Ralph Denk über die Tour de France
Hat Roglic noch eine Chance? – Wie Bora-Boss Ralph Denk den Verlauf der Tour einschätzt
„Wir sind noch im Spiel“: Bora-Kapitän Primoz Roglic muss für den Rest der Tour auf seinen Helfer Alexander Wlassow verzichten, der sich den Knöchel brach. Welche Hoffnung hat Ralph Denk, der Boss von Red Bull Bora-hansgrohe, noch für die diesjährige Tour?
Herr Denk, Ihr Kapitän Primoz Roglic ist als Vierter nicht ganz vorne, aber noch ordentlich im Rennen, oder?
Ralph Denk: So würde ich das auch sehen. Das hätte am Sonntag ganz anders aussehen können. Aber wir sind noch im Spiel und das ist erstmal das Wichtigste. Primoz hatte ein super Zeitfahren. So gut war er leider nicht immer. Aber gut, du musst auf Augenhöhe sein und da sein, wenn andere schwächeln.
Sie sprechen einen kritischen Moment der 9. Etappe an, als Roglic gegenüber den anderen Favoriten im Hintertreffen war.
Denk: Ja, wir müssen darüber noch reden. Im zweiten Gravel-Sektor hat die Abstimmung im Team nicht geklappt. Aber ich weiß es noch nicht, ob die Helfer nicht da waren oder ob Primoz nicht da war.
Im Moment scheint die Tour so spannend wie lange nicht mehr. Ist sie auch so gut wie lange nicht mehr?
Denk: Jein. Aus Fansicht kann man das sicher so sagen. Zumal auch schon mehrere kleinere Teams, zuletzt sogar ein Zweitligateam, etwas gewonnen haben. Aber mir fehlen noch ein bisschen die Schlagabtausche der großen Teams. Da war noch nicht viel. Aber der Radsport hat sich wohl geändert. Mit all den Performance-Experten ist alles zusammengerückt. Da geht es nur noch um Sekunden, nicht um Minuten, so wie Jan Ullrich, der gegen Marco Pantani bei einer schlechten Etappe mal mehrere Minuten verloren hat.
Remco Evenepoel liegt nur gut 30 Sekunden hinter Tadej Pogacar. Überraschend für Sie?
Denk: Na ja, dass der Weltmeister Zeitfahren kann, haben wir gewusst. Dass er so über den Galibier kommt, vielleicht nicht so sehr. Aber das war natürlich eine frühe Etappe. Bei anderen Grand Tours hat er in der zweiten Hälfte nicht mehr so gut ausgesehen. Das wird eine der spannenden Fragen.
Wo rechnen Sie mit den Showdowns der Großen?
Denk: In den Pyrenäen wird sich das Feld vorsortieren. Aber es kann gut sein, dass es erst am letzten Wochenende richtig zur Sache geht. Wäre schön, wenn wir dann noch dabei sind. Wir gehören sicher nicht zu den Topfavoriten, aber hoffen muss man.
Vor dem Start hat ihr Sportchef Rolf Aldag angekündigt, dass Titelverteidiger Jonas Vingegaard auf den ersten Etappen auf seine Form getestet wird. Wie ist der Test ausgefallen?
Denk: Wir von Red Bull Bora-hansgrohe waren da jetzt nicht so dabei. Aber Tadej Pogacar hat das ein Stück weit gemacht, ja. Auch wenn dabei weniger herausgesprungen ist, als er das wahrscheinlich wollte. Das wird interessant, wie sich Vingegaard entwickelt. Wird er mit den Rennkilometern besser? Oder lässt er nach, weil ihm nach seinem Sturz im Frühjahr doch die Basis fehlt? Ganz schwer zu sagen, das ist wie Würfeln. Da fehlen mir im Detail natürlich die Einblicke. Pogacar auf der anderen Seite schaut bislang sehr attraktiv aus. Sehr stark. Aber das war im letzten Jahr ja lange ähnlich, und dann ist er beim Zeitfahren in Megeve gegen Vingegaard fürchterlich untergegangen.
Abseits der Tour gab es am Samstag den tödlichen Sturz des Norwegers Andre Drege in Österreich. Wie weit wirkt der auch bei der Tour nach?
Denk: Ich kannte den Fahrer und auch das Team nicht. Trotzdem sind unsere Gedanken bei den Hinterbliebenen. Natürlich denkt man auch an den Sturz von Gino Mäder bei der Tour de Suisse im vergangenen Jahr. Das zeigt: Der Radsport bleibt einfach gefährlich.
Zu gefährlich?
Denk: Das ist die Frage. Wir haben darüber diskutiert, ob der Radsport in 20 Jahren noch der Gleiche ist. Ob solche Bergmassive wie in der Schweiz oder jetzt der Großglockner dann noch Teil des Sports sind. Man muss sich entscheiden, ob man tolle, spektakuläre Bilder oder möglichst geringes Risiko haben will. Dann muss man am Nürburgring fahren.
Kann man den Sport unter den gegebenen Bedingungen sicherer machen?
Denk: Da habe ich meine Zweifel. Vergleichen Sie das mit einer Abfahrt beim Skifahren. Da fährt man fünf, sechs Kilometer. Wir fahren auf einer Etappe 200. Das kann man nicht beherrschen.
Also muss man ein Grundrisiko akzeptieren?
Denk: Vielleicht gibt es kluge Köpfe, die gute Ideen haben. Aber ich vermute es, ja.
Interview: Patrick Reichelt