Reformpapier des Finanzministers
Jobcenter und Sozialverband kritisieren Lindners Bürgergeld-Reform: „Kosten würden eher noch steigen“
Mit seiner Bürgergeld-Reform möchte Christian Lindner Milliarden sparen und die Wohnkosten-Regelung umgestalten. Zwei Expertinnen aus Jobcenter und Sozialverband äußern deutliche Kritik.
Das Bürgergeld bleibt weiterhin ein Reizthema – besonders in den aktuellen Streitigkeiten innerhalb der Ampel. So hatte Finanzminister Christian Lindner (FDP) in einem Reformpapier unlängst gefordert, dass die Bundesregierung die Wohnkosten von Empfängern des Bürgergeldes künftig pauschal finanzieren solle – und nicht wie bisher nach dem tatsächlichen Preis. Lindner will durch diese Maßnahme verhindern, dass der Staat für Wohnungen aufkommt, die preislich über dem bundesweiten Durchschnitt liegen.
Lindners Bürgergeld-Vorschlag birgt Sprengstoff für die Ampel – Jobcenter und Sozialverbände üben Kritik
Konkret erhofft sich der Finanzminister Einsparungen in Milliardenhöhe, wenn die rund 2,73 Millionen leistungsempfangenden Bedarfsgemeinschaften den Wohnraum und die Heizkosten anhand der festgelegten Pauschale eigenständig kalkulieren müssten. Kernargument von Lindner ist es, dass die derzeitige Zuschussregelung von im Schnitt 649,96 Euro pro Bedarfsgemeinschaft – etwa 11,82 Euro pro Quadratmeter – zu Fehlanreizen führe. Für Arbeitnehmer im Niedriglohnsektor würde es teilweise keinen Unterschied mehr machen, ob sie arbeiten gingen oder Bürgergeld bezögen.
Jana Sieberg, 2. Vorsitzende der Jobcenter-Personalräte, hält von diesem Vorschlag wenig: „Ich kann nicht erkennen, wie Pauschalen für die Miete von Bürgergeldbeziehern Kosten sparen könnten“, hatte sie gegenüber der WirtschaftsWoche erklärt. Im Gegenteil erwarte sie sich von der Vereinheitlichung sogar noch Mehrkosten. Denn laut der Expertin existierten bereits regionale Angemessenheitsgrenzen, die Bürgergeldempfänger, die darüber lägen, bereits zum Umzug in eine günstigere Wohnung aufforderten. Konkret legen derzeit die Kommunen – mit Unterstützung des Bundes – die entsprechenden Grenzlegung vor.
„Einsparpotenzial bei den Ärmsten ist gering“ – auch Andrea Nahles fordert Ruhe beim Bürgergeld
Das Arbeitsministerium erklärte im Hinblick auf die anhaltende Kritik am Bürgergeld, dass sich die Leistungen auf dem Niveau des Existenzminimums bewegen. Auch deswegen argumentiert Sieberg, dass sich die Leistungsempfänger mit der aktuellen Unterstützung ohnehin schon oftmals am Existenzminimum bewegen würden – speziell am derzeitigen Wohnungsmarkt.
Exakt dieses Niveau müsste auch aus „verfassungsrechtlichen“ Gründen gewahrt werden, wie Siebert ergänzt. Immerhin würden Bürgergeldempfänger oftmals in Wohnungen leben, die mit wenig Dämmung ausgestattet seien – daher sei zum Beispiel im Hinblick auf die Heizkosten „Energiesparsamkeit nicht immer möglich“.
Unterstützung erhält sie von der Vorstandsvorsitzenden des Sozialverbands Deutschland, Michaela Engelmeier: „Das Einsparpotenzial bei den Ärmsten ist jetzt schon ausgesprochen gering, da die Wohnkosten bereits auf Angemessenheit überprüft werden“, ließ sie über den X-Account des Verbands verkünden. Letztlich würden Lindners Pauschalisierungspläne dazu führen, dass Bürgergeldbeziehende „ihr Zuhause verlieren“ würden, weil das Geld die regionalen Unterschiede bei Miet- und Nebenkosten nicht berücksichtigen würde.
FDP-Finanz-Staatssekretär: Budget für Bürgergeld-Unterkünfte wird um 1,3 Milliarden Euro übertroffen
Weiterhin würden derartige Finanzierungsansätze viel eher zur Spaltung innerhalb der Solidargemeinschaft sorgen und „immer wieder alle über einen Kamm […] scheren“. Gegenüber dem ZDF fügte sie an, dass viele Menschen dadurch ihre Wohnung verlieren könnten. Für Sieberg eröffnet sich über die nun wiederholt öffentlich ausgetragene Diskussion noch ein weiterer Reizpunkt: „Mein Wunsch an die Politik wäre, die Jobcenter einfach mal ihre Arbeit machen zu lassen. Solche Ideen bringen noch mehr Unruhe in die Diskussion um das Bürgergeld und damit in unser Tagesgeschäft.“ Ähnlich scharf hatte auch schon die Chefin der Bundesagentur für Arbeit, Andrea Nahles, etwaige Vorschläge aus der Politik kritisiert und Ruhe eingefordert.
Doch diese ist vorerst nicht in Sicht: Reuters hatte am Montag (4. November) berichtet, dass die Wohnungskosten im Bürgergeld für 2024 vermutlich deutlich teurer ausfallen könnten als ursprünglich geplant. Das bisherige Budget von 11,1 Milliarden Euro für Unterkünfte werde um 1,3 Milliarden Euro übertroffen, wie die Nachrichtenagentur aus einem Schreiben des Finanz-Staatssekretärs Florian Toncar (FDP) zitiert. 500 Millionen Euro des Übertrags seien demnach vom Nachtragshaushalt gedeckt gewesen, womit sich die endgültigen Mehrkosten für diesen Posten des Bürgergelds auf 500 Millionen Euro belaufen würden.
Höhere Nebenkosten und dynamischer Wohnungsmarkt: 4,5 Milliarden Euro Mehrkosten beim Bürgergeld
Die Gründe lägen in der „nochmals gestiegenen Zahl an Bedarfsgemeinschaften […] sowie die weiter gestiegenen Kosten je Bedarfsgemeinschaft infolge höherer Nebenkostenabrechnungen bei den Leistungsberechtigten und ein allgemein dynamischeres Geschehen am Wohnungsmarkt“. Zuletzt hatte auch die Bundesregierung einen Entwurf vorgelegt, der Kürzungen beim Bürgergeld vorsieht – und Milliarden einsparen soll. Insgesamt erwartet Toncar, dass das Bürgergeld in diesem Jahr bis zu 4,5 Milliarden Euro Mehrkosten verursachen würde. Für Lindner dürften diese Zahlen seines Parteikollegen als Bestätigung dienen – und zusätzlich die öffentliche Diskussion weiter befeuern.
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