Leistung und Luxus
Polestar 3 im Test: So schlägt sich das schwedisch-chinesische Elektro-SUV
Mit dem Polestar 3 erweitert der Hersteller sein Portfolio um ein elektrisches Full-Size-SUV – und nimmt Audi, BMW und Mercedes ins Visier. Wie schlägt sich der Stromer?
Es gibt Automarken, bei denen herrscht eine dermaßen große Modellvielfalt, dass man leicht den Überblick über die verschiedenen Varianten verliert. Bei Polestar konnte das bislang nicht passieren: Es gab den Polestar 1 – mit dem Plug-in-Hybrid ging die Marke 2019 an den Start, der ist als Neuwagen aber schon lange nicht mehr zu kaufen. Darauf folgte die rein elektrisch angetriebene Mittelklasse-Limousine Polestar 2. Und diese war seit 2020 auch das einzige Fahrzeug im Portfolio. Mit dem Polestar 3 ändert sich das: Die Marke hat nun auch ein mächtiges Full-Size-SUV im Programm. Auch der Polestar 3 ist nur mit E-Antrieb erhältlich – wir konnten den Stromer einige Stunden testen.
Was die Abmessungen angeht, so liegt der Polestar 3 mit einer Länge von 4,90 Metern in etwa auf Augenhöhe mit einem Mercedes EQE SUV (4.863 mm) und dem Audi Q8 e-tron (4.915 mm) – ein BMW iX ist mit 4.953 mm nur minimal länger. Insgesamt wirkt der Polestar 3 (Höhe: 1614 mm, Breite mit Spiegeln: 2.120 mm, Radstand: 2.985 mm) durch sein sportlich-minimalistisches Design jedoch weniger wuchtig als die deutschen Konkurrenten. Den Frontspoiler auf der Haube bemerkt man erst auf den zweiten Blick, dieser soll Luftverwirbelungen minimieren und so die Aerodynamik verbessern. Nach hinten fällt die Dachlinie leicht ab und vermittelt zumindest einen Hauch von Coupé. Denn ein „richtiges“ SUV-Coupé hat der Hersteller mit dem Polestar 4 ja auch schon im Programm.
An der Front des Polestar 3 erinnern erinnert die Lichtsignatur („Thor’s Hammer“) noch an Volvo-Zeiten. Einst war Polestar für den schwedischen Autobauer quasi das, was die M GmbH für BMW oder AMG für Mercedes ist: eine Art hauseigene Tuning-Abteilung. Längst ist Polestar aber eine eigenständige Automarke und Volvo hält mittlerweile nur noch 18 Prozent der Anteile, der Rest ist in der Hand des chinesischen Herstellers Geely. Gebaut wird der Polestar 3 in China (Chengdu) und mittlerweile auch in den USA (Ridgeville, South Carolina) – in Europa werden die Kunden wohl die in den USA produzierten Modelle bekommen, so umgeht man die drohenden Strafzölle für Elektroautos aus China.
Noch mehr spannende Auto-Themen finden Sie im Newsletter unseres Partners 24auto.de
Wer mit Schwulst und übermäßigem Zierrat tendenziell eher auf Kriegsfuß steht, wird sich im Polestar 3 definitiv wohlfühlen. Das reduzierte Interieur mit dem Fokus auf nachhaltige Materialien ist sehr ansprechend gestaltet. Nüchternheit und Minimalismus bestimmen den Innenraum, der sehr wertig und trotz allem nicht zu kühl wirkt. Die Schweden sind so überzeugt von ihrem Öko-Konzept, dass sie neben der genauen Materialbezeichnung auch noch groß den CO₂-Fußabdruck auf die Sitze drucken, etwa für das biobasierte MicroTech, eine Art vegane Lederalternative. Die Beschriftung auf den Sitzen ist nicht zu übersehen – vielleicht etwas übertrieben. Wir hatten zunächst vermutet, der Aufdruck findet sich nur in Präsentationsfahrzeugen, doch er ist tatsächlich Standard. Davon abgesehen ist es aber die Unaufgeregtheit, die den Charme dieses Autos ausmacht – plus die skandinavische Note.
Für eine Testfahrt stand uns ausschließlich die stärkste Version zur Verfügung: der allradgetriebene Polestar 3 Long Range Dual Motor mit Performance-Paket. Diese Variante leistet 380 kW (517 PS), das maximale Drehmoment liegt bei 910 Nm. Ohne das Performance-Paket leistet das Elektro-SUV aber immer noch stolze 360 kW (489 PS), die Single-Motor-Version, bei der ausschließlich die Hinterachse angetrieben wird, bringt es auf 220 kW (299 PS). Bei jeder der genannten Varianten ist eine 111-kWh-Batterie an Bord, die laut Hersteller für Reichweiten (WLTP) von 560 Kilometer (Dual Motor mit Performance-Paket), 631 Kilometer (Dual Motor) und 650 Kilometer (Single Motor) ausreichen soll.
Die 400-Volt-Lithium-Ionen-Batterie des Polestar 3 lässt sich am Gleichstrom-Schnellader mit bis zu 250 kW betanken. Damit soll der Stromer von zehn auf 80 Prozent in 30 Minuten geladen sein. Am Wechselstromlader sind maximal 11 kW möglich, von 0 auf 100 Prozent dauert das Laden laut Hersteller auf diese Weise 11 Stunden – beim Polestar 4 wird dagegen per Upgrade auch das Laden mit 22 kW angeboten.
Ein Federgewicht ist der Polestar 3 nicht gerade – ein Blick in den Fahrzeugschein unseres Testwagens zeigt: Das Leergewicht liegt bei 2.660 Kilogramm, das Maximalgewicht bei 3.050 Kilogramm. Dennoch: Die gewaltige Leistung hat mit dem gewichtigen SUV keine Probleme. Beim Druck aufs Fahrpedal presst es einen ordentlich in den Sitz. Der Sprint auf 100 km/h gelingt in 4,7 Sekunden. In schnell gefahrenen Kurven merkt man dann aber doch aller Technik-Tricks, wie schwer er wirklich ist. Das Torque-Vectoring, das das Drehmoment je nach Bedarf auf die einzelnen Räder verteilen kann, hilft aber, sicher in der Spur zu bleiben. Bei 210 km/h ist der Polestar 3 abgeregelt. Als Anhängelast sind 2,2 Tonnen angegeben (Single Motor: 1,5 Tonnen)
Den Verbrauch für die von uns gefahrene Version gibt Polestar mit 22,1 bis 23 kWh auf 100 km an. Wir lagen nach einer rund dreistündigen Testfahrt, bergauf und bergab über Landstraßen durchs bayerische Voralpenland, mit 21,3 kW/100 km darunter – allerdings waren wir aufgrund vieler Geschwindigkeitsbeschränkungen über weite Strecken nicht mit mehr als 70 km/h unterwegs. Auch längere Vollgas-Passagen auf der Autobahn waren wegen des starken Verkehrs nicht möglich – dies hätte den Verbrauch aber sicherlich deutlich nach oben getrieben. Um Strom zu sparen, kann die Dual-Motor-Variante den Heckmotor auf langsamen Passagen abkoppeln – dann wird der Polestar 3 vorübergehend zum Fronttriebler. Die Stärke der Rekuperation (wie viel Strom E-Autos damit zurückgewinnen können, hat der ADAC kürzlich getestet) lässt sich einstellen: „stark“, „niedrig“ und „aus“. Das geht jedoch nicht per Lenkrad-Schaltwippen, sondern per Touchscreen. Aber im Alltag wird man vermutlich ohnehin einmal seine bevorzugte Einstellung finden – und es dann dabei belassen.
Die bei der Dual-Motor-Variante serienmäßige aktive Luftfederung macht einen richtig guten Job und lässt uns in dem SUV nicht zu hart, aber auch nicht zu weich, dahingleiten. Für etwas unwegsameres Gelände kann der Polestar 3 auf Knopfdruck um bis zu 60 Millimeter angehoben werden, dennoch wird er dadurch natürlich kein waschechter Offroader. Wie alle Neuwagen hat auch der Polestar 3 einen Geschwindigkeitswarner an Bord, der schon ab minimaler Tempoüberschreitung meckert. Das Geräusch hört sich ein wenig an wie eine tickende Zeitbombe. Zwar lässt sich das Ganze relativ einfach abschalten, doch schon beim nächsten Start ist die Funktion erneut aktiviert – ist leider EU-Vorschrift.
Nahezu alles wird im Polestar über den hochformatigen 14,5-Zoll-Touchscreen geregelt. Auch die Einstellung der Außenspiegel und des Lenkrads wird hier zunächst vorausgewählt und dann per Lenkradtasten durchgeführt. Klingt umständlich – aber das muss man als Besitzer in aller Regel nur einmal machen. Der Polestar 3 speichert die vorgenommenen Einstellungen und fährt dann Sitz und Lenkrad nach dem Einsteigen in die entsprechende Position. Etwas kurios: Sogar das Handschuhfach wird per Touchscreen-Button geöffnet. Auf Knopfdruck plumpst die Klappe vor dem Beifahrer herunter, die vielleicht etwas solider wirken könnte.
Als Betriebssystem setzt Polestar auf Android Automotive – und das bedeutet unter anderem, dass standardmäßig per Google Maps navigiert wird. Alles andere als eine schlechte Entscheidung: Das Google-Navi ist kaum zu toppen, und es wird nicht nur die Ankunftszeit, sondern auch der Batteriestand bei der Ankunft errechnet. Die Karte kann man sich aber nicht nur im Mitteldisplay anzeigen lassen, sondern auch auf Wunsch in dem – vielleicht etwas klein geratenen – Fahrer-Display hinter dem Lenkrad anzeigen lassen. Auch ein sogenanntes Pilot-System ist gegen Aufpreis erhältlich: Ein Level-2-Fahrassistent, der beim Polestar 3 kurzzeitig das Lenken übernehmen kann, wenn es Verkehr und Straßenverhältnisse zulassen – und auch den Abstand zum Vordermann hält. Das klappte im Test richtig gut. Natürlich muss man den Computer permanent überwachen. Nimmt man die Hände zu lange vom Lenkrad, warnt das Auto, dass man das Volant wieder anfassen soll.
Die Sitze sind sehr bequem – nicht nur für Fahrer und Beifahrer: Auch in der zweiten Reihe des Polestar 3 fährt man gerne mit. Die Beinfreiheit ist ausreichend und auch am Kopf ist bis zu 1,80 Meter Körpergröße noch genügend Luft. Weil das SUV aber nicht übermäßig hoch ist, wird die Kopffreiheit durch eine sehr niedrige Sitzposition erkauft, dazu stehen die Füße relativ hoch, weil ja die Batterie im Unterboden verbaut ist. Hier herrscht also ein Hauch von Strand-Liegestuhl-Feeling. Einen Mitteltunnel gibt es (im Gegensatz zum Polestar 2) nicht, weshalb auch der häufig ungeliebte Platz in der Mitte zumindest auf kurzen Strecken durchaus zumutbar ist. Für das üppige Raumgefühl im Polestar 3 sorgt vor allem auch das serienmäßige, riesige Panoramadach – das sich aber weder öffnen noch abdecken lässt. Ein wahrer Lademeister ist der China-Schwede übrigens nicht: 484 Liter passen in den Kofferraum, 1.411 Liter bei umgeklappter Rücksitzbank. Im BMW iX sind es 500/1.750 Liter, im Mercedes EQE SUV 520/1.650 Liter. Neben dem Kofferraum bietet der Polestar 3 auch noch einen Frunk (kleiner Kofferraum vorne unter der Haube) mit rund 30 Litern Fassungsvermögen – zumindest das Ladekabel findet hier Platz und vielleicht noch ein paar andere Kleinigkeiten.
Top 10: Die zehn beliebtesten Automarken in Deutschland im Jahr 2023




Die Preise für den Polestar 3 starten bei 78.590 Euro (Long Range Single Motor). Die von uns gefahrene Top-Version mit 380 kW beginnt bei 92.190 Euro. Allerdings ist zu diesem Preis schon fast alles an Bord. Für einen Aufschlag von 6.000 Euro gibt es noch das Plus-Paket, das unter anderem eine Bowers & Wilkins Soundanlage (die unter anderem in die Kopfstützen integrierte Lautsprecher bietet), Soft-Close-Funktion für die Türen, ein Head-up-Display, beheizbare Rücksitze und beheizbares Lenkrad und eine elektrisch verstellbare Lenksäule beinhaltet. Das Plus-Paket gibt es aber nicht ohne das Pilot-Paket (2.800 Euro), womit wir dann doch die 100.000-Euro-Schallmauer durchbrechen. Dann aber ist das Fahrzeug nahezu voll ausgestattet. Zum Vergleich: Ein BMW iX xDrive50 (385 kW) startet bei 107.900 Euro. Ein Mercedes-AMG EQE 43 4MATIC (350 kW) bei rund 104.800 Euro, ein Audi SQ8 e-tron (370 kW) bei 99.150 Euro.
Keine Frage: Ein Polestar 3 ist nichts für Durchschnittsverdiener. Und gerade in dieser Preisklasse greifen Kunden nicht nur in Deutschland gerne zu den „traditionellen“ Premiummarken. Dennoch lohnt es sich den Polestar 3 bei der Neuwagensuche mal anzuschauen – er ist zwar ähnlich groß und mächtig wie die genannten Konkurrenten, wirkt aufgrund seines Designs aber nicht so. Und er ist im Vergleich zur Konkurrenz relativ günstig. Wer sich Sorgen um Service und Reparaturen macht: Mit einem Polestar kann man das Volvo-Partner-Netzwerk nutzen. Die Marke will ihr Portfolio weiter ausbauen: 2025 soll mit dem Polestar 5 ein elektrischer Grand Tourer auf den Markt kommen, für 2026 ist mit dem Polestar 6 ein Roadster geplant.
Rubriklistenbild: © Polestar





