Sozialstaat profitiert
Ist das Bürgergeld eine „soziale Hängematte“ für Einwanderer? Die Fakten hinter dem Vorwurf
Fast die Hälfte der Menschen, die Bürgergeld erhalten, sind nicht deutsche Staatsbürger. Funktioniert die Grundsicherung als „soziale Hängematte“, die sie vom Arbeiten abhält?
Nürnberg – Von 2,8 Millionen Arbeitslosen in Deutschland haben 1,1 Millionen Menschen keinen deutschen Pass. Das geht aus den Statistiken der Bundesagentur für Arbeit vom Februar hervor. Fast 818.000 davon beziehen Bürgergeld. Nicht-Deutsche machen damit 43,9 Prozent der arbeitslosen Leistungsberechtigten aus – und damit fast die Hälfte aller Menschen im Bürgergeld. Kritikerinnen und Kritiker sprechen deshalb immer wieder von der Anziehungskraft des deutschen Sozialstaats. Ergebnis ist der Vorwurf, die Menschen würden sich auf der „sozialen Hängematte“ ausruhen.
„Soziale Hängematte“: Migrantinnen und Migranten im Bürgergeld sehen sich Vorwürfen konfrontiert
Kritikerinnen und Kritiker fordern deshalb etwa, Geflüchteten aus der Ukraine, kein Bürgergeld mehr auszuzahlen. Sie sollen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten – oder ihre Leistungen lediglich über die Bezahlkarte bekommen. Damit soll auch der Anreiz zum Arbeiten erhöht werden. Dieser sei – so die allgemeine Kritik – im Bürgergeld nicht gegeben. Dabei gilt jedoch laut Fachleuten: Wer arbeitet und möglicherweise ergänzende Leistungen wie Wohngeld bezieht, hat immer mehr Geld zur Verfügung. Das hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) noch einmal verdeutlicht.
Die Forschenden haben verschiedene Fakten zum Bürgergeld-Bezug und zur Erwerbsbeteiligung von Menschen mit Migrations- und Fluchtgeschichte seit Einführung der Grundsicherung – also von Hartz IV bis zur Bürgergeld-Einführung 2023 – zusammengetragen. Dabei stand die Frage im Fokus, ob die Grundsicherung die Integration von Migrantinnen und Migranten in den Arbeitsmarkt erschwert.
Seit Einführung der Grundsicherung nimmt Erwerbsbeteiligung zu
Die Erwerbstätigenquote von Migrantinnen und Migranten sei demnach seit der Einführung der Grundsicherung 2005 von 58 Prozent auf 69 Prozent 2023 gestiegen, erklären die IAB-Fachleute mit Berufung auf Daten des Mikrozensus. Ohne die Berücksichtigung der Menschen aus den wichtigsten Fluchtherkunftsländern wie Afghanistan, Syrien und der Ukraine habe die Quote bei 75 Prozent gelegen – im Vergleich zu 77 Prozent im Bevölkerungsschnitt. Laut OECD-Berechnungen seien es 2023 70 Prozent gewesen, was über dem EU-Schnitt von 66 Prozent liege.
Vom Bürgergeld-Bezug seien zwar mehr Menschen mit Migrationsgeschichte abhängig. So ist die Zahl der Bedürftigen von 1,2 Millionen im Jahr 2010 auf 2,1 Millionen 2023 gestiegen. Gleichzeitig hat sich die Zahl der Menschen mehr als verdoppelt. Der Anteil der Leistungsberechtigten ist damit im Jahr der Bürgergeld-Einführung 2023 mit 9,2 Prozent auf einem ähnlichen Niveau wie 2010 (9,3 Prozent). Bei denjenigen, die keine Fluchterfahrungen sammeln mussten, ist der Anteil der Grundsicherung-Beziehenden von 8,7 auf 5,4 Prozent gesunken. Damit ist er laut den IAB-Forschenden nur noch geringfügig höher als im Bevölkerungsschnitt.
Bürgergeld-Beziehende mit Migrationshintergrund haben mit dem Arbeitsmarkt zu kämpfen
Die Bürgergeld-Beziehenden mit Migrationsgeschichte haben damit mit ähnlichen Problemen zu kämpfen, wie alle anderen auch. Zwei Drittel haben insgesamt keinen Berufsabschluss, was es ihnen auf dem Arbeitsmarkt schwer macht. Denn dort sind vor allem Fachkräfte gefragt.
Unter den Betroffenen sei der Anteil der ausländischen Staatsangehörigen besonders. Laut IAB-Auflistung haben etwa 38,1 Prozent der 20- bis 34-Jährigen ohne deutschen Pass keine Ausbildung. Die Fachleute verweisen jedoch darauf, dass viele Betroffene neu eingewandert sind und sich noch in Bildung respektive Ausbildung befinden. Zudem gibt es in den Herkunftsländern häufig kein duales Berufsbildungssystem.
Geflüchtete schaffen Ausweg aus dem Bürgergeld langsamer – auch wegen strukturellen Problemen
Bei Geflüchteten erschweren zudem die Folgen von Krieg, Verfolgung und Flucht die Integration in den Arbeitsmarkt, so dass dieser im Vergleich zu anderen Migrantinnen und Migranten häufig langsamer sei, erklärt das IAB. Zudem gebe es institutionelle Hürden wie Beschäftigungsverbote, Asylverfahren und Wohnsitzauflagen. Häufig sind auch Anforderungen an das Sprachniveau ein Problem.
Je länger die Geflüchteten jedoch in Deutschland sind, desto größer ist der Anteil der Erwerbstätigen. Nach acht Jahren arbeiteten 68 Prozent. Bei Männern sei die Quote sogar höher als die Quote der Männer im Bevölkerungsschnitt. Auch bei den ukrainischen Geflüchteten hat sich die Lage deutlich gebessert. Um den Grundsicherungsbezug zu beenden und die Menschen schneller in Arbeit zu bringen, können laut IAB Asylverfahren beschleunigt, Sprachangebote verbessert werden und institutionelle Hürden wie Wohnsitzauflagen abgebaut werden. Auch der Abbau von Diskriminierung spiele eine Rolle.
Sozialstaat profitiert von Migration – auch das Bürgergeld selbst
Von der Migration profitiert der Sozialstaat letztendlich. So sei die Erwerbstätigkeit von Migrantinnen und Migranten der Grund für die insgesamt steigende Zahl der Beschäftigten in Deutschland. Dadurch profitierten die Sozialversicherungen wie Rente, Pflegeversicherung und Krankenkassen, jedoch auch die Arbeitslosenversicherung und das Bürgergeld. (ms)
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