„Es ist ERBÄRMLICH“
Trumps unglaubliches Sicherheitsleck Das steht in den vertraulichen Chat-Protokollen
J.D. Vance und Pete Hegseth nennen Europa einen „Trittbrettfahrer“ und „jämmerlich“. Der Grund, warum der Atlantic sich nun zur Veröffentlichung entschlossen hat.
Washington D.C. - In den USA wurden am Mittwoch die vollständigen Chat-Inhalte aus „diesem Signal-Chat“, wie das Atlantic Magazine schreibt, veröffentlicht - diesem Signal-Chat, in dem ein innerer Zirkel der US-Regierung um Donald Trump Mitte März Informationen rund um einen Angriff auf die Huthi-Miliz im Jemen diskutiert hatte, und dabei - wohl versehentlich - der US-Journalist Jeffrey Goldberg dazu eingeladen worden war.
Für Goldberg begann der Chat demnach damit, dass Trumps Sicherheitsberater Mike Waltz Vorschläge für ein Kernteam aus den relevanten Abteilungen einsammelte und dann auf ein Sicherheits-Briefing verwies, das im Namen des Präsidenten verschickt worden sei. Wenige Minuten später äußert sich Vizepräsident J.D. Vance: „Team, ich bin heute unterwegs auf einer Wirtschaftsveranstaltung in Michigan. Aber ich glaube, wir machen einen Fehler.“ Damit ist der teils informelle Ton gesetzt.
US-Team hat ungenügende Daten rund um Anschlagsplan
„Drei Prozent des US-Handels laufen über den Suezkanal, 40 Prozent des europäischen Handels tun es.. Es besteht die reale Gefahr, dass die Öffentlichkeit es nicht versteht und warum es notwendig ist. Der wichtigste Grund dafür ist, wie POTUS sagte, eine Botschaft zu senden.“ Der Respekt für Trump ist aus den Worten zu erkennen - in keinem Abschnitt des Chats sprechen die Teilnehmer abfällig über ihn. Vance schreibt dann allerdings: „Ich bin mir jedoch nicht sicher, ob dem Präsidenten bewusst ist, wie sehr dies im Widerspruch zu seiner aktuellen Botschaft an Europa steht.“ J.D. Vance seinerseits hatte auf der Münchner Sicherheitskonferenz keinen Hehl aus seiner Verachtung für Europa gemacht.
Joe Kent, Direktor des Nationalen Zentrums für Terrorismusbekämpfung und der neu von Trump ernannte CIA-Direktor John Ratcliffe stimmen zu, dass es keine Eile gäbe.
US-Team zeigt Arroganz gegenüber anderen Ländern offen im Signal-Chat
Hegseth meint daraufhin, es gebe wirklich viele Punkte zu bedenken (“Wirtschaft, Ukraine-Frieden, Gazza“), die Auswirkungen des Militärschlags darauf seien nicht abzusehen. Deshalb sei es umso wichtiger, sich bei der Kommunikation zu fokussieren auf: Erstens, Biden hat versagt und zweitens, der Iran hat bezahlt. Niemand wisse sowieso, wer die Huthis seien - womit er auch dem eigenen Volk außenpolitische Unwissenheit unterstellt. Es mache aber keinen Sinn zu warten, weil die Risiken nicht kleiner würden.
Trump-Berater Waltz entgegnet, dass man keine genauen Daten habe, wie groß die Auswirkungen eine Blockade des Suez-Kanals auf die US-amerikanische Wirtschaft seien. Auch er meint: Niemand außer den USA habe die Fähigkeiten, den Drohnen der Huthis etwas entgegenzusetzen. Auch wenn man warte, müsse der Militärschlag durch die Amerikaner erfolgen.
„Wenn du denkst, dass wir es tun sollten...“ meint Vance an Hegseth
„Wenn du denkst, dass wir es tun sollten, dann kann es losgehen“, meint Vance an Hegseth gerichtet. „Ich hasse es einfach, Europa schon wieder aus der Patsche zu helfen.“ - „Ich teile den Abscheu vor dem Schmarotzertum (oder: Trittbrettfahrertum, Anmerkung der Red.) der Europäer. Es ist ERBÄRMLICH“, schreibt Verteidigungsminister Pete Hegseth, gerichtet an den Vizepräsidenten. „Aber Mike hat recht. Wir sind die Einzigen auf dem Planeten (auf unserer Seite), die das können. Niemand sonst kommt auch nur annähernd heran.“ Im Original schrieb er „on our side of the ledger“, was ein Ausdruck aus der Buchhaltung ist und mit „zu unseren Gunsten“ übersetzt werden kann.
CNN analysiert diesen Abschnitt des Chats in mahnenden Worten: „Die wichtigste Erkenntnis für Europa aus den Gesprächen ist, dass die Abneigung gegenüber dem Kontinent viel tiefer geht als Trumps Obsession mit NATO-Ausgaben und Handelsdefiziten. Beamte, die dem Präsidenten Gehör schenken, sind feindseliger als er selbst.“ Was dann folgt, ist für CNN allerdings ein Hinweis auf die Unfähigkeit von Trumps Team - das preisgab, keine genauen Daten zu haben und sich wie Schuljungen in einem Klassenchat benahm.
US Signal-Chat: Wurden sicherheitsrelevante Informationen preisgegeben?
Der Chatverlauf am Samstag, 15. März, lief laut Atlantic wie folgt ab: Um 11:44 Uhr Ostküstenzeit postete Verteidigungsminister Pete Hegseth im Chat in Großbuchstaben: „TEAM-UPDATE:“ „AKTUELLE ZEIT (11:44 Uhr ET): Das Wetter ist GÜNSTIG. Gerade von CENTCOM BESTÄTIGT: Start frei für die Mission.“ Centcom oder Central Command ist laut Atlantic das militärische Kampfkommando für den Nahen Osten.
Danach postet Hegseth folgende Informationen:
- „1215et: F-18 START (Erstschlagpaket)“
- „1345: ‚Trigger Based‘ F-18 Erstschlagfenster beginnt (Zielterrorist befindet sich an seinem bekannten Standort, also SOLLTE er PÜNKTLICH SEIN – außerdem Start der Angriffsdrohnen (MQ-9)“
„1410: START weiterer F-18 (Zweitschlagpaket)“ - „1415: Drohnen greifen Ziel an (DIESER ZEITPUNKT WERDEN DEFINITIV DIE ERSTEN BOMBEN ABFALLEN, vorbehaltlich früherer ‚auslöserbasierter‘ Ziele)“
- „1.536 F-18-Zweitschlagstarts – außerdem wurden die ersten seegestützten Tomahawks gestartet.“
- „MEHR FOLGT (für die Zeitleiste)“
- „Bei OPSEC – also der operativen Sicherheit – sind wir derzeit sauber.“
- „Gott schütze unsere Krieger.“
Kurz darauf schrieb Vizepräsident J. D. Vance der Gruppe: „Ich werde für den Sieg beten.“
Trumps Team feiert Schlag gegen die Huthis im Chat - Waltz nutzt dazu Emojis
Um 13:48 Uhr schickte Waltz Goldberg zufolge eine Echtzeitinformation über die Bedingungen an einem Anschlagsort, offenbar in Sanaa: „Vizepräsident. Gebäude eingestürzt. Mehrere positive Identifikationen. Pete, Kurilla, der IC, tolle Arbeit.“ Sechs Minuten später schrieb der Vizepräsident, offenbar verwirrt von Waltz‘ Nachricht: „Was?“ Um 14 Uhr antwortete Waltz: „Ich tippe zu schnell. Das erste Ziel – ihr Raketenspezialist – haben wir eindeutig identifiziert, als er das Haus seiner Freundin betrat, und jetzt ist es eingestürzt.“
Vance antwortete eine Minute später: „Ausgezeichnet.“ Eine halbe Stunde später schrieb CIA-Direktor Ratcliffe: „Ein guter Anfang“, was Waltz mit einem Faust-Emoji, einem Emoji mit der amerikanischen Flagge und einem Feuer-Emoji beantwortet habe. Bei dem Anschlag waren laut jemenitischen Gesundheitsministerium mindestens 50 Menschen getötet worden.
Darum entschied sich das Atlantic-Magazin für eine Veröffentlichung
Das „Atlantic“-Magazin hatte zuerst lediglich auszugsweise aus dem Chatverlauf zitiert, die militärischen Details aus Rücksicht auf die Sicherheit von US-Soldaten jedoch ausgelassen. Trump, Waltz und andere Beteiligte und führende Regierungsmitglieder behaupteten jedoch unisono öffentlich, dass in dem Chat keinerlei vertrauliche Informationen geteilt wurden. Auch Hegseth bestritt vehement, „Kriegspläne“ übermittelt zu haben. Stattdessen diskreditierten sie den „Atlantic“ und dessen Chefredakteur.
Das Magazin entschied sich daher für die Veröffentlichung auch der heiklen militärischen Passagen. „Es besteht ein eindeutiges öffentliches Interesse daran, die Art von Informationen offenzulegen, die Trump-Berater in unsicheren Kommunikationskanälen ausgetauscht haben“, schrieb das Magazin zur Begründung - insbesondere, weil die Trump-Regierung versuche, die Bedeutung der Nachrichten herunterzuspielen. Man habe vor der Veröffentlichung verschiedene Regierungsmitglieder gefragt, ob sie Einwände hätten. Die meisten hätten nicht reagiert. Das Weiße Haus sei gegen die Veröffentlichung gewesen.
Trumps USA: Keine politischen Konsequenzen - Pentagon spielt Vorfall erneut herunter
Bis zum Mittwochabend (deutscher Zeit) gab es in Washington keine personellen Konsequenzen für den Faux-Pas. Kenner der neuen US-Politik bezweifeln allerdings auch, dass es die geben wird. Offenbar im Gegenteil: Trumps Sicherheitsberater Waltz spielte dies einmal mehr herunter und schrieb auf der Plattform X über die neue Enthüllung: „Keine Standorte. Keine Quellen und Methoden. Keine Kriegspläne.“ Außerdem seien ausländische Partner bereits vorab über die bevorstehenden Angriffe informiert worden.
In einer Stellungnahme des Pentagon hieß es wenig später, der Atlantic verbreite Fehlinformationen. Die zusätzlich veröffentlichten Chatnachrichten bestätigten demnach, dass keine geheimen Informationen geteilt worden seien. Hegseth habe die Gruppe lediglich über einen bereits laufenden Einsatz informiert, der zuvor über offizielle Kanäle kommuniziert worden sei. Demokraten und Fachleute werten die Verbreitung derart konkreter Informationen zu einem unmittelbar bevorstehenden Militärschlag über einen Messenger-Dienst, der nicht ansatzweise den Sicherheitsstandards für den Austausch solcher Informationen genügt, jedoch als kompletten Tabubruch, der jene Soldaten, die an dem Einsatz beteiligt waren, in Lebensgefahr brachte. (dpa/kat)
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