Fachkräftemangel
Brain Drain in Deutschland – Studenten wandern ab
Deutschland lockt viele internationale Studenten an. Eine neue Studie zeigt jetzt: Die Absolventen - insbesondere Migranten - suchen nach dem Studium wieder die Flucht. Im Ausland wollen sie attraktivere Jobchancen wahrnehmen.
Deutschland fehlt es an Arbeitskräften. Eine Analyse der Bundesagentur für Arbeit ergab, dass allein im Jahr 2022 in 200 von etwa 1200 bewerteten Berufen ein Engpass herrschte - eine signifikante Zunahme im Vergleich zum Vorjahr. Somit fehlt in jedem sechsten Beruf Personal. Ein Zustand, der von der Politik nicht mehr ignoriert werden kann. Auf internationalen Reisen werben Bundeskanzler Olaf Scholz und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) für den Studienort Deutschland und schrauben an Gesetzeslagen herum, um junge und qualifizierte Menschen nach Deutschland zu ziehen.
Die Rechtslage des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes wurde weiter liberalisiert und soll die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte leichter gestalten. Dafür wurde mit vielen Staaten, wie Marokko und Indien, ein Anwerbeabkommen geschlossen. Die Zielgruppe: Junge Menschen, die bereits eine Ausbildung oder ein Studium absolviert haben. Durch das Gesetz zur Fachkräfteeinwanderung möchte die Bundesregierung Hindernisse zur Einreise beseitigen. Personen mit zwei Jahren Berufserfahrung und einem Abschluss im Heimatland können als Fachkräfte nach Deutschland kommen.
Drohender Brain Drain in Deutschland
Der Appell der Politik: „Wir wollen, dass Fachkräfte schnell nach Deutschland kommen und durchstarten können. Bürokratische Hürden wollen wir aus dem Weg räumen“, so Bundesinnenministerin Nancy Faeser, „wenn Menschen Berufserfahrung oder persönliches Potenzial mitbringen, werden wir es ihnen ermöglichen, auf unserem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.“
Allerdings werden auch Studenten, die nach ihrem Abschluss in Deutschland bleiben möchten, aktiv gesucht. Eine aktuelle Studie zeigt jedoch, dass dieses Vorhaben schwer zu realisieren ist. Der starke Arbeitskräftemangel liegt derzeit bei 1,8 Millionen offene Stellen und droht sich zu verschärfen. Das Land steht vor der Gefahr eines wachsenden „Brain-Drains“. Es droht die Abwanderung junger Menschen mit überdurchschnittlich guter Bildung. Einerseits kehren gerade ausländische Studierende vermehrt in ihre Heimatländer oder andere Länder zurück. Andererseits erwägen oder planen auch viele deutsche Studierende einen Umzug.
Laut Angaben der WELT führten der Personaldienstleister Jobvalley und das Department of Labour Economics der Universität Maastricht die Studie durch. Zwischen Oktober und November 2023 wurden 12.343 Studenten in ganz Deutschland befragt. Von ihnen hatten 24 Prozent einen Migrationshintergrund, 28 Prozent waren ausländische Studenten. Clemens Weitz, der Geschäftsführer von Jobvalley, bezeichnet die Ergebnisse und die sich daraus ergebenden Konsequenzen als eine „Bedrohung für den Wirtschaftsstandort Deutschland“.
Alarmierende Ergebnisse der Studie
Mehr als ein Sechstel (18 Prozent) der Umfrageteilnehmer beurteilen Beschäftigungsmöglichkeiten im Ausland positiver. Personen mit Migrationshintergrund schätzen ihre beruflichen Perspektiven im Ausland sogar zu 24 Prozent besser ein, was knapp 6 Prozentpunkte über dem Durchschnitt aller Studenten liegt. Weintz warnt: „Es ist besonders alarmierend, dass wir Gefahr laufen, jeden fünften bis sechsten Studierenden mit Migrationshintergrund zu verlieren.“
Besonders in zwei Branchen hat der Wirtschaftsstandort Deutschland mit Personalmangel zu kämpfen. Im MINT-Bereich sind laut Branchenverband Bitkom 149.000 Stellen unbesetzt. Das sind 12.000 mehr freie Stellen als noch vor einem Jahr. Im Gesundheitswesen sieht es derzeit zwar besser aus, das soll sich jedoch in den nächsten Jahren wieder ändern. Aufgrund der Überalterung des Landes rechnet die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PWC im Gesundheitswesen mit einem Negativrekord von 1,8 Millionen offenen Stellen im Jahr 2035.
Der Studie zufolge hat jeder siebte Student konkrete Pläne, das Land nach dem Abschluss zu verlassen. Zusätzlich zeigte die Untersuchung, dass sowohl die Zustimmung zu besseren Berufsaussichten im Ausland (24 Prozent) als auch die Absicht zur Auswanderung (17,5 Prozent) unter Studenten mit Migrationshintergrund höher ist.
Unzufriedenheit mit Deutschlands Wirtschaftslage
Die Politik leistet ihren Beitrag, jedoch sei noch nicht genug Engagement seitens der Wirtschaft zu sehen, bemängelt Weintz. „Unternehmen tun sich oft schwer damit, Berührungspunkte mit jungen Talenten zu finden“, sagt er. Personaler sollten Studenten während ihres Studiums unterstützen und Perspektivgespräche anbieten. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, langfristige Erfolge in der Fachkräftesicherung zu erzielen.
Deutschlands Wirtschaftslage hatte einen signifikanten Einfluss auf die Entscheidung der Studenten bezüglich ihres Studienstandorts. In der Umfrage beurteilten 28 Prozent der Befragten die aktuelle wirtschaftliche Situation in Deutschland als positiv oder eher positiv, während 34 Prozent sie als negativ oder eher negativ einschätzten. 36 Prozent äußerten sich hinsichtlich der zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung sehr pessimistisch.
Trotz der Abwanderungspläne zieht Deutschland weiterhin viele internationale Studierende an. Dies dürfte auch daran liegen, dass die Studiengebühren im internationalen Vergleich sehr niedrig sind. Laut Jobvalley waren im vergangenen Wintersemester von den knapp 2,9 Millionen Studierenden hierzulande rund 370.000 Ausländer eingeschrieben.
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