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„Keine versteckte Botschaft“?

Spieler macht Wolfsgruß bei EM 2024: Türkische Rechtsextremisten auch in Deutschland aktiv

Harmlose Jubelgeste bei der EM 2024 und gefährliches Bekenntnis? So aktiv sind die Grauen Wölfe schon in Deutschland.

Berlin – Man könnte die kleine Geste beinahe possierlich finden, aber dafür ist die Sache dann doch zu ernst. Der türkische Nationalspieler Merih Demiral hat mit seiner Jubelgeste beim 2:1 im Achtelfinale bei der EM 2024 gegen Österreich für Aufsehen gesorgt. Der 26-Jährige formte nach seinem zweiten Treffer am Dienstagabend im Leipziger Stadion mit beiden Händen den sogenannten Wolfsgruß, ein Handzeichen und Symbol der „Grauen Wölfe“. So werden die Anhänger der rechtsextremistischen „Ülkücü-Bewegung“ bezeichnet, die in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet wird. In der Türkei ist die ultranationalistische MHP ihre politische Vertretung und Bündnispartnerin der islamisch-konservativen AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan. Die „Grauen Wölfe“ gelten als türkische Rechtsextremisten. In Deutschland werden sie aktuell immer aktiver, beobachten Experten.

EM 2024: Türkischer Spieler rechtfertigt sich

„Wie ich gefeiert habe, hat etwas mit meiner türkischen Identität zu tun“, sagte Demiral nach Mitternacht im Leipziger EM-Stadion. „Deswegen habe ich diese Geste gemacht. Ich habe Leute im Stadion gesehen, die diese Geste auch gemacht haben.“ Es stecke „keine versteckte Botschaft“ dahinter. „Wir sind alle Türken, ich bin sehr stolz darauf, Türke zu sein und das ist der Sinn dieser Geste“, sagte er. „Ich wollte einfach nur demonstrieren, wie sehr ich mich freue und wie stolz ich bin.“ Es werde hoffentlich noch mehr Gelegenheiten geben, diese Geste zu zeigen.

Merih Demiral jubelt im Stil der Grauen Wölfe.

Auch außerhalb der EM 2024: Wolfgruß in Deutschland präsent

Das dürfte dann zu immer neuen Irritationen führen, denn der „Wolfsgruß“ gilt als Erkennungsmerkmal: Denn Anhänger der Grauen Wölfe zeigen mit dem Wolfsgruß, wofür sie stehen. „Das ist eine rechtsextremistische, zutiefst antisemitische Bewegung, die sich gegen eine freiheitlich-demokratische Grundordnung richtet“, sagt Terror-Experte Hans-Jakob Schindler vom Counter Extremism Project (CEP) im Gespräch mit IPPEN.MEDIA Anfang des Jahres. Entstanden ist die ultranationalistische Gruppierung Mitte der 1950er Jahre in der Türkei, die Anhänger nennen sich selbst „Ülkücüler“, was übersetzt so viel wie „Idealisten“ bedeutet. Wer nicht zu den Turkvölkern gehört, wird von ihnen als minderwertig betrachtet, zum Beispiel Kurden und Armenier.

Rechtsextremisten aus der Türkei: „Wollen islamistischen Führerstaates etablieren“

Der türkische Nationalspieler Merih Demiral macht bei der EM 2024 den „Wolfsgruß“.

In den 70er Jahren haben türkische Einwanderer die Ideologie nach Deutschland getragen. Die Zahl ihrer Anhänger wächst aktuell, hierzulande gibt es mindestens 18.000 (Stand Januar 2024). In zahlreichen Städten vor allem in NRW betreiben sie Vereine, organisieren harmlos wirkende Kulturveranstaltungen und versuchen, auch auf deutsche Parteien politischen Einfluss auszuüben. „Deutsche Politiker sind gut beraten, sich nicht täuschen zu lassen. Es gibt auf deren Seite keine Gesprächsbereitschaft“, sagt Schindler. „Die Vereine, die zu der Bewegung gehören, tragen nicht zur Integration bei, ganz im Gegenteil. Sie streben eine Isolation türkischer Gemeinden in Deutschland an.“ Ihr Ziel: „Sie wollen eine islamistische Version eines Führerstaates etablieren.“

Tatsächlich sehen sich die hier lebenden Anhänger der Grauen Wölfe als Vertreter eines europäischen Türkentums, die in Ländern außerhalb der Türkei nationalistische Interessen durchsetzen sollen, erklärt Kemal Bozay. Er ist Politikwissenschaftler an der Internationalen Hochschule (IU) Köln und forscht seit Jahren zum Thema. Inzwischen ist eine neue Generation von Grauen Wölfen nachgewachsen, sagt Bozay.

Graue Wölfe: Daher kommt der Name

Die Anhänger berufen sich auf einen Gründungsmythos, laut dem die Türken von einer Wölfin abstammen.

Der Wolfsgruß soll außerdem mehrere Bedeutungsebenen haben: Die ausgestreckten Finger stehen demnach für die Türkei und den Islam. Der Ring, den Daumen, Mittel- und Ringfinger bilden, stellt die Welt dar.

Rechtsextremismus auch unter türkischen Jugendlichen verbreitet – Erdogan hofiert die Ultranationalisten

„Es gibt eine Wiederbelebung von Rechtsextremismus, das lässt sich weltweit beobachten“, so der Politikwissenschaftler. Das gelte auch für türkische Jugendliche in Deutschland. „Bei vielen hängt das sicherlich mit einer Identitätssuche zusammen.“ Manche haben in ihrem Leben Diskriminierungserfahrungen gemacht, sehen sich als Modernisierungsverlierer. „Die Vereine vermitteln ihnen: Hier bei uns kannst du ein stolzer Türke sein, wir nehmen dich gern auf.“

Antisemitismus gehört fest zum Kanon der Grauen Wölfe

In der Türkei werden die Rechtsextremisten von Staatschef Recep Tayyip Erdogan hofiert. Die Hauspartei der Wölfe, die rechtsextreme MHP, ist inzwischen eng mit Erdogans AKP verbandelt. Beide Parteien haben sich immer weiter angenähert, erklärt Bozay: „Die AKP ist seit einigen Jahren deutlich nationalistischer geworden, während die MHP zunehmend islamistische Züge trägt.“ Die jungen Grauen Wölfe machen immer mehr Propaganda im Netz für ihre nationalistisch-islamistische Sache, beflügelt auch vom Nahostkonflikt. „Eine antizionistische Tendenz ist in der Türkei weit verbreitet. Und Antisemitismus gehört ganz fest zum Kanon der Gruppierung.“

Doch bei Propaganda bleibt es nicht immer. Schon in den 70er Jahren waren die Wölfe für Gewalttaten verantwortlich. Das könne wieder passieren, sagt Extremismus-Experte Hans Jakob Schindler. „Wenn es zum Streit zwischen Deutschland und der Türkei unter Erdogan käme, wäre es schon denkbar, dass die aktiv werden. Sie schüchtern jetzt schon Erdogan-Kritiker ein und Mitglieder üben Gewalt gegen Minderheiten wie zum Beispiel Kurden aus.“ Es gebe überdies Hinweise darauf, dass die Gruppierung in kriminelle Aktivitäten wie Drogenhandel und Waffenschieberei verwickelt sei.

Auseinandersetzungen auf der Straße befürchtet: „Es wird eine Zuspitzung der Konflikte geben“

Auch Kemal Bozay fürchtet, dass es Auseinandersetzungen auf der Straße mit hier lebenden Kurden und kurdisch-libanesischen Familien geben könnte: „Es wird eine Zuspitzung der Konflikte geben, auch weil Konflikte aus dem Herkunftsland nach Deutschland getragen werden.“ Auch beim Verfassungsschutz heißt es, die Gewaltneigung der Ülkücü-Bewegung „gefährdet die innere Sicherheit in Deutschland“.

Verboten sind die Vereine rund um die Bewegung, anders als in Frankreich, aber nicht. Auch der Wolfsgruß ist erlaubt, in Österreich wurde er jüngst verboten. „Ich finde es richtig, dass Österreich juristische Schritte gegangen ist. Für Deutschland wäre das auch eine wichtige Maßnahme“, sagt Bozay. „Allerdings wäre das sehr aufwändig, denn die Dachverbände sind in über 300 Vereine untergliedert.“ Terror-Experte Hans-Jakob Schindler sieht noch einen weiteren Punkt: „Ein Verbot brächte diplomatische Schwierigkeiten mit sich, denn Erdogan unterstützt die Bewegung.“  

Rubriklistenbild: © picture alliance/dpa | Hendrik Schmidt

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