Bitte deaktivieren Sie Ihren Ad-Blocker

Für die Finanzierung unseres journalistischen Angebots sind wir auf die Anzeigen unserer Werbepartner angewiesen.

Klicken Sie oben rechts in Ihren Browser auf den Button Ihres Ad-Blockers und deaktivieren Sie die Werbeblockierung für . Danach können Sie gratis weiterlesen.

Lesen Sie wie gewohnt mit aktiviertem Ad-Blocker auf
  • Jetzt für nur 0,99€ im ersten Monat testen
  • Unbegrenzter Zugang zu allen Berichten und Exklusiv-Artikeln
  • Lesen Sie nahezu werbefrei mit aktiviertem Ad-Blocker
  • Jederzeit kündbar

Sie haben das Produkt bereits gekauft und sehen dieses Banner trotzdem? Bitte aktualisieren Sie die Seite oder loggen sich aus und wieder ein.

Bedrohung durch Extremismus

Reichsbürger kaufen Hotels und gründen Kampfschulen: „Szene wird professioneller“ 

Sie drucken sich eigene Ausweise und zweifeln an der Existenz der BRD: Doch die Reichsbürger sind keine harmlosen Spinner, sagen Experten und warnen vor einer neuen Entwicklung.

Berlin/Wemding – Es hat schon Symbolcharakter, wenn sich Dutzende Reichsbürger ausgerechnet in einem Einschlagskrater treffen. Im Nördlinger Ries, wo heute ein Tagungshotel am Rande der bayerischen Stadt Wemding steht, ist vor knapp 15 Millionen Jahren ein Komet auf die Erde gekracht. Jetzt waren dort etwa 100 Reichsbürger und sogenannte Selbstverwalter zu einem überregionalen Kongress zusammengekommen. Vorbote einer neuen Entwicklung, sagen Experten: Die Szene organisiert sich.

Reichsbürger-Treffen: „Im Vorfeld viel Aktivität bei Telegram“

„Es hat im Vorfeld viel Aktivität bei Telegram gegeben“, sagt Politikberater und Extremismusexperte Johannes Hillje, der Kommunikationsformen von Extremisten erforscht. Die Plattform werde von Verschwörungsideologen und Extremisten gern genutzt, weil auch fragwürdige Posts und Fake News, die bei anderen Plattformen schnell aussortiert oder gekennzeichnet werden, nur selten gelöscht würden. „Es gibt dort große Gruppen, über die sich Szene vernetzt und organisiert.“

Politikwissenschaftler Johannes Hillje beschäftigt sich mit Kommunikationsformen von Extremisten.

Reichsbürger zweifeln die Existenz der Bundesrepublik Deutschland an und wollen einen eigenen Staat erschaffen. Der Verfassungsschutz sieht „verschwörungstheoretische Grundzüge“ und Anknüpfungspunkte an Antisemitismus bei der Szene. Bisher hatte es ab und an kleine, regionale Treffen gegeben. Mal zehn Reichsbürger hier in einer Kneipe, mal 20 dort. Der „Zukunftskongress Deutschland“ in Wemding hat eine neue Dimension. „Man kann sagen: Die Reichsbürger-Szene wird professioneller“, so Hillje.

Reichsbürger kaufen Hotel und betreiben Kampfsportschule

Das sieht man überall in Deutschland. Die Szene kauft Gebäude, gibt Lehrgänge, richtet sich ein. So soll eine Reichsbürger-Gruppe aus Sachsen-Anhalt laut NDR ein Hotel im niedersächsischen Bad Lauterberg gekauft haben, um dort ein Schulungscenter zu eröffnen. Und in Düsseldorf gibt es mitten in der Innenstadt eine Kampfsportschule, in der man Wing Tsun-Kung Fu lernen kann – ein Kampfsport, der unter anderem von Sicherheitskräften und der Polizei zur Selbstverteidigung genutzt wird. Hauptsitz der Kampfsportschule laut Impressum ist das „Königreich Deutschland“, so lautet der Name einer extremistischen Splittergruppe der Reichsbürgerbewegung, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird.

Die Dinge selbst anpacken, keine Hilfe annehmen und selbstbestimmt leben: Es ist ein bestimmter Typus, der bei Reichsbürgern häufig anzutreffen ist, sagt David Meiering. An der Humboldt-Universität Berlin untersucht Meiering, welche Narrative extremistische Gruppen zusammenhalten. Bei den Reichsbürgern sei diese Mechanik sehr klar. „Es geht darum, sich selbst als Souverän zu begreifen“, sagte er unserer Redaktion. „Der Staat bin ich – und ich erkenne und löse meine Probleme selbst.“

Reichsbürger Peter Fitzek ruft „Königreich Deutschland“ aus

Ein Beispiel: Peter Fitzek, der in Sachsen-Anhalt das „Königreich Deutschland“ ausgerufen hat. Fitzek gründete unter anderem gar eine eigene „Rentenkasse“. Zwischenzeitlich saß Fitzek wegen unzulässiger Versicherungsgeschäfte im Gefängnis. Sein Ziel: Pseudo-legitimierte Parallelstrukturen aufbauen und damit die real existierenden staatlichen und wirtschaftlichen Strukturen obsolet machen, sagt der sächsische Verfassungsschutz. „Fitzeks Ansatz ist bei den ‚Reichsbürgern‘ typisch“, so Meiering.

Zahl der Reichsbürger steigt – Tausende gelten als gewaltbereit

Laut Bundesverfassungsschutz waren der Szene im Jahr 2022 etwa 23.000 Menschen in Deutschland zuzurechnen, Tendenz steigend. Innerhalb eines Jahres waren demnach 2.000 Anhänger dazugekommen. Rund zehn Prozent der Szeneanhänger hält der Verfassungsschutz für potenziell gewaltbereit, mehr als fünf Prozent gelten als Rechtsextremisten. Eine gestiegene Gewaltbereitschaft der Szene stellt Obergerichtsvollzieher Frank Neuhaus aus Arnsberg in NRW fest. Er hat in seinem Job immer wieder mit Reichsbürgern zu tun, manche Menschen in Lebenskrisen und mit finanziellen Problemen seien besonders empfänglich für die Verschwörungsideologien der Szene, sagt er. Manchmal schreien sie ihn an oder bauen sich bedrohlich vor ihm auf. „Ich hoffe jedes Mal, dass der dann keine Knarre hat und damit hinter der Tür steht“, so Neuhaus. Das seien „keine harmlosen Spinner“, sagt er.

Auch beim Treffen in Wemding gab es wohl Gewalt. So soll einer der Teilnehmer gegen die Kamera eines Journalisten geschlagen und ihn leicht im Gesicht verletzt haben. Die Polizei ermittelt nun gegen den Mann wegen Körperverletzung. Die Reichsbürger hätten aber auch eine politische Wirksamkeit, die über die Szene hinausstrahle, sagt Extremismusexperte Johannes Hillje. „Die Reichsbürger gehören zum informellen Vorfeld der AfD. Sie sind kein institutionalisierter Partner wie zum Beispiel die Junge Alternative. Aber sie sind ein Resonanzraum für die AfD in dem ihre Narrative weiterverbreitet werden.“

Es gebe deutliche Parallelen zwischen der rechten Partei und der Reichsbürger-Szene. Ein zentraler Punkt: „Sowohl der AfD als auch der Reichsbürger-Szene geht es um eine Systemänderung“, so Hillje. Und: „Die Verschwörungsmentalität ist groß unter AfD-Anhängern, 50 Prozent glauben an bestimmte Verschwörungen. Das ist bei keiner anderen Partei so und es gibt große Überschneidungen zwischen AfD-Milieu und Reichsbürger-Szene.“

Rubriklistenbild: © Martin Müller/imago

Kommentare