Tests, Kinder impfen und Kontaktbeschränkungen?
Virologe zur Corona-Pandemie: „Brauchen einen Wellenbrecher für diesen Tsunami“
Im zweiten Teil des Interviews spricht Prof. Dr. Norbert Nowotny über Booster-Impfungen, was Deutschland und Österreich verschlafen hat und welche Maßnahmen jetzt noch Schlimmeres verhindern könnten.
Herr Dr. Nowotny, der Sommer und Herbst in Österreich und Deutschland lief recht locker ab - mit wenigen Beschränkungen. Haben die Länder verschlafen und hätten sie früher reagieren müssen, um die vierte Corona-Welle möglicherweise zu stoppen?
Stoppen, hätten wir die vierte Welle nicht können, aber wir hätten diesen enormen Anstieg sehr wohl flacher halten können. Das berühmte flatten the curve. Eine der Maßnahmen, was Österreich zumindest - wahrscheinlich auch andere europäische Länder - wirklich verschlafen hat, ist: Wir wussten es aus Israel, wo die Zahlen bereits vor einiger Zeit dramatisch angestiegen sind und wir wussten den Grund. Und zwar, dass die dritte Impfung nicht schnell genug verabreicht wurde. Man ging ursprünglich davon aus, dass die dritte Impfung wenn man Biontech-Pfizer hernimmt, nach neun bis zwölf Monaten reicht und Israel, das ja Biontech verimpft hat, hat uns ganz klar gezeigt, dass das nicht reicht. Die Immunität lässt fünf bis sechs Monate nach der zweiten Impfung deutlich nach, sodass dann bereits eine Dritt-Impfung notwendig ist. Die Israelis haben das vorgezeigt und seither sinken die Zahlen genauso dramatisch, wie sie gestiegen sind. Und obgleich Österreich, aber auch andere Länder das gesehen haben, haben sie meiner Ansicht nach viel zu spät reagiert.
Noch ist die Booster-Impfung nur für bestimmte Personengruppen offiziell empfohlen. Viele Politiker fordern aber eine Dritt-Impfung für alle nach einem gewissen Zeitabstand. Vielerorts ist es auch bereits möglich.
Ich glaube, das kommt bei allen und das macht Sinn. Denn nicht nur die israelische Erfahrung zeigt es, sondern wir sehen beinhart auch in Österreich, dass der Impfschutz fünf bis sechs Monate nach der zweiten Impfung deutlich nachlässt. Das heißt, die allermeisten Impfdurchbrüche, die wir sehen, sind bei Menschen, die korrekt zwei mal geimpft sind die, aber die zweite Impfung, schon vor sechs bis acht Monaten gehabt haben.
Pauschal gesagt, die Rettung für uns wären langfristig mehr Erst- und Booster-Impfungen? Aber kurzfristig brauchen wir auch noch Schutzmaßnahmen?
Die Strategie muss mehrere Arme haben. Also das eine natürlich forcieren der Impfung. In Österreich ist es eben durch diesen Druck der 2G Regel und der „Lockdown für Ungeimpfte“. Wo wir in Österreich, in Deutschland wahrscheinlich auch, hinterherhinken, ist die Impfrate bei den zwölf bis 18-Jährigen, wo der Impfstoff von der EMA ja zugelassen ist. Trotzdem haben wir da noch Nachholbedarf und das sollte durch entsprechende Aufklärung auch möglich sein. Die Impfung von Fünf- bis Zwölfjährigen wird wahrscheinlich innerhalb der nächsten zwei Wochen von der EMA zugelassen werden. Dann sollte das auch eine Möglichkeit sein.
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In Wien gibt es bereits eine Impfstraße für die Fünf- bis Zwölfjährigen und die ist gut besucht, da sind fast alle Termine schon weg. Das ist eigentlich auch ein positives Zeichen, weil wir derzeit in den Schulen und bei dieser Altersgruppe eine sehr hohe Infektionsrate haben. Im Übrigen die Schulen werden in Österreich nach Möglichkeit offen bleiben. Und das kann man deswegen tun, weil die Schulen eines der best-kontrollierten Systeme sind. Bei uns müssen sich alle Schüler dreimal die Woche testen lassen. Davon einmal mindestens ein PCR-Test. Und damit haben wir allein in der letzten Woche 3500 positive Schüler herausgefischt. Das heißt, die werden öfter getestet als wenn sie im Homeschooling zu Hause wären. Und wir alle wissen, die ganzen psychischen Komponenten, die Probleme, dass sich die Eltern dann von ihrem Arbeitgeber frei nehmen müssen, wenn die Kids zu Hause sind. Also das alles wird versucht, mit dieser engmaschigen Test-Strategie in den Schulen, zu umgehen. Plus Aufklärung, damit die Impfquote in den Altersgruppen der Schüler erfüllt wird.
Welche Strategien braucht es noch, um die Infektionszahlen wieder zu reduzieren?
Also das ist der eine Arm, die Impfung. In Deutschland schaut es ja noch besser aus, weil Deutschland mit einem niedrigeren Ausgangsniveau in diese vierte Welle gestartet ist. In Österreich war man ja mit den Zahlen pro 100.000 Einwohner deutlich höher. Das heißt, wir müssen auch jetzt restriktive Maßnahmen setzen. Weil die Impfung ist eine gute mittel- und langfristige Strategie. Aber wir brauchen jetzt einen Wellenbrecher für diesen Tsunami und das sind die diversen Maßnahmen, die jetzt in Oberösterreich und Salzburg gelten und wahrscheinlich am Mittwoch noch weitere Verschärfungen, die verkündet werden. Da geht es um die berühmte Kontakt-Reduktion, die in Österreich circa ein Drittel ausmachen sollte. Homeoffice ist eine Möglichkeit, aber das allein wird nicht reichen. Da braucht man eben noch ein paar andere Maßnahmen. Und das dritte ist die 2G+ Regel.
Überall dort, wo eher nur ein kurzfristiger Kontakt ist, ist das Plus, der zusätzliche Test, ein professionell abgenommener Antigen-Schnelltest. Überall dort, wo man länger zusammensitzt, wie zum Beispiel betriebliche Weihnachtsfeiern, würde ich einen 48 Stunden gültigen PCR-Test empfehlen, weil der einfach sensibler ist. Und damit können wir zumindest eine gewisse Zeit vielleicht noch ein paar Weihnachtsfeiern oder Adventmärkte retten. Aber wir müssen die Situation natürlich ganz fest im Auge behalten, weil wir haben noch laufend steigende Infektionszahlen.
Auch in Deutschland schnellen die Zahlen nach oben. Heißt das, man müsste auch hier mit restriktiveren Maßnahmen nachziehen?
In jenen Bezirken, wo die roten Zahlen durch die Decke gehen, wird einem wohl nichts anderes übrig bleiben.
Herr Nowotny, vielen Dank für dieses Gespräch.
ce