„Verfassungswidrig“
Söder will Pflege-Impfpflicht aussetzen: Hat er rechtlich eine Chance?
Es formiert sich Widerstand gegen die Impfpflicht für Pflegepersonal. Bayerns Landeschef Markus Söder will das Gesetz nicht umsetzen. Darf er das rechtlich überhaupt?
München - Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat seit Montag ein neues Image: das des Impfpflicht-Rebells. Ein Gesetz, das vor knapp drei Monaten beschlossen wurde, will er nun nicht umsetzen: die Impfpflicht für Klinik- und Pflegepersonal. Um alte und kranke Menschen vor einer Infektion mit dem Coronavirus* zu schützen, gilt diese ab Mitte März. Dann dürfen ungeimpfte Arbeitnehmer in Kliniken und Pflegeheimen nicht mehr arbeiten - zumindest theoretisch. Praktisch will Bayern das Gesetz aussetzen, kündigte Markus Söder* am Montag (7. Februar) überraschend an. Die Ministerpräsidenten in Sachsen und im Saarland unterstützen Söder. Und Virologe Hendrik Streeck findet Söders Kurswechsel durchaus „pragmatisch“*.
Aber darf der bayerische Ministerpräsident das überhaupt - ein abgesegnetes Bundesgesetz aussetzen? Beschlossen wurde die einrichtungsbezogene Impfpflicht für Beschäftigte im Gesundheitswesen im Dezember, die Union war dafür. Am gleichen Tag segnete der Bundesrat das Gesetz ab. Die ab 15. März gültige Teil-Impfpflicht ist seither Teil des Infektionsschutzgesetzes. Für die Ausführung des Gesetzes sind die Bundesländer zuständig, für die konkrete Ahndung von Verstößen laut ZDF heute die Behörden der Städte und Gemeinden.
Sie verhängen Bußgelder, und zwar bis zu 2500 Euro. Anweisungen dazu erteilen könne wiederum das Bundesland. Söder könnte also die Gesundheitsämter instruieren, Verstöße gegen die Pflege-Impfpflicht nicht zu bestrafen. Söder selbst sagte am Montag (7. Februar), es werde „großzügigste Übergangsregelungen“ geben. Dies führe dazu, dass es in seinem Bundesland „de facto zunächst einmal auf ein Aussetzen des Vollzugs hinausläuft“.
Impfpflicht in der Pflege: Bundesländer müssen sich an Gesetz halten
Rechtlich in Ordnung ist dieses Vorgehen nicht - da sind sich Rechtsexperten einig. Laut ZDF würde das Aussetzen der Impfpflicht gegen den Grundsatz der Bundestreue verstoßen. Der besagt, dass Bund und Länder ihre Absichten nicht gegenseitig konterkarieren dürfen. Rechtsexperte Joachim Wieler formuliert es bei welt.de so: „Der Bundesstaat ist darauf angewiesen, dass Bund und Länder ihre rechtlichen Pflichten im Verhältnis zueinander erfüllen und sich nicht einfach über ihre Rechtspflichten hinwegsetzen.“ Wieler weiter: „Würden die Länder Bundesgesetze je nach ihrer politischen Einschätzung nicht umsetzen, hätten wir praktisch keinen Rechtsstaat mehr.“
Was die Bundesregierung tun kann, um Länder bei Gesetzen wieder auf Linie zubringen, ist im Grundgesetz geregelt. Die sogenannte Bundesaufsicht könnte laut tagesschau.de zunächst Verwaltungsvorschriften erlassen, die den Ermessensspielraum der Gesundheitsämter bei Verstößen gegen die Impfpflicht beschränken. Im Ernstfall könnte ein Ausscheren eines Landes sogar bis vor das Bundesverfassungsgericht gehen. De facto ist dies aber bisher kaum vorgekommen, heißt es.
Impfpflicht für Pflegeberufe: Gesetz sei „glasklar formuliert“
Dass Söders Vorpreschen rechtlich unzulässig ist, findet auch der Präsident des Bundessozialgerichts (BSG), Rainer Schlegel. Bundesländer könnten die Impfpflicht nicht einfach so aussetzen. Das Beschäftigungsverbot sei im Bundesgesetz „glasklar formuliert“, sagte Schlegel am Dienstag (8. Februar) bei der Jahreshauptversammlung des BSG. Es lege eindeutig fest, dass Ungeimpfte oder Genesene ab dem 16. März in bestimmten Pflege- und Gesundheitseinrichtungen nicht mehr arbeiten dürfen. Eventuelle Engpässe in der Pflege spielten dabei keine Rolle. Ausnahmen auf Landesebene seien nur zulässig, wenn es nicht genug Impfstoff gibt*. Sei die einrichtungsbezogene Impfpflicht nicht mehr gewollt, müsse der Gesetzgeber das Gesetz aufheben oder sein Inkrafttreten verschieben.
Impfpflicht-Streit: Kann sich Markus Söder am Ende durchsetzen?
Warum aber prescht Söder trotzdem mit diesem Vorschlag vor - wenn er damit rechtlich offenbar gar keine Chance hat, durchzukommen? Zum einen schafft Söder es natürlich, das Thema auf die Agenda zu bringen und eine Diskussion zu entfachen. Rechtsprofessor Stefan Huster sagte außerdem zum WDR, Söder habe sich im Verlauf der Corona-Pandemie daran gewöhnt, dass politische Vereinbarungen auf der Ministerpräsidentenkonferenz getroffen wurden, an die sich die Länder nicht zwingend halten mussten. „Jetzt gibt es Bundesgesetze im Bereich des Infektionsschutzes, die behandelt werden wie informelle politische Absprachen“, so Huster. Allerdings: Der Bund habe außer Appelle jedoch wenige Möglichkeiten, das Ausscheren eines Landes zu bestrafen, glaubt Huster - trotz rechtlicher Grundlage. (smu/dpa) *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.