Hybride Kapazitätsmechanismen
Noch nie getestet: Habeck präsentiert Vision für den zukünftigen Strommarkt
Das Bundeswirtschaftsministerium erörtert einen frischen Ansatz für den deutschen Strommarkt, um die Versorgungssicherheit zu sichern. Fachleute äußern jedoch Bedenken hinsichtlich der Gefahren dieses „unerprobten“ Modells.
Berlin – Die Klimaziele der Bundesregierung schreiten voran: Über die Hälfte des in Deutschland erzeugten Stroms stammt bereits aus erneuerbaren Energien, und bis 2030 sollen es 80 Prozent sein. Allerdings müssen bei Windflaute oder fehlendem Sonnenschein, trotz hoher Nachfrage, weiterhin Gaskraftwerke einspringen. Da diese durch die steigende Stromproduktion aus erneuerbaren Quellen immer seltener zum Einsatz kommen, fehlen ihnen jedoch häufig die notwendigen Einnahmen für den Erhalt des Betriebs. Das Bundeswirtschaftsministerium setzt sich daher für einen hybriden Kapazitätsmechanismus ein. Branchenexperten äußern jedoch Bedenken und kritisieren, dass das vorgeschlagene Modell bislang noch nicht erprobt ist.
Habeck-Plan für den Strom: Was ist ein hybrider Kapazitätsmechanismus?
Ist die Stromnachfrage gering, fällt der Preis geringer aus und der Erlös des Betreibers ist klein. Andersrum verhält es sich zum Beispiel im Winter, wenn viele Leute in Deutschland heizen und der Stromverbrauch hoch ausfällt, lässt das die Preise steigen und führt zu einem höheren Gewinn der Betreiber. Das ist das Energy-only-Markt Prinzip. Der Kapazitätsmarkt geht nun über dieses Prinzip hinaus. Hier produzieren Energiebetreiber weiterhin Strom, obwohl die Nachfrage gering ausfällt, für den Fall, dass ein höherer Bedarf noch anfallen könnte. Dafür werden die Betreiber bezahlt, ohne dass sie den Strom wirklich geliefert haben. Das soll die Versorgungssicherheit gewährleisten.
Durch den Ausbau erneuerbarer Energien werden Gaskraftwerke zwar seltener genutzt, sind jedoch insbesondere in den Wintermonaten weiterhin notwendig. Da die Betreiber im Energy-only-Markt nicht immer genügend Einnahmen erzielen, um die Betriebskosten zu decken, kommen Kapazitätsmechanismen ins Spiel. Diese sorgen dafür, dass die Betreiber weiterhin für das Bereithalten von Stromkapazitäten bezahlt werden, obwohl sie den Strom nicht unbedingt weitergeben. Dieses Prinzip soll auch dafür sorgen, eine bessere Integration von Energiespeichern zu ermöglichen.
Das Bundeswirtschaftsministerium unter Leitung von Robert Habeck (Grüne) hat daher mehrere Möglichkeiten für den Kapazitätsmarkt bereits Anfang August vorgestellt, welche ab 2028 umgesetzt werden sollen. Zur Diskussion steht dabei ein hybrides Modell, also einen Mix aus zentralen und dezentralen Kapazitätsmechanismen. Zentral bedeutet, dass Betreiber landesweit basierend auf Bedarfsanalysen aufgefordert werden, Kapazitäten für den nationalen Bedarf bereitzustellen. Im Gegensatz dazu erfolgt der dezentrale Ansatz auf regionaler Ebene. Hier wird die Vorsorge durch Bilanzkreisverantwortliche, meist Energieversorger oder Händler, individuell geregelt.
„Das geht alles auch wesentlich einfacher“: Kritik an Modell des Bundeswirtschaftsministeriums
In einer Analyse der Denkfabriken Epico und Aurora Energy Research, die dem Handelsblatt vorliegt, sprechen sich die Branchenkenner gegen das Modell des Bundeswirtschaftsministeriums aus. Das Modell des hybriden Kapazitätsmarkts ist „ungetestet und birgt daher Risiken“. Im Gespräch mit dem Handelsblatt schlägt Epico-Chef Bernd Weber vor, bei der Umsetzung die Erfahrungen in anderen europäischen Ländern zu berücksichtigen und das System auf Best Practices aufzubauen. Ein Vorbild für das Modell, das das Bundesministerium anstrebt, gibt es nicht. Zunächst wären zentrale Kapazitätsmechanismen sinnvoll, die später durch dezentrale Komponenten ergänzt werden können.
Dabei sollte darauf geachtet werden, dass keine übermäßigen Sicherheitsmargen entstehen, das heißt, dass der Notfallbedarf eher knapp kalkuliert wird, um auch mehr Flexibilität im Energiemarkt zu schaffen. Auch für strikte Kontrollen sprechen sich die Forscher der Analyse aus, um eine sinnvolle Funktion zu gewährleisten.
Andere Stimmen aus den Reihen der Grünen üben ebenfalls Bedenken. Tobias Goldschmidt, Energieminister in Schleswig-Holstein, argumentiert: „Der Kapazitätsmechanismus, den das Bundeswirtschaftsministerium vorschlägt, wird eine Menge Verwaltungsaufwand produzieren. Das geht alles auch wesentlich einfacher.“ Am Donnerstag sollen im Rahmen der „Plattform klimaneutrales Stromsystem“, die Pläne des Bundeswirtschaftsministeriums von Vertretern aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft diskutiert werden.
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