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Die gleichgültige Mehrheit
Ukrainische Offensive gegen Kursk: Keine Unterstützung der Bevölkerung mehr für Putin?
Ukrainische Truppen nähern sich Kursk. Putin hält Kurs, doch in der russischen Gesellschaft rumort es. Werden sie sich jetzt des Krieges bewusst?
Kursk – Wladimir Putin schweigt, doch was tut sein Volk? Es ist nun neun Tage her, seit ukrainische Truppen die Grenze zur russischen Region Kursk überschritten haben. Mittlerweile sollen nach Angaben des britischen Guardian 14 Brigaden der Armee von Wolodymyr Selenskyj, mehrere tausend Ukrainer samt Panzern und Artillerie, auf russischem Boden vorrücken. Umso näher sie der Stadt Kursk kämen, desto langsamer werde laut dem Institute for the Study of War (ISW) allerdings ihr Vorstoß. Putin äußerte sich einmal, am 12. August. Er schnitt dem Gouverneur der Region Kursk, Alexander Smirnow, das Wort ab, als dieser ansetzte, ausführlich über den feindlichen Einmarsch zu sprechen. Er wolle lieber von den Hilfsanstrengungen hören, so Putin.
Ein Ziel Kiews, darin sind sich westliche Medien und Putin einig, sei es, eine bessere Verhandlungsposition bei künftigen Gesprächen zur Beendigung des Krieges zu erreichen. Präsident Selenskyj sagte am Sonntag, der Angriff solle „Druck auf den Aggressor Russland ausüben“ und „den Krieg auf das Gebiet des Aggressors ausweiten“. Sein Gegenüber im Kreml entgegnete am Montag, es sei „offensichtlich, dass der Feind weiterhin versuchen wird, die Lage in der Grenzzone zu destabilisieren, um die innenpolitische Situation in unserem Land zu destabilisieren“. Erfolgreich sei dieses Vorgehen aber nicht. Wirklich?
Putins Angst: Zeigt die Kursk-Invasion dem russischen Volk, dass es im Krieg ist?
„Er will alles unterbinden, was den Grad der Besorgnis in der russischen Gesellschaft erhöhen könnte“, erklärte Olga Wlasowa, Expertin für russische Staatspropaganda am King’s Russia Institute in London gegenüber dem Guardian. Damit sei Putin im Ukraine-Krieg bisher weitgehend erfolgreich gewesen, denn er baue auf 20 Jahren Arbeit daran auf, „die Menschen davon abzuhalten, über Politik nachzudenken“, so Wlasowa.
Es steht zur Debatte, ob dies nun der Moment ist, in dem die russische Bevölkerung erwacht und sich in der Breite bewusst wird, dass ihr Land im Krieg steht. Putin bemüht sich, Führungsstärke zu zeigen und die Gravität der ukrainischen Invasion herunterzuspielen; ein Wort, dass er am Montag übrigens nicht benutzte. Die Propaganda-Organe des Kremls berichteten vor allem von „Menschen, die einander halfen, sprachen über Zivilisten, die ihre Häuser verlassen mussten, und über das Geld, das sie vom Staat bekamen“, fasste Russlandexpertin Wlasowa zusammen.
Der ukrainische Einmarsch als „erster Tag des Krieges“ für einfache Russen
So legte die Moskauer Tageszeitung Nesawissimaja Gaseta den Fokus auf das Leid der Zivilbevölkerung, als sie schrieb, dass mehr als 16 Prozent der Bevölkerung aus der Region Kursk evakuiert werden. Insgesamt sollen 190.000 Russinnen und Russen im Zuge der größten Evakuierung seit dem Zweiten Weltkrieg in Sicherheit gebracht werden.
Jekaterina Dunzowa, eine russische Oppositionspolitikerin, sprach mit einer von ihnen und erzählte der New York Times davon. Die Geflohene, so Dunzowa, habe angegeben, dass sie seit „dem ersten Tag des Krieges“ in der Notunterkunft in einem Kursker Studentenwohnheim sei. Was sie damit meinte: den Beginn des ukrainischen Einmarsches in der vergangenen Woche. „Davor haben wir unser Leben gelebt“, fuhr sie laut Dunzowa fort.
Eine neue Gefahr für das System Putin: Der „Point of no Return“ ist überschritten
Und diese Worte kamen aus dem Mund einer Frau, die in zwei Kriegsjahren an der Grenze zur von Russland überfallenen Ukraine lebte. Darauf, dass sich das System der neuen, inneren Gefahr bewusst ist, die von der ukrainischen Invasion ausgeht, deutet ein Meinungsbeitrag von Oleg Karpowitsch, dem Prorektor der russischen Akademie für Diplomatie, in der Zeitung Iswestija hin.
„Staat und Gesellschaft müssen sich in höchstem Maße vereinen und unnötige Sentimentalitäten ablegen“, schrieb Karpowitsch. Anstatt sich zu beschweren, müsse man „in den sauren Apfel beißen“ und sich „an die veränderte Realität anpassen“, denn „sowohl die Wirtschaft als auch die Café-Gesellschaft müssen akzeptieren, dass wir den ‚Point of no Return‘ überschritten haben“, so der Staatsbedienstete weiter.
Damit könnte er auf die apathische Mehrheit der russischen Bevölkerung abzielen, deren Einstellung der russische Meinungsforscher Denis Wolkow vom unabhängigen Levada Center als „erlernte Gleichgültigkeit“ beschrieb. Sie unterstütze passiv und automatisch, was das Regime tut, während sie darauf warte, dass die Unannehmlichkeiten ein Ende finden. Diese Menschen wolle das Regime beruhigen, indem es ihnen sage, „die Sanktionen funktionieren nicht, die westlichen Länder leiden, es gibt keinen Krieg“, so Propagandaforscherin Wlasowa. „Die Botschaft ist, dass das normale Leben weitergeht.“
Panzer, Drohnen, Luftabwehr: Waffen für die Ukraine
Die Ukraine bemüht sich um Russlands apathische Bevölkerungs-Mehrheit
Die Ukraine will deswegen im Gegensatz zu Russland zeigen, dass sie Zivilisten in besetzten Gebieten gut behandelt. Iryna Wereschtschuk, stellvertretende Premierministerin der Ukraine, kündigte am Mittwoch an, eine „Sicherheitszone“ in der Region Kursk zu errichten, um die eigenen Grenzen zu schützen. Russische Zivilisten, die sich in dieser Zone befänden, würden vom humanitären Völkerrecht geschützt, schrieb sie auf Telegram. Humanitäre Korridore sollen ihre Evakuierung sowohl in Richtung Russland als auch in Richtung Ukraine ermöglichen. Internationale humanitäre Organisationen würden in die Zone eingelassen.
Ob das genügt, um die Stimmung in Russland umschwingen zu lassen, bleibt fraglich. Als Söldnerführer Jewgenij Prigoschin im Juni 2023 rebellierte, zog eine Kolonne Bewaffneter gegen Moskau, entlang des Weges sympathisierte die Bevölkerung mit dem Wagner-Chef. Dennoch zog der Putsch vorüber, an der Apathie der russischen Bürgerinnen und Bürger änderte sich nichts und Prigoschin fiel einige Zeit später in einem brennenden Flugzeug vom Himmel. Meinungsforscher Volkovs gleichgültige Mehrheit hat nicht gesprochen. Ob sie es diesmal tut, bleibt offen.
Der Faktor Zeit könnte jedoch entscheidend sein, analysiert Steve Rosenberg, langjähriger Russland-Korrespondent der BBC. Denn: Umso länger das Wasser im Topf kocht, desto eher fliegt der Deckel weg. Putin sollte also möglichst schnell den Ofen ausmachen. (Michael Kister)