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Gastbeitrag Prof. Michael Hüther

Bedrohte deutsche Wirtschaft: Transformation mit angezogener Handbremse

Michael Hüther
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Prof. Michael Hüther: Der promovierte Wirtschaftswissenschaftler (Jahrgang 1962) ist seit 2004 Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln.

Deutschlands Wirtschaft befindet sich in turbulentem Fahrwasser. Prof. Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln analysiert die bereits längerfristig bestehende Rezession der Bundesrepublik. Der Experte erklärt, warum es in Sachen Wachstum hapert - und welche Hintergründe die Probleme hierzulande haben.

Köln - In Deutschland bekommen Gesetze seit geraumer Zeit hübsche Namen: Wir erinnern uns an das Gute-Kita-Gesetz oder die Respektrente. In dieser Woche durfte sich Deutschland über ein neues Gesetz freuen, das das Bundeskabinett auf seiner Klausurtagung auf Schloss Meseberg beschlossen hat. Es soll Unternehmen steuerlich entlasten und Investitionen in den Klimaschutz mit einer Prämie fördern: das Wachstumschancengesetz. Der Name impliziert, dass die Politik nun den Weg für jegliches Wachstum geebnet hat: Jede Unternehmerin und jeder Unternehmer hat es nun selbst in der Hand, die Chancen sind da.

Deutschland steckt seit 2018 in einer industriellen Rezession

Doch weit gefehlt: Seit 2018 stecken wir in einer industriellen Rezession. Die Wirtschaft wächst viel zu langsam, das Land bleibt hinter seinen Erwartungen zurück. Das Wirtschaftswachstum dümpelt nur noch vor sich hin, ganz anders als in den Jahren vor Corona. Gleichzeitig werden die Herausforderungen größer, insbesondere die ökologische Transformation macht ein konsequentes Handeln notwendig. Noch immer denken einige, dass Klimaschutz nur ohne Wachstum geht, doch die Realität lehrt uns derzeit das Gegenteil. Investitionen kommen zum Erliegen, auch solche, die dem Klimaschutz zugutekommen. Ohne starkes Wachstum und Wertschöpfung wird es keinen Klimaschutz geben.

Stimme der Ökonomen

Klimawandel, Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg: Wohl selten zuvor war das Interesse an Wirtschaft so groß wie jetzt. Das gilt für aktuelle Nachrichten, aber auch für ganz grundsätzliche Fragen: Wie passen die milliarden-schweren Corona-Hilfen und die Schuldenbremse zusammen? Was können wir gegen die Klimakrise tun, ohne unsere Wettbewerbsfähigkeit aufs Spiel zu setzen? Wie sichern wir unsere Rente? Und wie erwirtschaften wir den Wohlstand von morgen?

In unserer neuen Reihe Stimme der Ökonomen liefern Deutschlands führende Wirtschaftswissenschaftler in Gastbeiträgen Einschätzungen, Einblicke und Studien-Ergebnisse zu den wichtigsten Themen der Wirtschaft – tiefgründig, kompetent und meinungsstark.

Das Wachstumschancengesetz enthält wichtige Änderungen: Unternehmen können Verluste nun umfangreicher steuerlich absetzen, Gebäude können zeitlich begrenzt degressiv abgeschrieben werden. Auch die Investitionsprämie ist zu begrüßen. Doch wenn das erklärte Ziel Wachstum lautet, ist das neue Gesetz kein großer Wurf. Wer sichtbare Verbesserungen will, muss an die zentralen Wachstumshemmnisse ran. Und die bestehen nicht erst seit gestern, sondern treiben ihr Unwesen seit vielen Jahren.

Deutsche Wirtschaft benötigt eine Wachstumsagenda - und mehr Entlastung

Die letzte, große Steuerreform für Unternehmen liegt mittlerweile fast 15 Jahre zurück. Seitdem stagnieren die Unternehmenssteuer auf hohem Niveau, während andere Staaten mit der Zeit gehen. Die Folge: Im vergangenen Jahr lag die effektive Steuerbelastung für deutsche Unternehmen bei knapp 29 Prozent – das sind rund zehn Prozentpunkte mehr als im Schnitt der EU. Dafür bekommen die Unternehmen hierzulande weniger als anderawo: kaputte Straßen, schlechtes Breitbandnetz, überfüllte Schienen und eine ineffiziente Verwaltung. Die einstigen Vorteile, etwa das gute Fachkräfteangebot, schwinden zunehmend. Es bräuchte eine echte Wachstumsagenda, angefangen bei konkurrenzfähigen Strompreisen, über die Abschaffung des Solidaritätszuschlags, die immerhin Entlastungen von sieben Milliarden Euro für Unternehmen bringen würde.

Wirtschaft benötigt bessere Forschungsförderung - und Raum für Investitionen

Aber auch eine bessere steuerliche Forschungsförderung und ein großzügiger steuerlicher Verlustabzug würden mehr Raum für Zukunftsinvestitionen schaffen. Das Problem: die Schuldenbremse. Sie entpuppt sich zunehmend als Wachstumsbremse, im Bundeshaushalt ist daher kein Platz für solche Projekte. Indirekt führt sie so zum Koalitionsstreit, es muss gespart werden. Das führte vor wenigen Wochen dazu, dass Ministerin Paus das Wachstumschancengesetz blockiert hat.

Ein maximal schädliches Verhalten, dass die Hoffnung auf einen schwungvollen Start nach der Sommerpause willkürlich zunichte gemacht hat. Dabei sollte die Regierung die psychologische Wirkung solcher Streitereien nicht unterschätzen. Denn mit zerstörtem Vertrauen und dahinsiechender Zuversicht wird Transformation zum Wunschdenken.

Zur Person: Prof. Michael Hüther (Jahrgang 1962) ist promovierter Wirtschaftswissenschaftler und seit 2004 Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln.

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