Holocaust-Leugner oder einfach nur „wahrheitsliebend“?
Isoliert und nachts im Internet unterwegs: Nazi-Kommentare bringen Frührentner (52) vor Gericht
Ein 52-jähriger Frührentner steht erneut vor Gericht wegen Volksverhetzung. Seine Kommentare im Internet streifen nationalsozialistische Positionen und verharmlosen den Holocaust. Trotz vorheriger Verurteilungen bleibt er bei seiner Haltung.
Bad Reichenhall/Laufen – Dieser Mann liest viel. Nicht selten kommentiert der Frührentner das Gelesene im Internet. Auch wenn es fragwürdig ist. Problematisch wird es dann, wenn deren Inhalte nationalsozialistische Positionen streifen, obwohl diese nachweislich falsch sind. Volksverhetzung lautete die Anklage gegen den 52-jährigen Frührentner am Laufener Amtsgericht, wo er nicht zum ersten Mal auf der Anklagebank saß.
Dachaus Bürgermeister soll nach Kriegsende geschrieben haben, dass es im Konzentrationslager Dachau keine Gaskammern gegeben habe. Diesen Post in dem russischen Netzwerk VK hatte der Angeklagte aufgegriffen und behauptet, dass „sämtlichen Kommunen, vermutlich bis auf Ausschwitz“, dasselbe angegeben hätten. Er fragte: „Soll das etwa nicht stimmen?“ Warum sei man gezwungen, Gegenteiliges zu glauben? Erwiesenermaßen aber wurden nicht nur in Auschwitz Menschen vergast, sondern jedenfalls auch in den Konzentrationslagern Mauthausen, Sachsenhausen, Ravensbrück und Stutthof. Die Kommentare des Angeklagten waren somit geeignet, den millionenfachen Mord zu verharmlosen.
Volksverhetzungsprozess gegen Frührentner
Rechtsanwalt Jürgen Pirkenseer wollte im Handeln seines Mandanten kein faschistoides Motiv erkennen. „Wenn er vermeintliche Widersprüche entdeckt, versucht er es klarzustellen.“ – „Ungut“ sei allerdings das „sämtliche Kommunen“ gewesen, räumte der Verteidiger ein. Der Angeklagte lebe extrem isoliert und sei nachts im Internet aktiv. „Aber nur auf VK“, versicherte der 52-Jährige, alle anderen Plattformen habe er inzwischen verlassen. Wichtig war ihm ein zweiter Teil in seinem Kommentar, wonach auch der militärische Dienst der Alliierten in Wien 1948 Gaskammern weitgehend in Abrede gestellt haben soll.
„Heute weiß man es besser“, sagte Pirkenseer dazu, widersprach aber einem „Verbreiten“, denn tatsächlich blieben diese Inhalte in einer „kleinen Filterblase“, bei der nur zugelassene Leute Zugang hätten. Verantwortlich gewesen sei ein inzwischen verstorbener Hans O, mit rund 2400 Followern. „Sie haben es letztlich nicht in der Hand, ob es öffentlich wird und wie viele darauf zugreifen“, hielt Richter Josef Haiker dem Frührentner vor.
Juristische Argumentation und Freispruch
Der beteuerte, als Schüler bei der Pflege eines jüdischen Friedhofs geholfen und nie den Holocaust geleugnet zu haben. Allerdings lesen sich seine Einlassungen aus der Verhandlung im April 2022 ganz anders. Wegen Volksverhetzung und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener sowie der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen hatte er 180 Tagessätze zu je 15 Euro zu zahlen. Bei den angewendeten Paragrafen hatte der Kurstädter damals von „Abzocke“ gesprochen. Neben den Verfahrenskosten hatte man ihm damals 4000 Euro für ein 50-seitiges Gutachten auferlegt. Ein Verfahren bei der Generalsstaatsanwaltschaft München war eingestellt worden.
Dessen Wohnung in Bad Reichenhall hatte der Staatsschutz bei der Kripo Traunstein im Dezember 2023 durchsucht. „VK ist ein russisches Netzwerk mit rund 400 Millionen Nutzern“, schilderte die ermittelnde Kriminalhauptkommissarin im Gerichtssaal. Der Angeklagte habe sich kooperativ verhalten und Zugang gewährt. Man habe ihn aufgefordert, alles zu löschen, denn sonst bestünde die Straftat weiterhin fort, eine neuerliche Anzeige könnte folgen.
Staatsanwältin Monika Schäfer sah die Volksverhetzung bestätigt, denn der Kommentar sei durchaus so zu verstehen, als hätte es nur in Ausschwitz Gaskammern gegeben. In einem „Riesen-Netzwerk“ habe es der Angeklagte nicht in der Hand, wo seine Inhalte landen. Dafür brauche es keine Absicht, es genüge ein billigendes Inkaufnehmen. Nicht zuletzt sei er einschlägig vorbestraft und nur ein halbes Jahr später wieder rückfällig geworden. Schäfer beantragte sechs Monate auf Bewährung.
Ermittlungen und Anklage der Staatsanwaltschaft
Verteidiger Pirkenseer verwies auf ein Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt zu einer rechten Chat-Gruppe der Polizei, worin eine Verbreitung solcher Inhalte nicht gesehen worden war. Nicht zuletzt seien die Grenzen der Meinungsfreiheit weit gefasst, und als solche Voraussetzung einer Demokratie. In seinem „geschichtlichem Interesse“ sei dem Angeklagten lediglich ein Fehler passiert, doch für Dachau gebe es tatsächlich keine Nachweise einer Vergasung. Der Verteidiger beantragte Freispruch.
Der Kurstädter erklärte, er glaube an Inkarnation, also Wiedergeburt, weshalb er schon deshalb sein Karma keinesfalls verschlechtern wolle. Diverse gesundheitliche Beschwerden führt er auf „fremdinduzierten Einfluss“ zurück. Objektiv sah Richter Josef Haiker den Tatbestand erfüllt, subjektiv nicht. Insbesondere der zweite Teil im Kommentar des Angeklagten erlaube „Auslegungsvarianten“ und sowohl Bundesverfassungsgericht als auch Bundesgerichtshof hätten sich zur Meinungsfreiheit deutlich festgelegt. Den „einzigen Vorwurf“, den man dem Angeklagten machen könne, sei, dass er sich nicht um den aktuellen wissenschaftlichen Sachstand bemüht habe. „Passen sie künftig auf, was sie schreiben“, empfahl der Strafrichter und sprach den Mann frei. Die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse. (hhö)