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„Traktoren sind auf uns zugerollt“

Hass und Hetze als tägliche Begleiter: Sind Politiker auch in unserer Region Freiwild?

Der SPD-Europaabgeordnete Matthias Ecke hat sich mit einem Dank aus dem Krankenhaus gemeldet. „Ich bin überwältigt von eurer Anteilnahme und Solidarität“, schrieb Ecke am Montag in einem Beitrag auf der Plattform X.
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So sieht der SPD-Europaabgeordnete Matthias Ecke nach der brutalen Attacke aus.

Der sächsische SPD-Politiker Matthias Ecke ist am Freitag (3. Mai) bei einem brutalen Angriff schwer verletzt worden. Gewalt, Hass und Hetze erfahren auch viele Politiker in Bayern. Es trifft nicht nur Landespolitiker, sondern auch Bürgermeister kleiner Gemeinden.

München – Wahlkampf 2023, eine Veranstaltung der Grünen in Neu-Ulm. Spitzenkandidatin Katharina Schulze steht auf der Bühne, neben ihr Ludwig Hartmann. Plötzlich fliegt ein Stein, er verpasst beide knapp. Schnell überwältigen Polizisten den Täter, einen Mann aus der Reichsbürger- und Querdenkerszene. Wenn Schulze daran denkt, sagt sie: „Das war der traurige Höhepunkt im Wahlkampf.“

Politiker regelmäßig Opfer von Attacken

Die Attacke war gefährlich, doch Schulze bekommt Gewalt auch auf anderem Weg zu spüren. Wildfremde Menschen beleidigen sie in den Sozialen Netzwerken, schicken Mord- und Vergewaltigungsdrohungen. „Das tut weh“, sagt die 38-Jährige. Schulze steht als streitbare Fraktionsvorsitzende der Landtagsgrünen im Fokus von Hass-Botschaften. Aber auch Parteifreunde werden immer wieder Opfer von Attacken. „Regelmäßig“, so Schulze, zeige sie die Täter an. Der Steinewerfer aus Neu-Ulm muss sich wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung vor Gericht verantworten. Verfasser von strafrechtlich relevanten Beschimpfungen und Beleidigungen seien oft schwer zu ermitteln. Das Problem, das Schulze sieht: Von dem aggressiven Klima lassen sich viele Menschen abschrecken, sich in der Kommunalpolitik zu engagieren. „Das muss uns aufrütteln. Wir brauchen diese Leute.“

Dafür gibt es aktuelle Beispiele, etwa in Markt Schwaben im Kreis Ebersberg: Der parteilose Bürgermeister Michael Stolze legt sein Mandat Ende Mai nieder. Wegen einer Flüchtlingsunterkunft kam es zu Beleidigungen, Beschimpfungen, Hass. „Respekt und Anstand als Werte“ gingen verloren, sagte der 53-Jährige nach seiner Entscheidung.

Eine aktuelle Forsa-Umfrage zeigt: Fast die Hälfte der ehrenamtlichen Bürgermeister in Deutschland ist mit den Rahmenbedingungen zur Ausübung ihres Amtes unzufrieden. 6000 ehrenamtliche Bürgermeister wurden im Auftrag des Städte- und Gemeindebundes befragt. 40 Prozent gaben an, dass sie oder Personen aus ihrem Umfeld schon einmal wegen ihrer Tätigkeit beleidigt, bedroht oder tätlich angegriffen worden seien. Gut ein Viertel der Betroffenen habe darüber nachgedacht, sich aus der Politik zurückzuziehen. Auch das bayerische Innenministerium hat alarmierende Zahlen: Allein 2023 kam es zu 1354 Straftaten gegenüber Amts- und Mandatsträgern, davon waren 74 Gewaltdelikte. Zum Vergleich: Im Jahr 2020 waren es nur 835 Straftaten, davon 46 Gewaltdelikte.

Woher kommt das? Die Ursachen für die Verrohung der Sitten im politischen Dialog seien vielfältig, sagt Valentin Daur, Politologe am Geschwister-Scholl-Institut in München. Er beschäftigt sich mit politischer Meinungsbildung und sagt: „Undemokratisches Verhalten, etwa die Androhung oder Anwendung von Gewalt, findet unter anderem statt, wenn jemand der Überzeugung ist, dass die andere Seite nicht demokratisch agiert.“ Populismus und Polarisierung beförderten solche Überzeugungen. Diese hätten unter anderem ihre Ursache in gesellschaftlichen und politischen Veränderungen, durch die sich manche bedroht fühlen. „Dieses Gefühl finde oft Ausdruck in Hass-Botschaften und ähnlichen Attacken.“

Auch Bürger kleiner Orte werden bedroht

Die bekommen auch Bürgermeister kleiner Orte zu spüren. Andreas Kemmelmeyer ist parteifreier Bürgermeister von Unterföhring im Kreis München. „Es ist schon öfter passiert, dass mir Leute auf dem Radl bis daheim ans Garagentor gefolgt sind“, sagt er. Es ging um Bewerbungen für Wohnungen, um kaputte Straßen. „Dass man als Bürgermeister auch in der Freizeit angesprochen wird, ist klar. Aber da ziehe ich eine Grenze und verweise auf den offiziellen Kontaktweg.“ Nicht nur der Rathaus-Chef kriegt Wut ab. „Bauhof-Mitarbeiter und die Feuerwehr werden immer wieder massiv beleidigt.“ Beim Schnee-Chaos vergangenes Jahr etwa. „So ein Verhalten unter der Gürtellinie zeugt von null Toleranz und reiner Ich-Kultur. Bei der letzten Straßensperre ging das so weit, dass ein genervter Autofahrer einem Feuerwehrmann um ein Haar über den Fuß gefahren ist. Wo sind wir da?“

Das hat sich auch der Miesbacher Landrat Olaf von Löwis (CSU) gefragt, als er Anfang Februar eine Bürgerversammlung in Warngau verlassen wollte. Zuvor hatte er – von Security begleitet – über den Bau einer Unterkunft für 500 Asylbewerber informiert. Er wurde durch den Hinterausgang zu einem Streifenwagen gebracht. „Die Leute sind auf uns zugestürmt, Traktoren sind auf uns zugerollt“, sagte er danach.

Warngaus Bürgermeister Klaus Thurnhuber (Freie Wähler) hat seine Gemeinde seitdem oft nicht wiedererkannt. Eine dem Verfassungsschutz bekannte Gruppe hatte danach im Ort auch noch eine Art Rauchbombe gezündet. „Meine Mitarbeiter wollten nicht, dass ich das Rathaus ohne Schutz verlasse“, erzählt er. „Solche Kampfansagen sind sehr befremdlich. Da hat man schon mal Zweifel an dem, was man macht. Aber ich bin demokratisch gewählt und glaube an die Demokratie.“

„Wir müssen gegen die Hetzer zusammenhalten“

Katharina Schulze drängt darauf, dass Politiker einen ordentlichen Umgang mit dem Gegner pflegen. „Wir dürfen nicht ins selbe Horn stoßen“, sagt sie. „Wir müssen gegen die Hetzer zusammenhalten.“ In Eichenau im Kreis Fürstenfeldbruck ist das gerade passiert. Nachdem etliche Wahlplakate, vor allem der Grünen, zur Europawahl zerstört worden waren, verurteilte das Gremium die Schmierereien geschlossen. Parteiübergreifend.

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