Migration und Kinderarmut
Heftige Kritik nach Lindners Aussagen zur Kindergrundsicherung: „Affront gegen Kinder in Armut“
Finanzminister Christian Lindner steht wegen seiner Aussagen zu Kinderarmut und Einwanderung im Kreuzfeuer der Kritik. Seine Partei hingegen stärkt ihm den Rücken.
Berlin – Die Äußerungen von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) bezüglich Kinderarmut in Deutschland stoßen auf heftigen Widerstand von Sozialverbänden. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, kritisierte Lindners Aussagen scharf in der Stuttgarter Zeitung und den Stuttgarter Nachrichten. Er sagte: „Ich halte es für unsäglich, wenn der Finanzminister nun anfängt, arme Kinder aus Deutschland auszuspielen gegen die Kinder, die mit ihren Familien aus der Ukraine zu uns flüchten mussten.“ Trotz der Kritik erhält Lindner Unterstützung aus seiner eigenen Partei.
„Es gibt einen ganz klaren Zusammenhang zwischen Einwanderung und Kinderarmut“
Lindner hatte Bedenken gegen das Konzept der Kindergrundsicherung von Familienministerin Lisa Paus geäußert. Mit diesem Plan will die Grünen-Politikerin Leistungen für Familien bündeln und gleichzeitig erhöhen. „Es gibt einen ganz klaren Zusammenhang zwischen Einwanderung und Kinderarmut“, äußerte der FDP-Politiker am Dienstag gegenüber dem Radiosender Bayern 2.
Er zeigte sich offen für Diskussionen darüber, wie man diesen Kindern und Jugendlichen am besten helfen kann. „Hilft man ihnen am besten dadurch, dass man den Eltern mehr Geld aufs Konto überweist?“, fragte er bereits am Sonntag. „Oder ist nicht vielleicht mindestens diskussionswürdig, in die Sprachförderung, Integration, Beschäftigungsfähigkeit der Eltern zu investieren und die Kitas und Schulen für die Kinder so auszustatten, dass sie vielleicht das aufholen können, was die Eltern nicht leisten können?“
Lindner bekräftigte am Dienstag: „Jedenfalls bin ich nicht davon überzeugt, dass einfach mehr Geld an die Eltern zu geben, zwingend die Chancen von Kindern und Jugendlichen verbessert.“
Verbände: Akutes Problem wird von Lindner nicht gelöst
Schneider entgegnete darauf, dass es natürlich spezielle Angebote für diese Familien geben müsse und es auch richtig sei, dass Eltern in die Lage versetzt werden sollten, Arbeit zu finden. „Das darf doch aber kein Argument sein, um Kinder in Armut zu belassen“.
Gerhard Brand, Chef des Verbands Bildung und Erziehung, bezeichnete Lindners Aussagen als „Affront gegen von Armut betroffene Kinder“. Das akute Problem werde nicht gelöst, indem man die finanzielle Absicherung von Kindern gegen die „Beschäftigungsfähigkeit“ ihrer Eltern ausspiele. „Kindergrundsicherung versus Sprachkurs: So einfach ist es eben nicht. Man muss das eine tun, ohne das andere zu lassen.“
Und auch die Vorsitzende des Sozialverbands, Michaela Engelmeier, kritisierte Lindner. „Damit wirklich alle Kinder in Deutschland gesund aufwachsen können, muss mehr Geld in armutsbetroffenen Familien ankommen. Aber um Kinderarmut effektiv zu verhindern, müssen wir auch langfristig investieren. Schön, dass auch der Bundesfinanzminister hier inzwischen unserer Ansicht ist, dass mehr Mittel in die Infrastruktur wie in Kitas und Schulen fließen müssen“, sagte sie IPPEN.MEDIA. „Diese beiden Ansätze gegeneinander abzuwägen und damit die Kinder gegeneinander auszuspielen, geht nicht. Christian Lindner zieht hier die falschen Schlüsse. Denn der eine Hebel kann ohne den anderen nicht greifen. Beide kosten Geld, zahlen sich aber am Ende aus.“
Zahl der ausländischen Bürgergeld-Empfänger steigt
Statistiken der Bundesagentur für Arbeit (BA) zeigen tatsächlich einen Anstieg der Zahl ausländischer Kinder, die Hartz IV oder Bürgergeld erhalten. Im Dezember 2010 lag ihre Zahl bei etwa 305.000, im Dezember 2022 waren es rund 884.000. Laut BA erhielten im März 2023 als größte Gruppe etwa 275.500 ukrainische Kinder und Jugendliche Bürgergeld. Die zweitgrößte Gruppe waren Kinder und Jugendliche aus Syrien.
Ukrainische Kriegsflüchtlinge erhalten im Gegensatz zu Asylbewerbern sofortigen Zugang zum deutschen Sozialsystem, was den jüngsten sprunghaften Anstieg erklärt. Dieser Trend zeigte sich jedoch bereits vor dem russischen Angriff auf die Ukraine, beispielsweise bei syrischen Flüchtlingen.
Die BA-Daten basieren auf einer Anfrage der AfD. Aus dieser geht auch hervor, dass die Zahl der Kinder und Jugendlichen mit deutschem Pass, die Sozialleistungen erhielten, zwischen 2010 und 2022 gesunken ist: von etwa 1,37 Millionen im Dezember 2010 auf rund 895.000 im Dezember 2022. Der Wert für März 2023 liegt laut BA bei 1,02 Millionen.
SPD: Niveau an deutschen Kindern in Armut bleibt konstant
Dagmar Schmidt, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, wirft dem Finanzminister eine Fehleinschätzung vor. „Herr Lindner irrt, wenn er die Kinderarmut auf zugewanderte Familien z.B. aus der Ukraine und Syrien reduziert. Wir haben trotz zahlreicher Maßnahmen in der Vergangenheit ein gleich hohes Niveau von deutschen Kindern in Armut“, sagte sie.
„Selbstverständlich benötigen wir mehr Investitionen in Schulen, Kitas und soziale Einrichtungen vor Ort. Hierzu haben wir in der Ampel noch einiges vor und freuen uns dabei auf die Unterstützung des Finanzministers.“ Neben diesen Investitionen sei aber auch ein angemessener Geldbetrag für die soziale Teilhabe notwendig, mit dem beispielsweise das Geschenk für einen Kindergeburtstag oder die Fußballschuhe gekauft werden könnten.
Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), sagte am Montagabend im WDR: „Keiner würde bezweifeln, dass eine Integration in den Arbeitsmarkt die beste Methode ist, dass Eltern gut verdienen, dass ihre Kinder nicht in Armut leben.“ Gleichzeitig betonte er, dass dies ein längerer Prozess sei und Kinder, die von Armut betroffen sind, jetzt Lösungen bräuchten und nicht erst in einigen Jahren.
Das DIW hatte letzte Woche zusammen mit der Diakonie Deutschland eine Studie zu den Folgen von Kinderarmut vorgestellt. Demnach haben Kinder, die von Armut betroffen sind, ein höheres Risiko, gesundheitliche Probleme zu bekommen und arbeitsunfähig zu werden als Kinder aus wirtschaftlich starken Familien.
FDP stellt sich gegen höhere Sozialleistungen
Lindner erhält Unterstützung aus den eigenen Reihen. „Jetzt muss es darum gehen, Kinder nachhaltig aus Armut zu holen. Das wird nicht mit höheren Transferzahlungen, sondern nur mit besserer Bildung gerade für sozial benachteiligte Schülerinnen und Schüler gelingen“, sagte Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP).
Christian Dürr, FDP-Fraktionschef, sprach sich gegen höhere Sozialleistungen aus. „Höhere Sozialleistungen an die Eltern können doch nicht die Lösung sein, sondern wir müssen das Problem an der Wurzel packen“, sagte er der dpa. Da habe Finanzminister Lindner völlig recht. „Deswegen ist es richtig, über mehr zielgerichtete Investitionen in Sprachförderung, Schulen und Kitas zu sprechen, statt über neue Sozialleistungen.“ (wal/dpa)
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