Deutscher Außenhandel
„Exportweltmeister“ Deutschland versus China: „Größter Kunde wird zum größten Konkurrenten“
Einst wichtigster Handelspartner, künftig ärgster Konkurrent? China trachtet nach deutschen Schlüsselindustrien.
Berlin/Peking – Das erste Quartal 2024 könnte nachträglich als der Beginn einer neuen Ära eingehen. Die USA haben China als wichtigsten deutschen Handelspartner vorerst abgelöst. Eigentlich steht China in dieser Rangliste in der Gesamtjahresbilanz stets an der Spitze – zumindest ist dies seit acht Jahren eine feste Regel. Im Zeitraum von Januar bis März summierten sich die Exporte nach und die Importe aus den Vereinigten Staaten laut dem Statistischen Bundesamt auf ein Volumen von 63 Milliarden Euro – bei China sind es knapp 60 Milliarden.
Ist diese Entwicklung eine Eintagsfliege oder tatsächlich Zeichen eines Umbruchs? Auf den ersten Blick scheint es erstmal vollkommen in Ordnung – die Botschaft: Die Wirtschaftsbeziehungen zu den USA laufen prächtig.
Außenhandel mit China: Exporte schwächeln – wird der beste Kunde zum Konkurrenten?
Doch so einfach ist es nicht. Denn bereits im Jahr 2023 lagen die beiden größten Handelspartner Deutschlands im Handelsvolumen nur 0,7 Milliarden Euro auseinander (China: 253,1 Milliarden Euro; USA: 253,8). Der Wechsel an der Spitzenposition hat tieferliegende Gründe – und könnte weitreichende Konsequenzen für die deutsche Wirtschaft bedeuten. Denn das Exportgeschäft mit China schwächelt, im Juli sendete Deutschland 2,9 Prozent weniger Waren als im Vormonat aus. „Deutschlands größter Kunde wird zu seinem größten Konkurrenten“, resümiert Yanmei Xie, Geopolitikanalystin beim Hongkonger Analysehaus Gavekal, gegenüber dem Handelsblatt.
Sie fasst damit die Sorgen vieler Experten zusammen. Soll heißen: China hat mittlerweile die wirtschaftliche Stärke und das Knowhow, um dem selbst ernannten Exportweltmeister Deutschland unverzichtbare Absatzmärkte streitig zu machen – unter anderem den eigenen, auf dem es eher auf heimische Produkte setzt.
Xi Jinpings Strategie nimmt Formen an: „Made in China 2025“ setzt auf Schlüsseltechnologien
In den ersten sechs Monaten 2024 exportierte Deutschland zum Beispiel mehr Waren nach Polen (48,4 Milliarden Euro) als nach China (48,2). Die Volksrepublik rutschte damit auf den fünften Rang hinter den USA (80,7), Frankreich (62,4), den Niederlanden (57,6) und Polen ab.
Eine der Gründe für diese Entwicklung liegt in einem 2015 initiierten Kurswechsel Chinas. Im Zuge der „Made in China 2025“ Strategie will Peking die eigene Wirtschaft innerhalb von zehn Jahren in bestimmten Schlüsseltechnologien zum Weltmarktführer frisieren. Dabei setzt Staatspräsident Xi Jinping auf eine einfache Formel: mindestens gleiche Qualität zu günstigeren Preisen. Möglich machen diesen Weg massive staatliche Subventionen in Branchen wie erneuerbaren Energien, Robotik, Maschinenbau, E-Autos oder Informationstechnologie. Laut Robert Langhammer vom Institut für Wirtschaftsforschung in Kiel (IfW) erhielt allein der chinesische Autohersteller BYD zwei Milliarden Euro pro Jahr vom Staat.
Druck auf deutsche Wirtschaft nimmt zu: China konkurriert in Deutschlands Vorzeigemärkten
„Damit setzt die Regierung in Peking starke Anreize zum Aufbau von Überkapazitäten“, erklärte der Wirtschaftsexperte gegenüber der taz. Mit dieser Strategie deckt die Volksrepublik nicht nur die eigene Wirtschaft ab, sondern flutet auch internationale Märkte. Im Kleinen ist diese Strategie bei dem Onlinehändler Temu zu beobachten, der mit Tiefpreise im E-Commerce-Handel selbst Branchenriesen wie Amazon oder dem deutschen Versandhaus Otto erhebliche Konkurrenz macht.
Im Großen spüren deutsche Unternehmen den Konkurrenzdruck speziell in jenen Bereichen, in denen die deutsche Wirtschaft eigentlich unangefochtener Qualitätsführer ist. Laut Berechnungen des Handelsblatt Research Institute gingen die Exporte von Industriemaschinen und -anlagen zwischen 2013 und 2023 um 0,8 Prozent zurück – von 16 auf 15,2 Prozent. Gleichzeitig stieg der Anteil Chinas von 14,3 auf 22,1 Prozent. Auch im Automobilsektor fielen Deutschlands Exporte im selben Zeitraum von 22,3 auf 20,7 Prozent. Die Volksrepublik verfügt über einen Marktanteil von neun Prozent, was eine Steigerung von 1.580 Prozent seit 2013 entspricht.
Dank Chinas aggressiver Subventionspolitik drängen Unternehmen in Wachstumsmärkte vor
Die Beispiele für eine schrittweise Aufholjagd Chinas lassen sich mühelos auch auf Maschinenbau, oder für den europäischen Markt, auf die Chemiebranche übertragen. Weiterhin drängen die chinesischen Unternehmen zunehmend auch in Wachstumsmärkte wie Brasilien oder Indien vor. Wirtschaftsminister Robert Habeck erklärte während seines China-Besuchs im Juni, dass es „aus deutscher und europäischer Sicht eine gefährliche Tendenz“ sei, wenn weltweit Märkte eingeengt würden. So zitiert ihn der Spiegel.
Neben Chinas aggressiver Subventionspolitik fürchten viele deutsche Unternehmen allerdings auch wegen der hohen Bürokratiehürden und Löhne um ihre Wettbewerbsfähigkeit. Auch in den wegen des Ukraine-Krieges gestiegenen Energiepreisen sehen viele Firmen einen Produktivitätsnachteil im Vergleich zu China. Langhammer erkennt bereits einen Trend, dass deutsche Unternehmen Exporte über ihre im Ausland registrierten Niederlassungen abwickeln: „Das heißt, die deutschen Unternehmen sind im Ausland produktiver als im Inland.“
Ampel fordert weniger Abhängigkeit von China. EU setzt auf Strafzölle für E-Autos.
Dennoch wirkt es eher so, als wolle die deutsche Wirtschaft die Beziehungen zu China trotz aller Warnungen und gerade wegen des schwächelnden Exportgeschäfts nur zu gerne aufrechterhalten. Dagegen formiert sich auf politischer Ebene weitreichender Widerstand: Mit gezielten Strafzöllen gegen staatliche subventionierte chinesische E-Autos versucht sich die EU mittlerweile zu wehren. Kommt es zu keiner Einigung mit China, sollen Aufschläge von bis zu 38 Prozent im Raum stehen. Bereits 2023 hat die Ampelregierung mit ihrer neuen China-Strategie Unternehmen dazu aufgefordert, Lieferketten und wichtige Exportziele schrittweise von China zu lösen beziehungsweise auf verschiedene Märkte zu verteilen.
Die große Abhängigkeit von der Volksrepublik im Außenhandel war schon damals als Bedrohung für die eigene Wirtschaft identifiziert worden. In erster Linie für den Fall, dass China mit einem militärischen Angriff die sich selbst als autonom ansehende Insel Taiwan gewaltsam unter seine Kontrolle bringt. Doch selbst wenn diese Eskalation ausbliebe, ist ein wenig diversifizierter Außenhandel der Regierung zu heikel.