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Erik Marquardt, Migrationspolitiker und Chef der deutschen Delegation der Grünen im Europaparlament, bezweifelt das. Die „stille Diplomatie“ mit Erdogan sei „offensichtlich gescheitert“, erklärte er in einer Presserunde des Parlaments: Bislang sei die Lage immer schlimmer geworden. Marquardt sieht aber dennoch konkrete Hebel – und zweifelt zudem daran, dass Erdogans bekannte Drohungen, die Schleusen für eine große Zahl an syrischen Geflüchteten zu öffnen, überhaupt noch eine reale Basis haben.
Eigentlich gebe es „große Einigkeit“ im EU-Parlament bei der Verurteilung der Vorgänge in der Türkei, sagte Marquardt. „Vermutlich ist es kein Zufall, dass Erdogan genau jetzt den nächsten Schritt zur Autokratie geht“, erklärte er: Europa sei zumindest „gefühlt“ auf die Türkei als zweitgrößte Nato-Armee angewiesen, „mit Trump hat man jemanden, der sämtliche autokratische Entwicklungen bejubeln wird“ – unterdessen werde auf der Plattform X von Trumps (möglicherweise Noch-)Partner Elon Musk die Reichweite türkischer Oppositionsaccounts eingeschränkt.
Der Grüne forderte „mal einen anderen Hebel“ im Umgang mit Erdogans Türkei. Bislang handle die EU nach der Maßgabe, „wir halten die Klappe, wenn es um Menschenrechtsverletzungen geht und wir geben Geld – und dann machst du bitte, was wir wollen“. Marquardt nannte mehrere andere Ansatzpunkte:
So sei die Türkei wirtschaftlich in einer schwierigen Lage und „in gewisser Weise auf die EU angewiesen“. Interessiert sei das Land etwa auch an Rüstungsaufträgen. Die EU solle diese nur schließen, wenn Anforderungen an die demokratische Lage erfüllt seien, betonte Marquardt. Auch finanzielle Hilfen der EU für die Türkei – formal immer noch Beitrittskandidat – solle man nicht länger als „Blankoscheck an die Regierung schicken“, gerade angesichts von allgemeinen Kürzungen bei der Entwicklungshilfe. Auf Nachfrage zeigte sich Marquardt aber auch offen für Visumfreiheit als Verhandlungsmasse zwischen EU und Türkei.
Erdogan nach Imamoglu-Festnahme unter Druck setzen – Angst vor Migration aus Türkei „überschätzt“
Das hätte mehrere Vorteile, meinte der Grüne: Eine unkomplizierte Einreise sei ein „Freiheitsgewinn, den man den Menschen nicht so leicht nehmen kann“ – man könne „immer relativ effektiv damit drohen, diese Visumfreiheit auszusetzen“. Üblich sei es auch, derartige Partnerschaften etwa mit Menschenrechtsdialogen zu begleiten; laut Marquardt ein „relativ effektives“ Mittel.
Ein weiterer positiver Effekt aus Marquardts Sicht: Politisch Verfolgte aus Erdogans Türkei könnten mit einer neuen Visumfreiheit sicher in die EU ausreisen. Er rügte in diesem Zusammenhang „Doppelmoral“. Einerseits gebe es Solidaritätsbekundungen mit Opfern von Repression. Andererseits lasse man im Zweifelsfalls Flüchtende aus der Türkei Opfer von Pushbacks werden. Die Verfolgten nach Protesten gegen autoritäre Regimes seien „oft diejenigen, die dann an der Grenze nochmal von uns verprügelt werden“.
Auf dem Weg nach Europa: Die Aufnahmekandidaten der EU
Eine Absage erteilte Marquart der „Angst, dass Erdogan seine Möglichkeiten nutzt, mehr Geflüchtete nach Europa zu schicken“. Es werde „überschätzt, wie viele Menschen aus Syrien in der Türkei wirklich auf gepackten Koffern sitzen und in die EU kommen wollen“, meinte der Grünen-Politiker. Viele hätten sich mittlerweile eingerichtet. Und – ungeachtet von Rassismus und Mängeln in der Integrationspolitik im Land – auch türkische Wirtschaftskammern warnten davor, Syrerinnen und Syrer im großen Stile außer Landes zu bringen.
Die Linke-Europaabgeordnete Özlem Demirel bewertete die Lage in der Türkei zwar ähnlich, kam aber zu anderen Schlüssen. Die Türkei stehe am Scheideweg zwischen Autokratie oder Ende des Erdogan-Regimes, sagte sie. Der Wunsch, die Türkei in eine „Koalition der Willigen“ für die Ukraine einzubinden, dürfe für Erdogan nicht zum Freifahrtschein für Repressionen mutieren. Demirel sprach sich aber strikt gegen hochrangige Gespräche mit Erdogans Regierung aus. Und es sei auch der falsche Zeitpunkt für Gespräche über Visumfreiheit: Die Türkei sei im „Ausnahmezustand“. (fn)