IAB-Studie
Bürgergeld senkt Anreiz zu arbeiten – verfestigt sich Arbeitslosigkeit?
Das Bürgergeld bleibt Streitpunkt. Sorgt es dafür, dass weniger Arbeitslose arbeiten? Davor warnen Unionspolitiker – und erhalten Zustimmung durch eine Studie.
München – Senkt das Bürgergeld den Anreiz, zu arbeiten? Besonders konservative und liberale Politiker bemängeln das. Erst im April hat Finanzminister Christian Lindner eine Bürgergeld-Reform gefordert und erklärt, dass es kein „bedingungsloses Grundeinkommen“ sei. Auch die Union will die Sozialleistung mit der „neuen Grundsicherung“ umwandeln. Bisher hat es jedoch an konkreten Zahlen gefehlt, ob das Bürgergeld tatsächlich dafür sorgt, dass weniger Arbeitslose eine neue Stelle antreten. Eine Studie von Arbeitsmarktforscher Enzo Weber sieht dabei tatsächlich einen Zusammenhang.
Seit Einführungen des Bürgergelds sei die Anzahl der Jobaufnahmen um sechs Prozent gesunken, heißt es in Webers Studie, über die zuerst die Süddeutsche Zeitung (SZ) berichtet hatte. Sechs von 100 Stellen, die Bürgergeld-Bezieher vorher angenommen haben, bleiben demnach unbesetzt. Hochgerechnet auf ein Jahr sind das 30.000 Stellen.
Weniger Bürgergeld-Bezieher nehmen Jobangebote an als unter Hartz IV
Anteilig beendeten Ende 2023 nur gut zwei Prozent der 1,6 Millionen arbeitsfähigen Bürgergeld-Bezieher pro Monat ihre Arbeitslosigkeit durch einen Jobantritt, obwohl sich Arbeit einer weiteren Studie zufolge lohnt. Das sei der niedrigste Wert seit sechs Jahren. Die Corona-Pandemie blieb dabei unberücksichtigt. Bei Hartz IV habe der Wert häufig bei mehr als drei Prozent gelegen.
Die Einführung des Bürgergeldes fällt zwar zusammen mit der Energiekrise und der schwachen Konjunktur. Dadurch stellen Unternehmen weniger Menschen ein. Diese Einflüsse berücksichtigt Weber jedoch und rechnet diese heraus. Auch Ukrainer, die Bürgergeld beziehen, bleiben unberücksichtigt.
Weber vergleicht die Zahlen zudem mit den Beziehern von Arbeitslosengeld I, die weniger als ein Jahr ohne Stelle sind. Diese nehmen in etwa genauso häufig einen Job an, wie in früheren Jahren, stellt der Forscher des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit fest.
Erleichterungen des Bürgergeldes sorgen für geringere Jobannahme durch Bürgergeld-Bezieher – laut Studie
Als Ursachen sieht er vor allem die Erleichterungen des Bürgergelds im Vergleich zu Hartz IV an. Leistungsbezieher dürfen etwa im ersten Jahr mehr Vermögen und eine größere Wohnung behalten. Auch die Sanktionen sind weniger stark als bei Hartz IV, zudem seien diese von Juli bis September 2023 um 56 Prozent seltener angewendet worden.
Als weiteren Grund nennt die Studie Erhöhungen zur Einführung 2023 und 2024, wobei Weber bisher nur die angenommenen Stellen 2023 berücksichtigt hat. Damit bleiben auch die im März 2024 in Kraft getretenen möglichen Streichungen des Bürgergelds bei mehrfacher Verweigerung von Jobangeboten unberücksichtigt.
IAB-Studie sieht Einfluss von Bürgergeld-Sanktionen auf die Anzahl der angenommenen Stellen
Sanktionen haben laut der IAB-Studie eine Wirkung auf die Zahl der angenommenen Stellen. Im halben Jahr vor der Bürgergeld-Einführung seien diese weitestgehend ausgesetzt gewesen. Dadurch seien Jobaufnahmen um vier Prozent reduziert worden, stellte Weber fest. Er folgert: „Wenn die Möglichkeit härterer Sanktionen existiert, wirkt sich das nicht nur auf die kleine Gruppe der sanktionierten Bezieher aus, sondern schon im Vorhinein auf viele Leistungsempfänger, die dann eher eine Stelle annehmen.“
„Das Bürgergeld hat eine richtige Grundidee, aber die Jobaufnahmen sind bisher zu schwach“, sagte Weber der SZ. Der Arbeitsmarktforscher sieht die Gefahr, dass sich Arbeitslosigkeit durch die geringeren Jobaufnahmen im Bürgergeld verfestige. „Je länger jemand raus ist, desto schwerer wird der Weg zurück in den Job.“
Forscher fordert strengere Sanktionen beim Bürgergeld – lehnt totale Streichungen jedoch ab
Als Konsequenz fordert Weber eine Reform des Bürgergeldes. Schon bei der ersten Verweigerung solle es um 30 Prozent für mehrere Monate gekürzt werden, nicht nur für zehn Prozent und einen Monat. Eine komplette Streichung für längere Zeit, wie sie die Union in ihrer „neuen Grundsicherung“ fordert, hält er allerdings für falsch. „Sinnvoll ist nicht der größtmögliche Druck, sondern das richtige Maß“, erklärte Weber. Menschen könnten Jobs ohne Perspektive annehmen und schnell wieder arbeitslos werden oder sich vom Jobcenter abwenden und in der Obdachlosigkeit landen.
Davor warnte auch Helena Steinhaus vom Verein Sanktionsfrei, die Sanktionen grundsätzlich für problematisch hält. „Langfristig haben sie den gegenteiligen Effekt und erschweren die Erwerbstätigkeit, da die Menschen das Vertrauen in die Behörde und ihre Ansprechperson verlieren, sich entmündigt, gedemütigt fühlen und weiter in die Not und Isolation gedrängt werden“, hatte sie im April gegenüber IPPEN.MEDIA erklärt. (ms)
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