Verbände kritisieren Regulierung
Rüstungsindustrie: Verbände schicken Warnliste an die EU – „alles Nötige liefern“
Die Rüstungs-Lobbyverbände BDLI und BDSV kritisieren die EU-Klimavorgaben – und fordern eine Lockerung für die Rüstungsindustrie. Ansonsten könne man nicht liefern, was nötig sei.
Berlin – 500 Milliarden Euro vom Bund, 900 Milliarden Euro auf EU-Ebene – die Planungen zur Stärkung der europäischen Verteidigungsfähigkeit laufen auf Hochtouren. Wenngleich beide Pakete noch nicht final bewilligt sind. Dennoch hat sich Wind angesichts der ungelösten Sicherheitslage im Ukraine-Krieg, der unsicheren transatlantischen Partnerschaft mit den USA unter Donald Trump sowie weiterer geopolitischer Brandherde, etwa im Nahen Osten, gedreht: Politik und Wirtschaft drängen auf eine historische Zeitenwende – mit massiven Investitionen. Und in der Rüstungsindustrie herrscht längst Goldgräberstimmung.
Lobbyverband kritisiert Klimaschutz-Vorgaben für Rüstungsindustrie – Unternehmen in Goldgräberstimmung
Kürzlich präsentierte der deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall einen neuen Rekorderlös von 9,76 Milliarden Euro. Konzernchef Armin Papperger prophezeite „Wachstumsperspektiven, wie wir sie noch nie erlebt haben“. Mit dem Boom geht auch ein neues Selbstverständnis einher – sogar bei sensiblen Themen wie dem Klimaschutz. Aus der Position der Stärke heraus wagte zuletzt auch der Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI) einen direkten Vorstoß – und kritisierte offen die Nachhaltigkeitsvorgaben der EU: „Diese Auflagen halten unsere Unternehmen davon ab, das zu tun, was jetzt eigentlich gebraucht wird: Europas Verteidigungsfähigkeit herzustellen“, erklärte die Hauptgeschäftsführerin Marie-Christine von Hahn.
Die Attacke kam nicht von ungefähr. Zuvor hatte sich Hahn mit dem EU-Verteidigungskommissar Andrius Kubilius getroffen, der die militärische Verteidigungsfähigkeit der EU seit seinem Amtsantritt im Dezember vorantreibt. Als Zwölfjähriger hatte Kubilius selbst den Einmarsch der Russen in Litauen miterlebt, wie er gegenüber der Tagesschau erklärte. Das habe ihn geprägt.
BDLI und BDSV fordern in Katalog Lockerung von EU-Taxonomie, Industrie-Emissionen und Bürokratie
Beschränkten sich die ersten Handlungsempfehlungen des Verbands erst noch auf langfristige Planungssicherheit, Stärkung des militärischen Raumfahrtprogramms der EU sowie Abbau von Bürokratie und Förderung von Dual-Use-Technologien, tauchte schon bald ein konkreter Katalog mit 22 Forderungen auf. Unterzeichnet haben ihn neben dem BDLI auch der BDSV (Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie). Ihr Ziel: Regulatorische Hürden auf EU-Ebene rund um den Klimaschutz abbauen, damit die heimische Industrie „alles Nötige liefern“ könne, wie Hahn gegenüber der WirtschaftsWoche erklärte. Die Forderungen im Überblick:
- Industrie-Emissionen: Die ambitionierten EU-Klimaziele sind nur schwer mit den Produktionsprozessen für Stahl, Verbundwerkstoffe oder Elektronikbauteile vereinbar. Daher gelten für diese energieintensiven Branchen besonders strenge Emissionsgrenzen. Die Folge: Die Herstellung verlangsamt sich und wird teurer, da die Unternehmen für viele Prozesse neue Genehmigungen oder technische Anpassungen vornehmen müssen.
- Bürokratie-Abbau: Die EU schreibt Unternehmen aus sicherheitskritischen und militärischen Bereichen umfassende Dokumentationspflichten vor. Dazu zählen etwa Nachweise zur Herkunft von Materialien, Sicherheitszertifikate und Umweltstandards. Die Bürokratie verzögert ebenfalls die Produktion – und hemmt aufgrund des Aufwandes gleichzeitig die technologischen Innovationen, so der Vorwurf aus der Branche.
- EU-Taxonomie: Die Rüstungsindustrie gilt nicht als „nachhaltig“ – auch nicht unter der weiter gefassten EU-Taxonomie. Diese klassifiziert nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten. Das „grüne“ Label soll Investoren anlocken und klimafreundliche Produkte fördern. Aus Imagegründen zögern somit viele Banken und Investoren sowie auch staatliche Institutionen, ihr Geld in die Branche zu investieren. Dabei ist die Taxonomie umstritten, da auch Erdgas und Atomkraftwerke unter bestimmten Bedingungen als nachhaltig gelabelt wurden. Der BDLI kritisiert zudem die die Vorschriften zur Kreislaufwirtschaft, Produktlanglebigkeit und umweltfreundlichen Design. Waffen- und Verteidigungssysteme können diese spezifischen Anforderungen nicht einhalten – Anpassungen wären teuer, umständlich und nicht wirklich zweckdienlich, argumentiert die Branche.
- Lieferketten: Die EU-Vorschrift zu entwaldungsfreien Lieferketten betrifft hauptsächlich Rohstoffe wie Holz, Palmöl oder Kautschuk. Somit sind Rüstungsunternehmen nicht direkt betroffen. Doch die Branche argumentiert, dass ihre Lieferketten für militärische Komponenten komplex und global seien – und zudem aus vielen Subzulieferern bestehen. Gerade in Druckphasen, wie seit dem Ausbruch des Ukrainekriegs, sind derartige Vorschriften in der Branche unbeliebt. Die zusätzlichen Nachweispflichten führen zu Engpässen und Verzögerungen, heißt es dort.
Sicherheitsbedenken bei amerikanischen F-35-Bombern? Rüstungslobby moniert Abhängigkeit von USA
Zusammengenommen seien die EU-Regeln zur Nachhaltigkeit nicht mehr zeitgemäß – zumindest aus Sicht der Rüstungsproduzenten. Die Bürokratie und Überregulierung führe vielmehr dazu, dass die europäische Verteidigungsfähigkeit hinterherhinke. Heißt übersetzt: Die Abhängigkeit zu den USA – und damit einem unberechenbaren Faktor Trump – lassen sich unter diesen Rahmenbedingungen nicht lösen. Wasser auf den Mühlen der Industrie sind zudem Nachrichten wie der Kauf von amerikanischen F-35-Tarnkappenbomber. Die Bundesregierung mache sich dadurch abhängig von US-Know How und -Software. Zudem, so der Vorwurf, der derzeit durch Sicherheitskreise und Medien geistert, könnten die USA die Jets aus der Ferne nach Belieben „ausschalten“.
Doch die Sicherheitsbedenken der Branche sind nicht ganz uneigennützig, sondern gezielt: Die F-35-Jets stammen aus der Produktion des US-Rüstungsunternehmens Lockheed – einem Konkurrenten aus Übersee. Und dieser muss sich nicht mit Emissionsvorgaben, der EU-Taxonomie oder Nachweisen für Lieferketten herumschlagen.
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