Wohnungsbau
Niedersachsen legt Bau-Turbo ein – und entschlackt drastisch die Bauvorschriften
Die Baubranche steckt in der Krise. Es fehlt an Wohnungen. Das Bundesland Niedersachsen will jetzt massiv entbürokratisieren.
Hannover – Seit Monaten steckt die Baubranche in der Krise. Das zeigt sich zum Beispiel an den fehlenden Wohnungen, an den geringen Fertigstellungszahlen, daran, dass Bauunternehmen wie die Helma Eigenheimbau AG Insolvenz anmelden müssen. Das Land Niedersachsen nimmt jetzt eine Vorreiterrolle ein – und fasst die Bauvorschriften an.
Reform der Bauvorschriften in Niedersachsen – „Einfacher, schneller und günstiger“ bauen
Schon im April hatte die Landesregierung von Niedersachsen angekündigt, das Bauen im Bundesland „einfacher, schneller und günstiger“ machen zu wollen. Eine Reform der Bauvorschriften sollte mehr bezahlbaren Wohnraum schaffen und die Bauunternehmen stärken. So hatte es der Bauminister Olaf Lies (SPD) ausgedrückt. Anfang April hatte das Kabinett die Reform beschlossen – und seit dem 1. Juli ist die Planung von damals Realität.
Unter Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) will das Bundesland eine drastische Entbürokratisierung am Bau vornehmen. Nachdem das Vorhaben auf erhebliche Widerstände gestoßen war, sind ab sofort verschiedene neue Regelungen in Kraft. Zum Beispiel gilt eine beantragte Genehmigung jetzt als automatisch erteilt, wenn die zuständige Behörde nicht innerhalb von drei Monaten über den Antrag entscheidet. Außerdem gibt es keine verbindliche Vorgabe mehr dafür, wie viele Parkplätze bei einem Neubau geschaffen werden müssen.
Diese Bauvorschriften verändern sich in Niedersachsen
Auch Altbauten sind von den neuen Regelungen betroffen: Hausbesitzer, die einen Altbau renovieren oder erweitern, müssen Wände, Decken und ähnliches nicht mehr aufwändig an aktuelle Neubau-Standards anpassen. Stattdessen dürfen sie sich an den Standards des Baujahrs orientieren, selbst wenn es ältere Bauten sind. Das fasste der Focus zusammen. Das Niedersächsische Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Bauen und Digitalisierung hatte weitere Änderungen aufgelistet, darunter zum Beispiel:
- Erweiterung des Anwendungsbereichs verfahrensfreier Nutzungsänderungen – Baumaßnahmen zur Modernisierung und zum Erhalt von Gebäuden sollen unter bestimmten Voraussetzungen von den Bauaufsichtsbehörden zwingend zugelassen werden
- Grundsätzliche Reduzierung der Grenzabstände bei Umbauten
- Genehmigungsfreiheit für Dachgeschossausbau auch innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile nach § 34 BauGB (unbeplanter Innenbereich)
„Die Änderungen sind wegweisend“ – Reform der Bauvorschriften in Niedersachsen kommt gut an
Die Verbände der Baubranche zeigten sich bereits im Vorfeld von der Novelle der Bauvorschriften begeistert. „Passend zum Landeswappen ist Niedersachsen Vorreiter für einen Aufschwung im Wohnungsbau: Die beschlossenen Änderungen, die jetzt in Kraft treten, sind wegweisend, können zur Erleichterung im Wohnungsbau führen und die Kosten senken. Viele unserer Forderungen, etwa im Rahmen des „Bündnis bezahlbarer Wohnraum“ oder aus dem 14-Punkte-Plan der Bundesregierung, wurden umgesetzt“, sagte Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Industrie, auf Anfrage von IPPEN.Media.
Bei diesen Forderungen waren zum Beispiel die Streichung der Parkplatzbau-Pflicht, Absenkung von Umbaustandards, geringere Grenzabstände und die Anerkennung von Typengenehmigungen anderer Bundesländer dabei. „Diese Änderungen können dazu führen, dass schneller und mehr Wohnraum gebaut wird, weil unter anderem das industrielle Bauen, seriell und modular, länderübergreifend erleichtert wird. Damit schaffen wir aus eigener Kraft, die Baukosten und damit auch die Mietkosten um bis zu 20 Prozent zu senken. Hier sollten alle andere 15 Bundesländer genau hinschauen.“
Ähnlich sieht das der Verband der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft in Niedersachsen und Bremen (vdw). „Durch die abgesenkten Standards bei Umbaumaßnahmen im Bestand als auch durch die Erleichterungen im Neubaubereich werden Baukosten spürbar gesenkt. Das führt direkt zu geringeren Wohnkosten und somit einer Entlastung Tausender Mieterhaushalte“, zitierte der NDR deren Verbandsdirektorin Susanne Schmitt.
Mietpreise steigen weiter – Baubranche kommt nicht mit Zielen der Regierung hinterher
Während der vergangenen Monate hatte die Baubranche wiederholt gewarnt und die Politik in die Pflicht genommen. Die Zahl der Baugenehmigungen geht stetig zurück, von den 400.000 Wohnungen, die die Regierung pro Jahr bauen soll, konnte sie 2023 weniger als 300.000 realisieren. Laut der WirtschaftsWoche fehlen annähernd eine Million Wohnungen. Der Mietmarkt steht unter Druck, die Mieten steigen immer weiter an.