Rezession in Deutschland
Experten erwarten immer mehr Unternehmens-Insolvenzen: „Aktuell gilt: Wenn es kracht, dann richtig“
Der Kreditversicherer Allianz Trade rechnet für das gesamte Jahr mit 21.500 Insolvenzen bei deutschen Unternehmen. Damit korrigieren die Ökonomen ihre Prognose vom Jahresanfang.
Hamburg – Noch immer steckt Deutschlands Wirtschaft in einer tiefen Rezession – und das bekommen auch die Unternehmen zu spüren. Der weltweit größte Kreditversicherer Allianz Trade erwartet einen deutlichen Anstieg der Insolvenzen in Deutschland: Die Ökonomen aus Hamburg gehen von rund 21.500 Pleiten aus. Das würde eine Zunahme von 21 Prozent gegenüber des Vorjahres bedeuten – und auch die eigene Prognose der Allianz-Tochter vom Jahresanfang um fast 1.250 Fälle steigern.
Insolvenzen von Großunternehmen steigen: Baugewerbe und Einzelhandel als Sorgenkinder
Als problematisch bewertet Trade Allianz besonders die steigende Anzahl an Insolvenzen von Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mindestens 50 Millionen Euro: „Aktuell gilt: Wenn es kracht, dann richtig“, schätzt Milo Bogaerts, DACH-Chef von Allianz Trade, die Situation ein: Im ersten Halbjahr 2024 schlitterten 40 solcher Unternehmen in die Insolvenz. Höher lag dieser Wert seit 2015 nicht mehr und auch zum Vorjahreszeitraum bedeutet diese Steigerung eine Zunahme von einem Drittel.
Insgesamt taxiert Allianz Trade den dadurch verursachten Schaden entlang der Wertschöpfungskette auf 11,6 Milliarden Euro, wodurch dieser bereits im Juli 2024 den gesamten kumulierten Umsatz des Jahres 2023 übertroffen habe. Besonders im Baugewerbe und Einzelhandel sei die Tendenz zu erkennen, dass bei einer Insolvenz eines Großunternehmens in der Folge auch die Zulieferer in Schieflage geraten: „Nicht selten werden sie dabei mitgerissen und geraten selbst in den Abwärtssog, der im schlimmsten Fall ebenfalls in der Zahlungsunfähigkeit endet“, so Bogaerts weiter.
Meritus-Studie: Insolvenz-Risiko für Unternehmen aus Bausektor besonders hoch.
Laut einer Studie der Auskunftei Creditforum meldeten bereits im ersten Halbjahr insgesamt 11.000 Unternehmen in Deutschland Insolvenz an. Das sei laut Patrick-Ludwig Hantzsch, Leiter der Creditforum Wirtschaftsforschung, der höchste Stand seit zehn Jahren – und ein 30-prozentiger Anstieg im Vergleich zum Vorjahr. Die Mischung aus Rezession, kraftloser Konjunkturentwicklung und anhaltenden Krisen weltweit breche „vielen Betrieben das Genick.“ Im Bauwesen dokumentierte die Auskunftei Creditforum im ersten Halbjahr rund 1.760 Insolvenzen und somit einen Anstieg um 27,5 Prozent.
Zu einem ähnlichen Urteil kommt auch eine Studie der Unternehmensberatung Meritus, die im Zuge ihrer Insolvenzstudie rund 200 Experten aus den Bereichen Finanzwirtschaft, Insolvenzverwaltung und Unternehmen befragte. Hier schätzten 92 Prozent der Teilnehmer das Risiko für Unternehmen aus der Bauwirtschaft als besonders hoch ein, in der derzeitigen Phase insolvent zu gehen.
Dahinter folgt die Automobil- und deren Zulieferbranche. Der einstige Vorzeigesektor der deutschen Wirtschaft leidet derzeit unter dem Konkurrenzdruck aus China sowie schwachen Absatzzahlen im Elektroauto-Geschäft. Unlängst sorgte Europas größter Autobauer Volkswagen mit der Ankündigung, auch deutsche Fabrikstandorte zu schließen und Mitarbeitende zu entlassen, für ein Branchen-Beben.
Inflation und Energiekosten als Treiber von Insolvenzen. Auch Corona-Darlehen sorgen für Pleiten
Interessant ist ein Blick auf die Ursachen für Insolvenzen: In der Meritus-Studie befragte Experten aus dem Bankenumfeld sahen in neun von zehn Fällen „mangelnde Managementqualität“ verantwortlich. Die Auskunftei Creditforum ermittelte dagegen Inflation und steigenden Energie- sowie Materialkosten oder etwa die Corona-Pandemie als Hauptursachen für Unternehmenspleiten.
Diese Entwicklung hat auch Allianz Trade als einen wesentlichen Treiber für Insolvenzen identifiziert: „Einige Unternehmen konnten die fälligen Rückzahlungen von Corona-Darlehen nicht stemmen oder hatten Schwierigkeiten an neue Kredite zu kommen aufgrund der restriktiveren Vergabe und den wesentlich höheren Anforderungen der Finanzierungspartner“, erklärt Bogaerts weiter. Generell rechnen die Ökonomen damit, dass die Fallzahlen an Insolvenzen im Vergleich zum letzten Jahr vor der Corona-Pandemie gegen Ende des Jahres 2024 um etwa 15 Prozent höher ausfallen werden.
Großer Druck im Einzelhandel: Wird das Weihnachtsgeschäft Fluch oder Segen?
Unter besonderem Druck steht der Einzelhandelssektor – darunter speziell die Mode-Unternehmen. „Die verbrauchernahen Branchen spüren die aktuelle Kaufzurückhaltung allerdings besonders“, sagte Bogaerts. Gerade das bevorstehende Weihnachtsgeschäft – ein traditionell starker Absatzmarkt – bereite den Händlern Sorge. Einerseits sind die Unternehmen auf die Umsätze angewiesen, andererseits besteht die Gefahr, dass die Nachfrage auch in dieser Zeit gering bleibt – und sie auf ihren Produkten sitzen bleiben.
Gesundheitsbranche leidet unter unsicheren Rahmenbedingungen: Drei Kliniken gingen 2024 insolvent
Ähnliche Probleme erlebt gerade die Gesundheitsbranche: Zu den sieben großen Insolvenzen im Dienstleistungssektor zählten drei Kliniken. Diese Tendenz betrifft umso häufiger den Pflegebereich. Der Arbeitgeberverband Pflege (AGVP) dokumentierte seit Anfang August 2023 rund 1.097 Insolvenz- und Schließungsfälle. Laut AGVP-Präsidenten, Thomas Greiner, kämen Kassen und Bundesländer ihren gesetzlichen Verpflichtungen nicht nach, eine stabile Versorgung zu garantieren. Ursächlich seien die unklaren Rahmenbedingungen in der Gesundheitsbranche, wodurch die steigenden Kosten sowie die hohe Anzahl an Pflegebedürftigen mit dem kontinuierlichen Versorgungsabbau kollidiere (mit Material von dpa).