Vor dem Viertelfinale gegen Frankreich
Zwischen Meilenstein und deutscher Schwäche: Die Gruppenphase der EM in der Analyse
Die deutschen Damen haben bei der Europameisterschaft in der Schweiz die Gruppenphase gemeistert und sind ins Viertelfinale eingezogen. beinschuss.de analysiert die ersten drei Spiele des DFB-Teams und die Gruppenphase dieser EM.
Rosenheim - Die Frauen-EM begeistert in diesem Jahr mit voller Wucht – nicht nur sportlich, sondern auch gesellschaftlich. Volle Stadien, großartige Kulissen, leidenschaftliche Fans und Überraschungssiege machen das Turnier für Fußballfans zu einem Highlight.
Frauenfußball rückt aus dem Schatten heraus
Auch Franziska Sigl von der DJK Traunstein sieht die EM als vollen Erfolg: „Die Europameisterschaft in der Schweiz jagt einen Rekord nach dem nächsten. Gerade was die Medienreichweite und die Zuschauerzahlen betrifft. Ich nehme die öffentliche und mediale Aufmerksamkeit durchweg positiv wahr. Diese EM ist ein Meilenstein, der aufzeigt, dass sich mit dem Frauenfußball gerade ein absolut rentabler Markt entwickelt. Ich durfte bei der 1:4-Niederlage gegen Schweden in Zürich live vor Ort sein. Die Schweiz lebt die Europameisterschaft, es gibt dort aktuell kein anderes Thema. In allen Supermärkten, auf Werbeflächen, in Restaurants – egal wo man hinschaut – die EM ist überall. Ich denke, das ist das erste Frauenfußballturnier, welches nicht mehr im Schatten stattfindet, sondern völlig zurecht selbstbewusst im Rampenlicht der Gesellschaft steht.“
Als große Überraschung der Gruppenphase sieht sie vor allem zwei Mannschaften: „An der Schweiz und Italien kommt man nicht herum. Beide Teams treten mit einer Geschlossenheit auf, welche im Turnier noch seinesgleichen sucht. Die Schweizerinnen erreichen erstmals bei einer Europameisterschaft die K.-o.-Runde, die Italienerinnen erstmals seit 1997 – das ist für beide Nationen natürlich sensationell.“ Für die Italienerinnen geht der EM-Traum weiter. Sie setzen sich im Viertelfinale gegen Norwegen durch. Die Schweiz trifft am Freitag auf Titelfavorit Spanien.
Defensive als Achillesferse
Das deutsche Team sucht dagegen noch etwas nach seinem Spiel. Obwohl man die ersten beiden Spiele gegen Polen und Dänemark mit 2:0 und 2:1 für sich entscheiden konnte, gibt es nach der krachenden 1:4-Niederlage gegen Schweden noch einige große Fragezeichen, auf die Bundestrainer Christian Wück eine Antwort finden muss.
Das größte ist dabei zweifelsfrei die Verteidigung, die weiterhin die große Achillesferse der DFB-Frauen darstellt. Vor allem nach dem schmerzlichen Ausfall von Kapitänin Giulia Gwinn und der Sperre von Carlotta Wamser nach ihrer Torwartaktion gegen Schweden sorgen dafür, dass der Bundestrainer kreativ werden muss, um die Löcher in der Abwehr zu stopfen. Ein Schlüssel dafür ist für Franziska Sigl vor allem eine Spielerin: „Eine erfahrene, schnelle Kathy Hendrich könnte der Defensive gegen die flinken Französinnen guttun.“ Bisher hatte Wück auf der linken Seite auf Sarai Linder vom VfL Wolfsburg gesetzt, diese präsentierte sich jedoch vor allem gegen Schweden oftmals wacklig. Gegen Frankreich wird sie jedoch wahrscheinlich auf der rechten Abwehrseite zum Einsatz kommen.
Eklatante Offensivschwäche im deutschen Team
Ein weiteres großes Problem ist auf der anderen Seite des Feldes zu finden. In allen drei Spielen taten sich die DFB-Damen unglaublich schwer, zu Torchancen zu kommen. Flanke um Flanke segelte in den Strafraum, doch oftmals ohne Abnehmer. Insgesamt schlug die deutsche Mannschaft in der Gruppenphase hinter Schweden die zweitmeisten Flanken, bei der Genauigkeit war man jedoch das drittschlechteste Team und das, obwohl man mit Lea Schüller eine ausgezeichnete Abnehmerin dafür hat.
Doch genau jene Lea Schüller wirkt trotz ihrer zwei Treffer im System von Christian Wück oftmals komplett verloren. Das dauerhafte Spiel über die Außenbahn raubt der 27-Jährigen eine ihrer großen Stärken, das Spiel mit dem Ball, das sie beim FC Bayern so erfolgreich macht. Das sieht auch Franziska Sigl so: „Allgemein konnte die deutsche Offensive ihre Stärken im bisherigen Turnier nicht aufzeigen. Das System Flankenläufe scheint nicht zu funktionieren. Lea Schüller wirkt oft isoliert und wird nicht richtig mit ins Spiel genommen. Ihre spielerische Stärke und vor allem auch die Stärke, Bälle festzumachen und zu verteilen, wird viel zu wenig genutzt. Mit Jule Brand und Klara Bühl finden sich in der vorderen Reihe kreative, dribbelstarke Spielerinnen wieder, welche es durchaus möglich machen würden, Schüller spielerisch mit einzubinden.“
Zentraler Fixpunkt fehlt weiterhin
Einen direkten Zusammenhang zur Schwäche in der Offensive hat sicher auch das Fehlen eines klaren Dreh- und Angelpunkts in der Zentrale. In allen drei Spielen gingen die Bälle im deutschen Team in der Zentrale viel zu oft verloren oder wurden mehr schlecht als recht weitergeleitet. „Die Engländerinnen mit Keira Walsh und die Spanierinnen mit Aitana Bonmatí haben solche Spielerinnen in ihren Reihen. Sie haben diese Ruhe am Ball, Übersicht und eine unglaubliche Passqualität. Im deutschen Team kommt diesem Spielerinnenprofil vermutlich Sjoeke Nüsken am nächsten. Nüsken ist präsent im Zentrum und bringt ein solides Passspiel mit, agiert in der Regel aber zu weit von der Zentrale entfernt, um dort ein fixer Anker zu sein“, findet Sigl.
Und dann wäre da noch das große Fragezeichen auf der Torhüterinnenposition. Während sich Ann-Katrin Berger gegen Polen und Dänemark noch mit Paraden auszeichnen konnte, wirkte sie gegen Schweden ziemlich wacklig. Vor allem ihr riskantes Passspiel sorgt immer wieder für Herzrasen bei den deutschen Fans, der Bundestrainer suchte hier nach der Dänemark-Partie auch schon das Gespräch mit seiner Nummer Eins. Geändert hat sich jedoch wenig. Auch gegen Schweden leistete sich Berger den ein oder anderen Ausrutscher im Passspiel.
Für Sigl führt dennoch kein Weg an der 34-Jährigen vorbei: „Als Torhüterin steht man natürlich sehr schnell in der Kritik, weil es sofort auffällt, wenn man mal wackelt. Nachdem es im modernen Fußball mittlerweile auch stark auf die spielerischen Qualitäten einer Torhüterin ankommt, ist die aktuelle Diskussion schon gerechtfertigt, zumal die Unsicherheiten am Ball nicht nur einmal für Gefahr im deutschen Sechzehner gesorgt haben. Dennoch: An die Strafraumdominanz, die Elfmeter-Sicherheit und die mentale Stärke von Ann-Katrin Berger kommt aktuell keine andere deutsche Torhüterin ran. Das sind Parameter, welche im weiteren Turnierverlauf noch wichtig werden könnten, somit denke ich, dass Berger nach wie vor die richtige Stammtorhüterin der deutschen Nationalelf ist.“
Nun geht es für die DFB-Auswahl am Samstag im St. Jakob-Park von Basel gegen den bisher härtesten Gegner. Die Französinnen marschierten in einer schweren Gruppe mit England, der Niederlande und Wales ungeschlagen als Gruppensieger in Viertelfinale. Nach einigen verpatzten Turnieren scheint nun die Zeit der Mannschaft von Laurent Bonadéi gekommen zu sein. Dennoch sieht Sigl Chancen für die deutsche Mannschaft: „Sie müssen im Kopf schnell sein, den Gegnerinnen auf den Fersen stehen und ihnen die Spielfreude nehmen. Wenn das gelingt, werden sich für das deutsche Team sicherlich Chancen ergeben. Dann gilt es im Strafraum konsequent zu sein.“ Mut sollten die deutschen Damen auch aus der Vergangenheit ziehen, denn die Bilanz gegen Frankreich ist deutlich. Zwölf Siegen stehen sechs Niederlagen gegenüber. Auch bei der letzten EM setzte man sich im Halbfinale mit 2:1 durch. Das letzte Pflichtspiel ging jedoch in der Nations League mit dem gleichen Ergebnis an die Equipe Tricolore. (tb)