele beteiligten Wehren musste er auch darauf achten, dass alles etwas zu tun haben“, erläutert Wichter. Denn wenn die Einsatzkräfte bei der Übung keine Aufgaben bekommen, kann das natürlich auch für Frust sorgen. „Das war durchaus ein Stresstest für alle Beteiligten“, so Wichter.
Großes Publikum
Wie umfangreich der Test war, verdeutlicht der Kommandant beim Blick auf vergleichbare Übungen: „Bei den Gefahrengut-Einsätzen zählte das zu den höchsten Alarmierungsstichworten. Darüber kommen eigentlich nur Katastrophenlagen.“ Selbst bei den anderen Bereichen wie den reinen Hilfeleistungen oder Feuereinsätzen seien nur der Brand eines Hotels oder eines Krankenhauses vergleichbar mit dieser Übungsgröße.
Bei einem richtigen Einsatz wäre der Bereich bis zum Stachus abgesperrt worden.
Das Spektakel ließen sich natürlich auch die vielen Passanten nicht entgehen, die zum Teil zufällig da waren oder, weil sie ihren Angehörigen oder Freunden zuschauen wollten. Fußgänger, Kinder, gezückte Handys, überall Bewegung: Auch das forderte die Rettungskräfte. „Für diese Übung war der Publikumsverkehr gewollt und das muss dann auch von den Kräften ausgeblendet werden. Wir hatten die Übung auch angekündigt, daher wollten wir niemanden wegschicken. Bei einem richtigen Einsatz wäre der Bereich bis zum Stachus abgesperrt worden“, verdeutlicht Wichter.
Übungsbeobachter vorab eingeweiht
Und auch Kreisbrandinspektor Michael Brandl bestätigt, dass in einem solchen Übungsfall natürlich nicht das öffentliche Leben einfach so zum Stillstand gebracht werden kann. „Die Feuerwehr Bad Reichenhall wollte die Bevölkerung möglichst wenig beeinträchtigen. Man kann die Menschen auch nicht daran hindern, wenn sie über den Rathausplatz laufen müssen, oder extra die Geschäfte schließen lassen“, so Brandl, der als einer von vielen Übungsbeobachtern in das Szenario vorab eingeweiht war.
Natürlich gibt es bei einer solchen Großübung immer kleinere Stellschrauben, an denen man arbeiten kann.
Während seine Kollegen von der Kreisbrandinspektion die Führungsriege beim Einsatz genauer unter die Lupe nahmen und die Evakuierung der Rathäuser, kümmerte sich Brandl um ein Thema, dass zu einem Fachbereich gehört: den Gefahrenbereich und die Dekontamination. „Für einen Beobachter alleine wäre das zu viel gewesen. Mein Eindruck war, dass alles sehr professionell abgelaufen ist. Natürlich gibt es bei solchen Großübungen immer kleinere Stellschrauben, an denen man arbeiten kann.“ Doch im Großen und Ganzen sei der „Einsatz“ zufriedenstellend verlaufen.
So ähnlich sieht es auch Ralf Wichter. Er bestätigt ebenfalls kleinere Verbesserungsmöglichkeiten, doch sein Resümee fällt ebenfalls positiv aus. „Die Einsatzleitung hat das sehr gut gemacht. Die Erkundung vor Ort war gut, die Menschenrettung ging zügig und zielgerichtet über die Bühne. Vielleicht hätte man den Gefahrenbereich besser kennzeichnen können. Aber wenn wir keine Fehler machen, brauchen wir auch nicht üben.“ (ms)
