Am Brenner droht ein Nadelöhr
Marode Monsterbrücke – Erbitterter Streit um Abriss der Luegbrücke am Brenner
Streit um Autobahn-Brücke am Brennerpass: Die 1,8 Kilometer lange Luegbrücke soll abgerissen und neu gebaut werden. Bauzeit fünf Jahre, Kosten 300 Millionen Euro. Das Problem: Die örtliche Gemeinde ist strikt dagegen. Wann kann gebaut werden?
Gries am Brenner – So sieht sie also von innen aus, diese Brücke, an der sich entscheidet, ob der Bayer künftig noch ins geliebte Südtirol fahren kann. Oder zum Gardasee, nach Verona, in die Toskana. Die Luegbrücke in Tirol ist Teil der Autobahn zum Brenner. Es ist, kurz vor dem Grenzübergang zwischen Österreich und Italien, ein wahres Betonmonster, das sich den Berg entlang schlängelt. 1800 Meter lang, von 48 Pfeilern getragen, mit vier Fahrspuren – und vier elementaren Schwachstellen. „Die Brücke ist eine Fehlkonstruktion“, sagt Thomas Gabl, Regionalleiter Erhaltungsmanagement für West-Österreich bei der Asfinag, dem österreichischen Autobahn-Betreiber. Sie muss weg – Abriss. Möglichst schnell, bevor alles kollabiert. Und der Urlauber nicht mehr ans Ziel kommt. Nur wie und wann, darüber tobt in Tirol ein erbitterter Streit.
Gabls Kollege Peter Augschöll steigt am Rand der Autobahn einen kleinen Abhang empor. Oben stauen sich die Laster zum Brenner. Irgendwo weiter unten ist ein Wohnmobil liegengeblieben, und weiter südlich gibt es Bauarbeiten an einem Tunnel. Irgendwas ist immer am Brenner, der ganz normale Wahnsinn. Augschöll sperrt eine Stahltür auf, knipst eine Taschenlampe an und geht ins Dunkle, ins Innere der Monsterbrücke.
Die Betonkonstruktion ist innen hohl. Dumpf hört man an den Stoßstellen die drüberfahrenden Autos. Dadam, dadam – so geht es in einem fort. An den Nahtstellen ist die Brücke innen geflickt, man sieht es am Beton. Ganz normal, beruhigt Augschöll. Die Brücke wurde von 1965 bis 1968 gebaut, da gibt es unweigerlich manchmal kleine Risse. Innen kann man die gesamten 1800 Meter durchlaufen und kontrollieren. Ohnehin steht die Brücke unter strenger Aufsicht.
Normalerweise werden Autobahnbrücken in Österreich alle sechs Jahre einer Hauptinspektion unterzogen und alle zwei Jahre einer Routinekontrolle. Für die Luegbrücke wurden die Intervalle halbiert. Die ganze Brücke unterliegt einem Dauermonitoring. Sogar Schallemissionen werden ausgewertet – falls einer der einbetonierten Spanndrähte, zwölf Millimeter dick, reißen sollte, würde man das an einem aufgezeichneten Knall bemerken.
Mit Spannung warten sie bei der Asfinag auf das Ergebnis der nächsten Hauptprüfung. Zwei Ingenieurbüros, externe Prüfer, wie die Asfinag betont, haben Daten ausgewertet. Im Sommer soll das Ergebnis vorliegen. Eventuell wird die Brücke dann auf eine Fahrspur je Richtung verengt. Es wäre eine Notmaßnahme.
Fugen zwischen den Tragwerken so konstruiert, dass sie nicht saniert werden können
Peter Augschöll erklärt es so: Die Luegbrücke besteht in Wahrheit aus fünf Einzelbauwerken, in Ingenieurssprache Tragwerke genannt. Vier davon sind Spannbetontragwerke, eins ist ein Stahltragwerk. An den vier Übergängen zwischen den Bauwerken gibt es „konstruktive Schwachpunkte“. Die Fugen wurden so konstruiert, dass sie nicht saniert werden können. Daher hält die Asfinag den Abbruch der gesamten Brücke für notwendig.
Für den Schwerverkehr ist die Brücke bereits gesperrt
Sie haben alles probiert, beteuern sie bei der Asfinag. Pfeiler wurden verstärkt, um Hangrutschen vorzubeugen. An den Nahtstellen der Brücken wurde Stahlfachwerk installiert. So eine Art Brücke unter der Brücke. „Diese Konstruktionen sind nur dafür da, den Kollaps der Luegbrücke zu verhindern“, sagt Augschöll. Im Extremfall würde sie jetzt nur 15 Zentimeter einsacken, jedoch nicht wie damals in Genua zusammenbrechen. Schwerverkehr über 44 Tonnen darf über die Brücke nicht mehr fahren. Fahrverbot. Aber mehr gehe nicht. „Wir können an der Brücke nichts mehr machen.“ Daher hält die Asfinag den Abbruch der gesamten Brücke für notwendig.
Es gibt viele Brücken auf dem Weg zum Brenner. Brücken aus Spannbeton, aus Stahl, Bogenbrücken, Verbundbrücken sowie Stahlbrückentragwerke. Es klingt so, als hätte sich jeder Ingenieur der Welt am Brenner ausprobieren dürfen, damals in den 1960er-Jahren, als die Autobahn A13 und ihre Fortführung auf italienischer Seite, die A22, entstanden. Die Europabrücke ist auch schon 60 Jahre alt. Ein Neubau steht für 2040 im Raum. Aber nur die Luegbrücke wird von der Asfinag als irreparabel eingestuft.
Bauzeit: Fünf Jahre – Geschätzte Kosten: 300 Millionen Euro
Der Plan geht so: Zunächst wird parallel zur bestehenden Brücke eine zweite, neue gebaut. Ihre Breite soll für zwei Fahrspuren und einen Pannenstreifen ausreichen. Doch wenn sie einmal steht, soll zunächst der gesamte Verkehr auf sie umgelenkt werden. Zwei verengte Fahrspuren Richtung Innsbruck, zwei verengte Fahrspuren Richtung Brenner. Dann wird die alte Brücke Stück für Stück abgerissen und an ihrer Stelle eine zweite Brücke ebenfalls mit zwei Fahrspuren und einem Pannenstreifen gebaut. Zwischen den beiden neuen Brücken wird es nur einen kleinen Spalt geben, vielleicht 25 Zentimeter, schätzt Augschöll. Baubeginn könnte im nächsten Jahr sein. Bauzeit: zweieinhalb Jahre je Brücke, insgesamt also fünf Jahre. Baukosten: rund 300 Millionen Euro.
Gries fordert Tunnel: Gemeinde ist gegen den Brücken-Neubau
Soweit der Plan. Aber es gibt eine kleine störrische Gemeinde, die mit den Plänen gar nicht einverstanden ist. Gries am Brenner hat gut 1200 Einwohner. Wer am Ortsrand steht, der sieht in der Ferne eine riesige Brücke – es ist nicht die Luegbrücke, sondern der Obernberger Talübergang, eine andere Riesenbrücke, deren Bauzustand noch gut ist. Die Luegbrücke liegt ein Stück nordwärts – außer Sichtweite, aber noch auf der Flur der Gemeinde Gries. Es gibt nur eine Handvoll Wohnhäuser und eine kleine Kapelle im Ortsteil Lueg, der der Brücke ihren Namen gibt. „Jeder Gemeindebürger zählt“, sagt indes Bürgermeister Karl Mühlsteiger. Er hat zum Brückenbau eine klare Haltung: „Mir sehn des nit so“, sagt er mit seinem Tiroler Dialekt. Ein Neubau komme nicht infrage.
Lärm, Feinstaub, Abgase: Laut Bürgermeister steigen Krebsfälle „massiv“
Das mit den Statikproblemen glaubt der Bürgermeister nicht so recht. Die Asfinag gebe ja viele Unterlagen nicht heraus. Ihm wäre ein Tunnel statt einer neuen Brücke lieber. Mühlsteiger glaubte sich schon am Ziel, als der Tiroler Regierungschef Günther Platter die Pläne unterstützte. Doch Platters Nachfolger Anton Mattle sei auf die Linie der Asfinag eingeschwenkt. Ein Tunnel, sagt der Rathauschef, sei genauso schnell gebaut wie die neue Brücke – auch wenn die Asfinag das vehement bestreitet. Mühlsteiger befürchtet, dass die Asfinag die Luegbrücke insgeheim verbreitern will. Der Pannenstreifen, sagt er, ließe sich ja prima als dritte Fahrspur verwenden. „Wer Straßen ausbaut“, sagt Mühlsteiger, „wird mehr Verkehr ernten.“ Und zählt dann auf: Lärm, Feinstaub, Abgase. Es gebe eine „massive“ Zunahme von Krebserkrankungen in seinem Ort. Es liege nahe, dass das an der Autobahn liege, „wir können es nur nicht beweisen“. Es gebe ja auch keine Luftmessstation. Noch ein Kritikpunkt.
Nach 55 Jahren: Aus 165.000 Lkw sind 2,3 Millionen geworden
Als die Luegbrücke 1968 gebaut wurde, zählte man 165 000 Lkw im Jahr. 2023 waren es an der Zählstelle am Brenner 2,3 Millionen. Hinzu kommen (Zählstelle Schönberg) 11,7 Millionen Autos. Dass es so nicht weitergehen kann, sagt auch Peter Augschöll. Letztlich müsse die Politik die Lkw endlich auf die Bahn zwingen. Im Moment geschieht das Gegenteil. Die „Rola“, die „rollende Landstraße“, auf der Lkw huckepack via Bahn Richtung Süden oder zurückfahren, dümpelt vor sich hin, ihr Anteil am gesamten Schwerverkehr lag 2022 bei nur fünf Prozent. Der Anteil der Schiene am gesamten Güterverkehr über den Brenner beträgt 25, maximal 27 Prozent. Ausbaufähig, gelinde gesagt. Die Bahnstrecke rauf zum Brenner ist nur zweigleisig, steil und kurvig.
Alternative Bahn? Brenner-Nordzulauf in Bayern ist in weiter Ferne
Dass der Brenner-Basistunnel nach seiner für 2032 geplanten Eröffnung den Lkw-Verkehr nennenswert auf die Schiene verlagern wird, glaubt Augschöll nicht. Im Moment deutet auch nicht viel darauf hin, im Gegenteil: Der Diesel ist in Österreich billig wie sonst nirgends, die Mautgebühr niedriger als etwa in der Schweiz. Italien will vor dem Europäischen Gerichtshof auch Einschränkungen durch Nachtfahrverbote kippen. Die bayerische Staatsregierung hofft, dass dann die lästigen Blockabfertigungen an der Grenze bei Kufstein fallen. Die Brenner-Zulaufstrecke für die Bahn im bayerischen Inntal ist indes in weiter Ferne.
So ist die Lage. Asfinag-Bauingenieur Peter Gabl steht jetzt auf dem Dorfplatz, es fängt an zu regnen. Die Wetterlage ist trübe, die Stimmung auch. Diese störrische Gemeinde. „Es gibt klare Fronten“, sagt Gabl. Die Brücke ist nicht zu retten, so sieht es die Asfinag. Also: Abbruch. Oder Totalsperrung. Und mal ein paar Jahre kein Gardasee für die Bayern.
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