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Kolumne

Waldkraiburger Wochenschau: Bullshit-Bingo an Vorurteilen

Das Therapieangebot für psychisch Erkrankte ist gerade auf dem Land nicht ausreichend. Autorin Andrea Klemm hat die Skulptur (rechts) gemacht, als sie sich mit ihrer mentalen Gesundheit zum ersten Mal auseinandersetzte.
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Das Therapieangebot für psychisch Erkrankte ist gerade auf dem Land nicht ausreichend. Autorin Andrea Klemm hat die Skulptur (rechts) gemacht, als sie sich mit ihrer mentalen Gesundheit zum ersten Mal auseinandersetzte.

Vorurteile, die sich psychisch Kranke anhören müssen, vergleicht Autorin Andrea Klemm mit einem Bullshit-Bingo. Tami und Maximilian aus Waldkraiburg, die über ihre Borderline-Persönlichkeitsstörung sprechen, können ein Lied davon singen.

„Du lachst doch so viel“ oder „du gehst doch arbeiten, da kannst du doch gar keine (hier eine beliebige psychische Erkrankung einsetzen) haben.“ Oder „vielleicht bist du nur faul und suchst ´ne Ausrede.“ Auch ein Klassiker: „Dir fehlt doch gar nichts, was sollte denn da ein Mensch im Rollstuhl sagen?“ Das Bullshit-Bingo, das sich Menschen mit psychischen Erkrankungen anhören müssen, ist manchmal schwer zu ertragen. Viele Vorteile, null Ahnung - damit könnte man Menschen, die so reagieren, beschreiben.

Tami und Maximilian aus Waldkraiburg kennen das. Die beiden sprechen in der Heimatzeitung offen über ihre Borderline-Persönlichkeitsstörung und sind heute auf sich selbst stolz, das zu können. Sie sind mutig und machen anderen Menschen, die mit psychischen Problemen kämpfen, Hoffnung.

Nicht selten schämen sich Betroffene - und leiden dadurch doppelt. Dabei können sie nichts dafür. Es gibt keinen Grund sich zu schämen, wenn man krank ist. Die Kraft der Stigmatisierung ist leider robuster.

Wer vom Umfeld, beschämt wird, zieht sich noch schneller zurück. Selbst in der Ärzteschaft, gibt es häufig das Problem, dass Menschen mit einem psychischen Leiden nicht ernst genommen werden.

Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde geht davon aus, dass mehr als jeder vierte Erwachsene im Zeitraum eines Jahres die Kriterien für eine psychische Erkrankung erfüllt. Kinder nicht eingerechnet.

Andrea Klemm

Der Bedarf für einen Therapieplatz ist hoch, besonders seit der Corona-Pandemie. Erkrankte warten Monate oder Jahre auf einen Therapieplatz - besonders im ländlichen Raum. Im Landkreis Mühldorf schaut es da nicht rosiger aus. Der Weg bis zum Ersttermin ist für Erkrankte, die in einem schwarzen Loch stecken, eine Tortur.

Ähnliches berichten Tami und Maximilian. „Sich aus einer psychischen Erkrankung raus zu kämpfen, ist ein Vollzeitjob“, sagt der junge Mann. Denn häufig gehen Aufenthalte in psychiatrischen oder psychosomatischen Kliniken und eine Odysse durch Facharzt-Praxen damit einher.

Wenn man den Platz beim Therapeuten endlich hat und der auch der richtige ist, beginnt nicht selten der freie Fall. Je nach Therapieform wird vieles aufgerissen und dann geht‘s einem zunächst noch mieser. Eine emotional und körperlich aufreibende Zeit beginnt.

Und dann steht da das scheinbar unerreichbare Wort Heilung im Raum. Wie die Zielfahne bei einem Ultra-Marathon, bei dem man als unsportlicher Mensch, der barfuß auf spitzen Steinen, mit zwei linken Füßen, nackt bei Minusgraden und eisigem Gegenwind lostippelt. Heilung klingt nach einem Ergebnis, nach Wiederherstellung der Gesundheit. Wie nach einem Knochenbruch.

Doch bei einer psychischen Erkrankung geht es vielmehr darum, sich zu stabilisieren, Methoden und Maßnahmen zu lernen, wie man seinen Alltag in Würde hinbekommt und um Teilhabe am „normalen Leben“. Wie man das innere positive Erleben stärkt. Oder auch, wie man seiner Krankheit sagen kann: Heute bin ich stärker als du. Oder du bist nur noch eine verblassende Erinnerung an schwere Tage.

Heilung verläuft nicht linear, Heilung ist individuell. Und sie ist auch eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Nicht nur, was Verständnis und Aufklärung, Entstigmatisierung und Hilfsangebote betrifft. Wenn jeder vierte Erwachsene aufgrund psychischer Probleme, nicht arbeiten kann, dürfte das doch Grund genug für die Politik sein, tätig zu werden und für eine bessere psychotherapeutische Versorgung zu sorgen.

Und ein CDU-Generalsekretär, der ein Register für psychisch Kranke für eine gute Idee hält, hat den Schuss noch nicht gehört. Nicht nur, dass es die Stigmatisierung fördern würde. Auch würde es jene abschrecken, die sich dringend Hilfe suchen müssten. Verstörende Idee oder dummes Statement?

Bis die Politik in die Gänge kommt, kämpfen Menschen wie Tami und Maximilian dafür, ein Tabuthema zu enttabuisieren, Vorurteile abzubauen und auch darum, ihren Mut nicht zu verlieren.

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