Nach Urteil gegen 38-Jährige am Landgericht Traunstein
Gnadenlos gegen Schockanrufer - Oberstaatsanwalt Vietze: „Unser harter Kurs spricht sich herum“
Immer wieder schaffen es Banden durch Schockanrufe ihre Opfer um hohe Summen zu bringen. Im Interview spricht der Traunsteiner Oberstaatsanwalt Rainer Vietze über das perfide Vorgehen der Betrüger, über hohe Strafen und das Traunsteiner Modell.
Traunstein – Mit der gemeinen Schockanruf-Masche hat eine Bande zahlreiche Opfer in Bayern und drei weiteren Bundesländern abgezockt. Das Landgericht Traunstein verurteilte deshalb eine vorbestrafte 38-Jährige aus Frankfurt wegen Betrugs zu zehn Jahren und sechs Monaten Haft. Hohe Strafen wie diese gibt es immer häufiger. Der Traunsteiner Oberstaatsanwalt Rainer Vietze (46) erklärt, was dahintersteckt.
Eine Schockanruferin ist im April zu mehr als 10 Jahren Haft verurteilt worden. Das wirkt sehr hoch.
Rainer Vietze: Die Frau war als Abholerin und Logistikerin an neun Fällen beteiligt, der Schaden lag mindestens bei 80.000 Euro. Der Chef eines Abholtrupps bekam eine etwas höhere Freiheitsstrafe, er war an zwölf Fällen beteiligt, 250.000 Euro Schaden. Aber ja, das sind im Vergleich zu anderen Urteilen für Betrugstaten sehr harte Strafen. Sie dienen auch der Abschreckung.
Es gibt Urteile wegen Totschlags, die milder sind.
Rainer Vietze: Schockanrufe sind eine besonders perfide und skrupellose Art von organisiertem Betrug. Dabei wird ausgenutzt, dass ältere Menschen alleine leben und überfordert sind, weil sie überrumpelt werden am Telefon. Innerhalb kürzester Zeit werden sie finanziell ruiniert. Ich kenne ein Opfer, einen über 80-jährigen Mann, der zehntausende Euro für eine neue Heizung gespart hat. Das letzte Ersparte für existenzielle Dinge – einfach weg.
Wie gehen die Täter vor?
Rainer Vietze: Sie versuchen, gezielt ältere Leute anzurufen, die vermutlich alleine leben. Dazu suchen sie ältere Namen aus dem Telefonbuch heraus oder Telefonnummern mit wenigen Ziffern. Die Anrufer geben sich als Polizeibeamte aus, behaupten, dass ein Angehöriger im Ausland einen schweren tödlichen Verkehrsunfall verursacht hat. Oft wird das Telefon weitergegeben an einen vermeintlichen Ermittlungsrichter oder Staatsanwalt. Dann heißt es, es gibt nur eine Möglichkeit, dass ihre Tochter oder ihr Sohn nicht in Haft kommt – wenn eine hohe Kaution bezahlt wird.
Warum fallen so viele darauf rein?
Rainer Vietze: Die Opfer sind natürlich sehr erschrocken, verwirrt, kennen sich nicht mehr aus. Aber wenn sie sagen, ich muss erst jemanden anrufen, sagen die Täter: Dann wird das Kind eingesperrt. Und dann kommt die Frage nach Geld und das Angebot, es gleich abzuholen. Die Abholer sind schon in der Nähe und innerhalb weniger Minuten vor Ort – sie nutzen die Schockstarre ihrer Opfer aus.
Nehmen die Fälle zu?
Rainer Vietze: Es gibt immer mehr Fälle, auch schon in den letzten zwei oder drei Jahren. Wichtig ist Aufklärung, aber auch, dass die Justiz den Strafrahmen ausschöpft.
Interessiert das die Täter?
Rainer Vietze: Das ist immer schwer zu messen. Aber bei einem unserer Fälle konnten wir Telefongespräche mithören. Die Betrüger sprachen davon, dass man diese Straftaten besser nicht im Süden begehen sollte, weil es ein erhebliches Nord-Süd-Gefälle gibt, was die Strafverfolgung angeht. Ein Beteiligter wollte sogar mehr Geld, eine Art Risikozuschlag dafür, dass der Betrug in Bayern stattfinden soll. Unser harter Kurs spricht sich herum.
Was machen Sie besser als andere Staatsanwaltschaften?
Rainer Vietze: Bei uns wurde 2018 das Traunsteiner Modell eingeführt, um grenzüberschreitende und organisierte Kriminalität besser bekämpfen zu können. Dabei handelt es sich um eine Spezialabteilung, für die drei zusätzliche Stellen für Staatsanwälte geschaffen wurden. Die Staatsanwälte in dieser Abteilung haben sehr gute internationale Kontakte – die sind wichtig, wenn man die Hintermänner ermitteln will.
Wie arbeiten Sie konkret?
Rainer Vietze: Normalerweise bestimmt sich die Zuständigkeit einer Staatsanwaltschaft nach dem Tatort. Aber bei den genannten Tätern wären mindestens acht unterschiedliche Staatsanwaltschaften zuständig gewesen. Deshalb ist es wichtig, dass eine Staatsanwaltschaft sämtliche Verfahren zusammenzieht und sich darum kümmert, einen genauen Einblick in die Bandenstruktur bekommt – dann können die Taten gesammelt angeklagt werden. Auch dadurch sind die Urteile so hoch. Das ist ein Erfolgsmodell, zahlreiche weitere Staatsanwaltschaften in Bayern haben es eingeführt.
Wie kommen Sie an die Täter ran?
Rainer Vietze: Es gibt fast nur die Möglichkeit, bei der Abholung zuzugreifen und die Täter festzunehmen. Wenn die Geschädigten zwischen Telefonat und Geldübergabe die Polizei verständigen, ergibt sich ein kurzes Zeitfenster und die Möglichkeit, einen oder mehrere Täter auf frischer Tat zu ertappen. Das ist auch eine Gefahr für die Opfer, wenn der Zugriff in deren Haus passiert – auch das schlägt sich in den hohen Urteilen nieder. Wenn ein Handy sichergestellt wird, können wir darüber Hintermänner ermitteln.
Sind es immer Banden?
Rainer Vietze: Überwiegend. Meist sitzen die Hintermänner im Ausland, telefonieren von dort aus und organisieren die Abholer. Im konkreten Fall war es ein polnischer Staatsangehöriger. Diese Strukturen gibt es vor allem in Polen und in der Türkei.
Bekommen die Opfer ihr Geld zurück?
Rainer Vietze: In Einzelfällen schon, insbesondere, wenn ein früher Zugriff gelingt. Wenn das Geld schon übergeben war, aber das Auto bekannt ist, dann kann nach dem Fahrzeug gefahndet werden. Da ist es schon häufiger gelungen, die Täter noch mit der Beute festzunehmen. Wenn mehr Zeit vergeht, ist es sehr schwer.
Vielleicht trösten wenigstens die hohen Strafen.
Rainer Vietze: Ja. Es sind auch bundesweit Strafen in ähnlicher Höhe zu erwarten – das Urteil gegen den Chef des Abholtrupps, über den wir gesprochen haben, ist vom Bundesgerichtshof bestätigt worden. Das hat eine Signalwirkung für weitere vergleichbare Verfahren.
Müsste es das Traunsteiner Modell überall geben?
Rainer Vietze: Erforderlich ist dafür eine ausreichende Personalausstattung. Nur dann kann eine solche Spezialabteilung effektiv gegen organisierte Kriminalität vorgehen. Die Staatsanwaltschaften arbeiten personell am Limit. Daher kommt es auch, dass manche eher froh sind, wenn sie Fälle aus diesem Deliktsbereich an uns abgeben können – das ist für unser Modell von Vorteil. Obwohl wir bayernweit die belastetste Behörde sind, wollen unsere Staatsanwälte die Verfahren unbedingt haben, um die Bandenmitglieder in einem einheitlichen Verfahren anzuklagen. So können wir abschreckende Strafen erreichen, um ältere Mitbürger vor solchen Kriminellen zu schützen.