„Muss Verantwortung übernehmen“
„Sie muss Verantwortung übernehmen“: SPD-Politiker empfiehlt Saskia Esken den Rückzug
Der SPD-NRW-Abgeordnete Serdar Yüksel wechselt in den Bundestag. Mit der eigenen Partei geht er aber hart ins Gericht.
Berlin/Bochum – Wenn es in Bochum, tief im Westen, sowas wie einen Prenzlauer Berg gibt, dann liegt er im Stadtteil Ehrenfeld. Zwischen grauen Nachkriegsbauten voller Graffiti stehen noch ein paar Gründerzeithäuser. Und auf Café-Terrassen sitzen junge Frauen und Männer und schlürfen ihren Chai Latte.
Mittendrin: die SPD-Geschäftsstelle. Hier ist das Büro von Serdar Yüksel. Der Mann ist eine stattliche Erscheinung: über 1,90 Meter groß, schwarzer Bart, ein Händedruck wie eine Schraubzwinge und ein Hauch von George Clooney im Gesicht, wenn er lacht. Er sei kein Prenzlauer-Berg-Typ, sagt er: „Ich bin ein Ruhrpott-Kind.“ Der 51-Jährige ist Chef der Bochumer SPD und war seit 2010 Landtagsabgeordneter in NRW. Vor ein paar Jahren hat der Ex-Krankenpfleger mal für Schlagzeilen gesorgt, als er einem AfD-Mitarbeiter im Landtag mittels Herzdruckmassage das Leben gerettet hat. Jetzt geht Yüksel für Bochum in den Bundestag, mit 32,7 Prozent hat er seinen Wahlkreis direkt gewonnen.
SPD-Politiker Yüksel nach der Bundestagswahl: „Ein bisschen mehr Bochum wird Berlin gut tun“
„Ein bisschen mehr Bochum wird Berlin guttun“, sagt Yüksel, während in der Hauptstadt die Sondierungen zwischen Union und SPD laufen. Was heißt das? „Im Ruhrgebiet sagt man über einen, der nicht rumschwurbelt, sondern klar, direkt und mutig spricht: Bei dem weißte, wo Arsch und Kopp ist. Von der Sorte Mensch gibt es zu wenige im politischen Berlin.“
Die Sozialdemokratie begleitet ihn schon sein ganzes Leben. Der Vater war in den 60ern aus der Türkei eingewandert, hatte bei Krupp gearbeitet, sich später in der Gewerkschaft engagiert. Serdar Yüksel war lange Intensivkrankenpfleger, nach einer Weiterbildung ist er heute Gesundheitsmanager. Seit 1989 ist er SPD-Mitglied, mischt bei Verdi mit und ist Vorsitzender der örtlichen Arbeiterwohlfahrt.
Mit der eigenen Partei geht der Bochumer immer wieder hart ins Gericht. Nach dem Ampelbruch war er einer der wenigen, die sich mit Klarnamen gegen Olaf Scholz und für Boris Pistorius eingesetzt haben. „Mit ihm hätten wir ein besseres Wahlergebnis gehabt“, glaubt er.
Vor wenigen Tagen hatte der SPD-Vorstand ein Beschlusspapier formuliert. Man wolle nun das katastrophale SPD-Ergebnis nach der Bundestagswahl analysieren, heißt es darin unter anderem. „Wer jetzt noch nicht verstanden hat, was dieses Ergebnis für uns bedeutet, der hat den Schuss nicht gehört“, sagt Yüksel. Es sei an der Zeit, dass einige in der Parteispitze Verantwortung übernähmen und abträten.
Keine Zweifel an Klingbeil: „Er genießt großes Vertrauen“
Auch der SPD-Chef und Fraktionsvorsitzende Lars Klingbeil? „Nein, er genießt großes Vertrauen, ich traue ihm viel zu. Er ist einer derjenigen, die verstanden werden“, macht Yüksel klar. Anders sei das bei Co-Parteichefin Saskia Esken, der Yüksel den Rücktritt nahelegt: „Sie sollte sich fragen, ob sie wirklich noch Parteivorsitzende bleiben will. Ich halte sie für selbstreflektiert genug, eine verantwortungsvolle Entscheidung zu treffen.“ Klar sei aber, dass auch Klingbeil nicht nur Versprechen machen dürfe, sondern auch liefern müsse. „Es gibt nichts Gutes. Außer man tut es“, zitiert Yüksel den Schriftsteller Erich Kästner.
Überhaupt zitiert er gern und viel im Gespräch. Mal Tucholsky, mal den „alten Brecht“. „Ich finde, man muss aus Literatur und gerade aus der Geschichte lernen“, sagt Yüksel. Mindestens die deutsche Historie müsse jeder deutsche Politiker in- und auswendig kennen, findet Yüksel. „Sonst versteht man Zusammenhänge und Parallelen nicht“, sagt er und spricht über den Aufstieg des Faschismus in den 1920ern.
Sorge wegen AfD nach der Bundestagswahl
Im Jackett-Revers trägt Yüksel eine Anstecknadel: drei Pfeile in einem Kreis, das Symbol der antifaschistischen Arbeiterbewegung in den 1930ern. „Die habe ich immer dabei“, sagt er. Ein Talisman gegen böse Kräfte? „Der Aufstieg der AfD bereitet mir große Sorgen“, so Yüksel. Vor allem in Ostdeutschland hat die in Teilen rechtsextreme Partei besonders gut bei der Bundestagswahl abgeschnitten. Dass das aber kein rein ostdeutsches Phänomen ist, weiß gerade Yüksel nur allzu gut: Nebenan in Gelsenkirchen – einst eine SPD-Hochburg – gingen erstmals die meisten Zweitstimmen an die AfD.
Erklärungen? Für eine einfache Antwort sei das Thema zu komplex. Aber: „Im Ruhrgebiet brechen Milieus weg, die Leute machen sich Sorgen um ihre industriellen Arbeitsplätze. Es gibt hier Stadtteile, in denen 50 Prozent der Menschen als arm gelten, und die anderen 50 Prozent arbeiten gerade mal für den Mindestlohn.“ Die nächste Bundesregierung müsse verarmte Strukturwandel-Kommunen dringend unterstützen. „Die Kommune ist nicht das Untergeschoss der Demokratie. Hier entscheidet sich das friedliche und gute Zusammenleben der Menschen. Wir brauchen ein Investitionsprogramm für die Menschen vor Ort.“
Schwarz-rote Sondierungen: „Hundertmal stabiler als die Ampel“
Aber wie kann man das finanzieren? „Es wird viel Geld für ein Verteidigungs-Sondervermögen locker gemacht. Das Geld ist da, es fehlt nur der politische Wille. Ungleiches muss ungleich behandelt werden, ein Sondervermögen, das den abgehängten Stadtteilen hilft, ist ein absolutes Muss für die Stabilität im Land“, findet Yüksel.
Glaubt er, dass die sich abzeichnende schwarz-rote Regierung Stabilität bringen kann? „Ich bin der festen Überzeugung, dass diese Koalition hundertmal stabiler und geräuschloser regieren wird, als das die Ampel getan hat“, sagt Yüksel und hat noch ein Zitat parat, diesmal Kurt Tucholsky. „Wenn ein Deutscher nichts hat: Bedenken hat er immer. Davon müssen wir weg. Es gibt für jedes Problem immer eine Lösung, wir sollten mit Zuversicht in die nächsten vier Jahre gehen.“
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