Rückkehr zur „Agenda 2010“
Bürgergeld-Regelungen verschärft: Ein Rückfall in das alte Hartz-IV-System?
Für die SPD handelt es sich um eine zentrale Sozialreform, für die FDP um einen Irrtum: Die Ampel zieht die Zügel beim Bürgergeld an. Kritiker warnen.
Berlin – Empfänger von Bürgergeld sind im Fokus – und die Sozialleistung selbst ist unter Druck. Die Ampel-Koalition hat im Rahmen des Wachstumspakets bereits weitreichende Änderungen angekündigt und dabei vor allem die Anforderungen an die Bezieher erhöht und die Sanktionen verschärft. Dennoch dringt die oppositionelle CDU weiterhin auf Reformen – unterstützt von der FDP innerhalb der Regierung.
Mit Blick auf die bereits beschlossenen Verschärfungen beim Bürgergeld im Rahmen des Wachstumspakets erklärte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai gegenüber der Deutschen Presse-Agentur, dass diese nicht reichten. „Wir wollen weitere Reformen beim Bürgergeld.“ Leistung solle sich wieder mehr lohnen und die Sozialausgaben sollten sich wieder mehr auf die konzentrieren, „die tatsächlich Unterstützung benötigen“.
„Zurück im alten Hartz-IV-System“? SPD-Sozialpolitikerin äußert Kritik an Bürgergeld-Verschärfung
Doch bereits nach den von den Spitzen der Ampel-Koalition präsentierten Bürgergeld-Verschärfungen regt sich Kritik. „Wenn die Sanktionen so kommen, wie der Regierungsentwurf es vorsieht, dann wären wir in diesem Punkt zurück im alten Hartz-IV-System“, sagte etwa SPD-Politikerin Annika Klose im Interview mit der TAZ. Klose ist Sprecherin für Bürgergeld innerhalb der Bundestagsfraktion der Sozialdemokraten.
Angesichts der Haushaltsdebatte hatte die Ampel-Koalition Regelverschärfungen vorgestellt, um Leistungsempfänger zur Aufnahme einer Arbeit zu bewegen. Die Änderungen am Bürgergeld sehen etwa härtere Sanktionen vor, wenn Arbeitslose eine Arbeitsstelle ablehnen. Zudem soll ein Arbeitsweg von bis zu drei Stunden als zumutbar gelten. Für sogenannte „Totalverweigerer“ will die Ampel „Ein-Euro-Jobs“ einführen.
„Einen Schritt weiter als Hartz IV“: Was bleibt nach der Verschärfung noch vom Bürgergeld?
Für Klose sind diese Verschärfungen „aus fachlicher Sicht […] überhaupt nicht sinnvoll“. Schärfere Sanktionen würden zwar dazu führen, dass Arbeitslose schneller einen Hob einnehmen, aber es zeigten sich auch negative Auswirkungen auf das Lohnniveau. „Im Hartz-IV-System haben wir gesehen, dass sich ein Drehtür-Effekt eingestellt hat, wenn die Leute Jobs angenommen haben, die nicht zu ihnen passen“, sagte Klose.
Die Verschärfungen am Bürgergeld gehen laut Klose „sogar einen Schritt weiter“ als Hartz IV. Eine vollständige Streichung des Regelsatzes habe es zuletzt nicht einmal bei Hartz IV gegeben. Kritik am Bürgergeld als eine Art „bedingungslosem Grundeinkommen“ widersprach die Abgeordnete. Sie verweis dabei auf Mitwirkungspflichten und bereits bestehende Sanktionen. Das Problem sei jedoch, „dass die vielen sinnvollen Instrumente, die wir eingeführt haben, daran scheitern, dass den Jobcentern das nötige Geld nicht zur Verfügung steht“.
Was bleibt dann noch vom ursprünglich unterstützenden Ansatz des Bürgergelds? Klose sieht noch Teile, die bleiben. Dabei nennt die SPD-Politikerin den Kooperationsplan für die individuelle Unterstützung. „Auch die Abschaffung des Vermittlungsvorrangs bleibt, Menschen sollen eben nicht in die nächstbeste Arbeit vermittelt werden, sondern Qualifizierung wird gleichrangig gefördert“, erklärte Klose der TAZ.
„Auch Coaching und der soziale Arbeitsmarkt sind weiterhin wichtige Instrumente, die allerdings alle vom Etat der Jobcenter abhängen.“ Klose warnte dabei, dass die Haushaltseinigung für die Eingliederungs- und Verwaltungstitel der Jobcenter weniger Geld vorsehe.
Gegen Kritik an Bürgergeld-Änderungen: Lindner fordert „nächste große Sozialreform“
„Das Bürgergeld ist ad absurdum geführt, denn seine Regelungen sind jetzt sogar schlimmer als früher bei Hartz IV“, erklärte Helena Steinhaus, die sich mit ihrem Verein Sanktionsfrei für Bürgergeld-Empfänger einsetzt bereits Mitte Juli in einem Gastbeitrag für die Wochenzeitung Freitag. Die Verschärfungen würden das Leben vieler Menschen erheblich verschlechtern. „Bürgergeld-Betrug ist ein Randphänomen“, erklärte Steinhaus zudem auf Instagram.
Trotzdem will Bundesfinanzminister Christian Lindner weiterhin beim Bürgergeld sparen. Es habe nicht alle Erwartungen erfüllt. „Die nächste große Sozialreform muss kommen, denn damit können wir Milliarden Euro für Investitionen gewinnen“, sagte der FDP-Chef der Bild.
SPD-Politiker Helge Lindh warf Lindner daraufhin „Erpressung“ und „Selbstprofilierung auf Kosten des Sachverstandes“ vor. Eine „effektive Sozialreform“ sei nicht dazu da, Haushaltslöcher zu stopfen, berichtete die Bild.
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