China, USA und die EU
Der zweite Kalte Krieg steht bevor - und bedeutet eine „Kernschmelze“ für die Weltwirtschaft
Deutschland setzt auf „Derisking“ im Handel. Der IWF fürchtet eine Zersplitterung der Weltwirtschaft. Von einem zweiten Kalten Krieg ist die Rede.
Washington – Innerhalb der G20-Staaten ist, seitdem der Ukraine-Krieg tobt, eine tiefe Kluft entstanden. Die Fronten sind gesteckt: Auf der einen Seite stehen die westlichen Industrienationen, auf der anderen Russland und China. Bei einem Treffen der Finanzminister am Rande der Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds (IWF), an dem auch Christian Lindner (FDP) beteiligt war, kam es zu keinerlei Verständigung oder Lösungsansätzen. Im Gegenteil.
Geoökonomische Fragmentierung – droht ein zweiter Kalter Krieg?
Über dem Treffen hing die Sorge einer Zersplitterung der Weltwirtschaft in Ost und West. Das berichtete das Handelsblatt. Vonseiten des IWF gab es dazu deutliche Worte: „Die geoökonomische Fragmentierung könnte den Welthandel und das Wohlstandswachstum in den kommenden Jahren belasten.“ Gita Gopinath, Vize-Chefin des IWF, sprach gar von einem zweiten Kalten Krieg.
Dass mehr als nur eine Sorge dahintersteckt, macht der IWF an den veränderten Handelsströmen fest. Eine politische Blockbildung ist seit längerer Zeit evident; westliche Industriestaaten wie die USA, die EU, Kanada, Japan und Australien gegen China, Russland und andere Staaten, die den völkerrechtswidrigen Angriff auf die Ukraine nicht verurteilt hatten. Das Handelswachstum zwischen den beiden Blöcken war innerhalb der letzten beiden Jahre „deutlich schwächer“ als das Handelswachstum innerhalb der jeweiligen Blöcke.
Völlig neue Vorzeichen – ideologische Feinde als Handelspartner
Der Internationale Währungsfonds hatte bereits in der Vergangenheit Parallelen zu einem möglichen zweiten Kalten Krieg gezogen. Es sei eine ähnliche Antriebskraft erkennbar – und zwar die ideologische und wirtschaftliche Rivalität zwischen den zwei Supermächten USA und China. Im Kalten Krieg standen sich noch die USA und die Sowjetunion als Kontrahenten gegenüber. Allerdings hätten sich die Rahmenbedingungen grundlegend verändert.
Vor allem geht es hier um die extreme Verflechtung der verschiedenen Wirtschaftsmächte. Insgesamt mache der Welthandel rund 60 Prozent des globalen BIP aus; während des Kalten Kriegs waren es noch 24 Prozent gewesen. Ironischerweise sind ausgerechnet die beiden Erzfeinde gegenseitig ihre wichtigsten Handelspartner. Kein Land der Welt kauft so viele chinesische Güter wie die USA – allein im Jahr 2023 betrug die Exportmasse von China in die USA rund 502 Milliarden US-Dollar.
Das Handelsvolumen zwischen China und Russland, obgleich es zuletzt um 30 Prozent anstieg, hält da nicht mit. Laut dem Spiegel ist das Handelsvolumen zwischen den USA und China mehr als dreimal so groß. Europa übertrifft das sogar noch und macht mit China Geschäfte im Umfang von mehr als 900 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Rein von den Zahlen her – wäre China auf maximalen Profit aus – müsste sich das Land eher mit Europa zusammenschließen.
Europas Rolle im zweiten Kalten Krieg
Wo steht Europa in all dem? Traditionell ist die Europäische Union ein Verbündeter der USA. Viele ihrer Mitgliedsländer sind im Verteidigungsbündnis NATO, und während die USA die kampfstärkste Armee der Welt stellen, ist kein Handelsblock so vermögend wie die EU. Auch ohne viele Mitgliedsländer steht Deutschland auf dem dritten Platz der wirtschaftsstärksten Nationen, zusammen mit den Partnerländern kommt die EU auf ein Bruttoinlandsprodukt von 25.000 Euro per capita.
„Europa ist mittlerweile tief in die globalen Märkte integriert“, teilt die EU selbst dazu mit. Dank moderner Transportmittel und Kommunikation sind sowohl die Produktion als auch Ein- und Verkauf rund um die Welt einfacher als je zuvor. Die Handelspolitik der EU zielt darauf ab, Wirtschaftswachstum und Jobs zu schaffen, indem sie die Möglichkeiten für Handel und Investment verbessert. Die Europäische Union hätte viel zu verlieren.
Europa schwenkt um – „Derisking“ statt Kalter Krieg
Allerdings stehen viele EU-Länder im Zugzwang. Wie gefährlich eine Abhängigkeit von anderen Nationen sein kann, hatte erst 2022 die Gaskrise gezeigt. Deutschland hatte so seine Mühe damit, sich von Russland abzukapseln; Länder wie Österreich und Frankreich sind heute noch durch Langzeitverträge an Wladimir Putin gebunden, was die Energieversorgung angeht. Ähnliche Effekte sind aktuell im Falle des Handels mit China sichtbar. Sektoren wie die Solarbranche würden ohne chinesischen Input nicht funktionieren.
Das Resultat: Die USA und die EU wollen sich unabhängiger machen. „Derisking“ ist das Schlagwort der Stunde. Laut dem EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis gibt es eine Verschiebung: Weg von „Effizienz“, hin zu „Widerstandsfähigkeit“.
Mögliche Folgen eines Zweiten Kalten Kriegs
Die Effekte einer Zersplitterung des Welthandels wären signifikant stärker als noch vor 50 Jahren; nicht nur für die EU, sondern für alle Akteure am Weltmarkt. Viele Länder hätten wesentlich größere Schwierigkeiten, an bestimmte Rohstoffe zu gelangen. Zumindest würden diese sich verteuern. Dem IWF zufolge würde das unter anderem Mega-Vorhaben wie die Energiewende negativ beeinträchtigen.
Das in Berlin ansässige MErcator Institute for China Studies (MERICS) schätzt die Auswirkungen eines Zweiten Kalten Kriegs noch drastischer ein. Mikko Huotari, der MERICS-Chef, sprach bereits von einer „Megakatastrophe“ oder einer „Kernschmelze“ der Weltwirtschaft. Von Gita Gopinath kamen konkretere Angaben. Im Falle einer Aufspaltung der Weltwirtschaft in zwei große Blöcke mit gleichzeitiger Handelsblockade zwischen den Blöcken würden die Verluste etwa 2,5 Prozent des BIP betragen. Die Aufspaltung könnte bei einigen Ländern wesentlich härter einschlagen und vereinzelt Einbrüche von bis zu sieben Prozent des BIP betragen. Vor allem ärmere Länder seien hier einem erhöhten Risiko ausgesetzt.
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