Urteil des Verfassungsgerichts
Wohnungsbau auf historischem Tiefstand – Förderungen stehen auf der Kippe
Die nächste Hiobsbotschaft aus der Baubranche: Die Baugenehmigungen sind auch im September massiv eingebrochen. Die Finanzierung von Förderungen steht dabei auf der Kippe.
Berlin – Die Zahl der Baugenehmigungen für neue Wohnungen ist im September auf den tiefsten Stand seit über zehn Jahren gefallen. Sie sank um 29,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat auf 19.300, wie das Statistische Bundesamt am Freitag (17. November) mitteilte. Noch weniger Bauzusagen in einem Monat wurden zuletzt im Januar 2013 erteilt.
Von Januar bis September gab es ein Minus von 28,3 Prozent auf 195.100 Wohnungen. „Zum Rückgang der Bauvorhaben dürften weiterhin vor allem hohe Baukosten und schlechte Finanzierungsbedingungen beigetragen haben“, so die Statistiker. Die Bundesregierung hat sich ursprünglich das Ziel von jährlich 400.000 Wohnungen gesetzt, um dem wachsenden Bedarf vor allem in den Großstädten zu begegnen.
Bau-Krise bleibt: 700.000 Wohnungen fehlen
Ein rasches Ende der aktuellen Baumisere erwarten Experten nicht. „Viele Bauprojekte liegen mit höheren Zinsen und Materialkosten auf Eis – mit sichtbaren Folgen für Projektentwickler, Bauunternehmen und vor allem den Wohnungsmarkt“, sagte der CEO des Kreditversicherers Allianz Trade in Deutschland, Österreich und der Schweiz, Milo Bogaerts. 2023 fehlten schätzungsweise 700.000 Wohnungen. „Bezahlbarer Wohnraum ist schon seit Jahren knapp, die aktuelle Situation dürfte dies noch weiter verschärfen.“
Auch der Hinweis auf die hohe Zahl von etwa 100.000 genehmigten, aber noch nicht begonnenen Wohnungsbauten helfe nicht weiter, so der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie. „Unsere Wohnungsbaufirmen berichten unisono von Gesprächen mit Investoren, die sagen, die gestiegenen Baukosten nicht mit den dann notwendigen Mieten auf dem Wohnungsmarkt refinanzieren zu können“, sagte der Hauptgeschäftsführer Tim-Oliver Müller.
„Gerade wegen dieser verheerenden Situation und dem Erliegen des Wohnungsbaus benötigen wir rasch eine weitreichende Deregulierung in der Bau- und Immobilienwirtschaft und verlässliche Entscheidungen der Politik. Nur darüber reden und nicht zeitnah zu entscheiden, genügt eben nicht“, sagt auch der Präsident des hessischen Baugewerbes, Thomas Reimann gegenüber IPPEN.MEDIA.
Zinsen sollen noch bis Ende 2024 hoch bleiben
Bei Einfamilienhäusern gab es in den ersten neun Monaten einen Rückgang der Baugenehmigungen um 38,4 Prozent auf 37.900. Bei den Zweifamilienhäusern wurde sogar ein Minus von 51,9 Prozent auf 11.100 registriert. Auch bei der Gebäudeart mit den insgesamt meisten Wohnungen, den Mehrfamilienhäusern, verringerte sich die Zahl der Genehmigungen deutlich – und zwar um 27,2 Prozent auf 105.200. Nur bei Wohnheimen gab es einen Zuwachs von 8,4 Prozent auf 6200.
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat im Kampf gegen die Inflation die Zinsen auf das höchste Niveau seit dem Start der Währungsunion angehoben. Der Leitzins liegt aktuell bei 4,50 Prozent. Erst für Ende kommenden Jahres rechnen viele Ökonomen mit sinkenden Leitzinsen, wodurch dann auch die Baufinanzierung wieder günstiger werden dürfte.
Urteil des Bundesverfassungsgerichts macht Förderungen jetzt „unmöglich“
Aus Sicht des Baupräsidenten in Hessen, Thomas Reimann, sind es aber nicht allein die Zinsen, die die Bau-Krise aktuell so anheizen. „Viel stärker fällt das fehlende Vertrauen einer verlässlichen Politik ins Gewicht.“
Ebenfalls von Bedeutung für die Baubranche ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klima- und Transformationsfonds, das die Haushaltspläne der Ampel völlig auseinandergenommen hat. Reimann sagt im Gespräch mit IPPEN.MEDIA, dass das Urteil nicht dazu führen dürfe, „dass noch mehr Unsicherheit in die Märkte einkehrt. Es muss, mehr denn je, pragmatisch dereguliert und günstiger gebaut werden. Wir haben eine berechtige Chance, 2024 wieder zu mehr Neubau in der Wohnungswirtschaft zurückzukehren. Diese Chance muss genutzt werden!“
Förderungen im Wohnungsbau sind durch das Urteil seiner Meinung nach „nahezu unmöglich“ geworden. Das sehen auch andere in der Branche so. „Wie bezahlbarer und klimaschonender Wohnungsbau in Deutschland unter den ohnehin schon historisch schlechten Bedingungen jetzt überhaupt noch ermöglicht werden soll, steht seit heute in den Sternen“, sagte der Präsident des GdW-Spitzenverbandes der Wohnungswirtschaft, Axel Gedaschko.
Mit Material von Reuters und dpa
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