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Interview

„Der Beginn des Ukraine-Kriegs war für China eine Zäsur“

China blickt nach dem Prigoschin-Aufstand nervös auf Russland. Der Osteuropa-Experte Sebastian Hoppe von der Freien Universität Berlin beschreibt die Grenzen der „grenzenlosen“ Freundschaft.

Herr Hoppe, nach dem Marsch der Wagner-Söldnertruppe Jewgeni Prigoschins auf Moskau fragt sich die Welt, wie stabil die Lage in Russland ist. Wie denkt Peking darüber?
Peking nimmt die Lage erst einmal hin, aber beäugt sie kritisch. Solange Wladimir Putin im Kreml sitzt, bleibt für China vorerst alles wie bisher. Aber sollte es je Überlegungen gegeben haben, Waffen nach Russland zu liefern, dann dürfte die neue Situation in die Kalkulation nun mit einfließen. Denn unter Umständen kann nicht garantiert werden, in wessen Hände solche Waffen am Ende gelangen. Das ist ein riesiger Unsicherheitsfaktor. Das System in Russland ist hochgradig personalisiert und allein auf Präsident Wladimir Putin zugeschnitten. Dieses personalisierte System ist anfällig, denn es gibt darin kaum funktionierende Institutionen, keine festen Prozesse. Auch die Wagner-Söldnertruppe war ja an allen Institutionen vorbei gegründet worden.
So etwas klingt nach dem Albtraum der extrem auf Stabilität, Strukturen und Sicherheit fokussierten KP Chinas. Was bedeutet das für deren Sicht auf den russischen Partner?
Wenn 5000 bis 8000 Söldner auf die Hauptstadt marschieren und ihnen das sogar beinahe gelingt – dann bedeutet das entweder, dass der russische Staat mürbe und nicht handlungsfähig ist. Oder es bedeutet, dass die Söldner Unterstützer haben, was auf eine Spaltung der Eliten hindeutet. Beides ist aus Sicht Chinas schädlich für seine Beziehungen zu Russland. Es ist aber zu früh, um zu erkennen, ob es bereits Risse in den bilateralen Beziehungen gibt oder nicht. In Russland war das auf Putin zugeschnittene System hingegen zentral für die Entscheidung zum Krieg gegen die Ukraine, die mehr oder weniger allein von ihm selbst ausging. Eine solche Kriegsentscheidung, über die sich nur drei oder vier Leute beraten haben, wäre in China nicht möglich. Auch Staats- und Parteichef Xi Jinping konzentriert seit Amtsantritt 2012 zwar immer mehr Macht auf seiner Person. Doch China ist trotzdem immer noch ein Einparteienstaat.
Sebastian Hoppe ist Osteuropa-Experte am SCRIPT-Cluster der Freien Universität Berlin.

Ukraine-Krieg zwingt China zur Wahl zwischen Westen und Russland

Wie hat der Ukraine-Krieg aus Ihrer Sicht die chinesisch-russischen Beziehungen verändert?
Der Kriegsbeginn stellt aus chinesischer Sicht eine Zäsur dar. Auf einmal musste sich die Regierung entscheiden zwischen zwei gegnerischen Blöcken, zwischen dem Westen und Russland. Dieser Entscheidungszwang war für Peking neu und kam überraschend. Vor dem Krieg hatte man die chinesisch-russischen Beziehungen langsam wachsen lassen, mit etwas mehr Handel etwa oder anderen Kooperationen. Russland nutzte diese Freundschaft für seine Propaganda nach innen und außen: Schaut, wir haben Alternativen zum Westen! Xi wiederum nutzte die Freundschaft dafür, sein Wachstumsmodell zu präsentieren. China konnte mithilfe der Partnerschaft zudem vermeintlichen westlichen Hegemoniebestrebungen entgegentreten – sich aber gleichzeitig weiterhin innerhalb der westlichen Ordnung bewegen und entwickeln. 
Und heute?
Mit der Kriegsentscheidung ist Putin aus diesem defensiven Konsens ausgebrochen. Damit schuf er ein konfrontatives internationales Umfeld und neue Risiken für Chinas Wirtschaft und Außenpolitik, die zur Belastung der bilateralen Beziehungen werden könnten. Zum Beispiel laufen chinesische Unternehmen Gefahr, Ziel von westlichen Sekundärsanktionen zu werden. Mit Kriegsbeginn wurde China sowohl von Russland als auch von Europa und den USA gedrängt, Partei zu ergreifen. Vor allem die USA sagten: Ihr steht vor der Wahl. Wollt ihr eine autoritäre Allianz oder legt ihr Wert darauf, mit uns konstruktive Beziehungen zu haben? Diese Entscheidung hatte man in Peking so eigentlich gar nicht treffen wollen. 

Chinas Staats- und Parteichef: So stieg Xi Jinping zum mächtigsten Mann der Welt auf

Chinas heutiger Staatschef Xi Jinping (2. von links) mit anderen Jugendlichen im Mao-Anzug
Xi Jinping wurde am 15. Juni 1953 in Peking geboren. Als Sohn eines Vize-Ministerpräsidenten wuchs er sehr privilegiert auf. Doch in der Kulturrevolution wurde er wie alle Jugendlichen zur Landarbeit aufs Dorf geschickt. Das Foto zeigt ihn (zweiter von links) 1973 mit anderen jungen Männer in Yanchuan in der nordwestlichen Provinz Shaanxi. Dort soll Xi zeitweise wie die Einheimischen in einer Wohnhöhle gelebt haben. © imago stock&people
Xi Jinping steht vor der Golden Gate Bridge in San Francisco
Xi Jinping 1985 vor der Golden Gate Bridge in San Francisco: Damals war er als junger Parteichef des Landkreises Zhengding in der nordchinesischen Agrarprovinz Hebei Delegationsleiter einer landwirtschaftlichen Studienreise nach Muscatine im US-Bundesstaat Iowa. Dort nahm die Gruppe nach offiziellen Berichten „jeden Aspekt der modernen Landwirtschaft unter die Lupe“. Anschließend reiste Xi weiter nach Kalifornien. Es war sein erster USA-Besuch. © imago stock&people
Xi Jingping und Peng Liyuan
Zweites Eheglück: Xi Jinping und seine heutige Ehefrau, die Sängerin Peng Liyuan, Anfang 1989. Zu dieser Zeit war Xi Vizebürgermeister der ostchinesischen Hafenstadt Xiamen. Die beiden haben eine gemeinsame Tochter. Xis erste Ehe war nach nur drei Jahren an unterschiedlichen Lebenszielen gescheitert. Seine erste Frau, die Diplomatentochter Ke Lingling, zog in den 1980er-Jahren nach Großbritannien. © imago
Xi Jinping gräbt mit Parteikollegen an einem Damm zur Verstärkung eines Deiches in Fujian
Aufstieg über die wirtschaftlich boomenden Küstenregionen: 1995 war Xi Jinping bereits stellvertretender Parteichef der Taiwan gegenüberliegenden Provinz Fujian – und noch ganz volksnah. Im Dezember 1995 arbeitet er mit an der Verstärkung eines Deiches am Minjiang-Fluss. © Imago/Xinhua
Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigt Chinas Vizepräsident Xi Jinping das Regierungsviertel in Berlin
Vizepräsident Xi Jinping 2009 im Kanzleramt bei Angela Merkel: Die deutsch-chinesischen Beziehungen waren unter Merkel relativ eng und von wirtschaftlicher Zusammenarbeit geprägt. Merkel und Xi reisten aus Berlin weiter nach Frankfurt, um die dortige Buchmesse zu eröffnen. China war als Ehrengast geladen. © GUIDO BERGMANN/Pool/Bundesregierung/AFP
Die Vizepräsidenten Xi Jinping aus China und Joe Biden aus den USA halten T-Shirts mit einer Freundschaftsbekundung in die Kamera
Ein Bild aus besseren Zeiten: Aus ihrer jeweiligen Zeit als Vizepräsidenten kamen Joe Biden und Xi Jinping mehrmals zusammen. Im Februar 2012 demonstrierten sie bei einer Reise Xis nach Los Angeles in einer Schule „guten Willen“ zur Freundschaft mit T-Shirts, die ihnen die Schüler überreicht hatten. Damals fehlten Xi nur noch wenige Monate, um ganz an die Spitze der Kommunistischen Partei aufzusteigen. © FREDERIC J. BROWN/AFP
Ein alter Mann in Shanghai schaut auf Xi bei seiner ersten Rede als Parteichef im Fernseher.
Xi Jinping hat es geschafft: Zum Ende des 18. Parteitags am 15. November 2012 wurde Xi als neuer Generalsekretär der Kommunisten präsentiert – und ganz China schaute zu. Xi gelobte in seiner ersten kurzen Rede als Parteichef, die Korruption zu bekämpfen und ein „besseres Leben“ für die damals 1,3 Milliarden Menschen des Landes aufzubauen.  © PETER PARKS/AFP
Der neue Staatschef Xi Jinping geht hinter seinem Vorgänger Hu Jintao zu seinem Platz in der Großen Halle des Volkes in Peking.
Übernahme auch des obersten Staatsamtes: Xi Jinping wurde auf dem Nationalen Volkskongress im März 2013 Präsident und schloß damit den Übergang von seinem Vorgänger Hu Jintao (vorn im Bild) zur Xi-Ära ab. © GOH CHAI HIN/AFP
Chinas Präsident und seine Ehefrau Peng Liyuan gehen über den Flughafen Orly in Paris.
Xi Jinpings Ehefrau Peng Liyuan ist die erste First Lady Chinas, die auch öffentlich in Erscheinung tritt. Hier kommt das Ehepaar zu einem Staatsbesuch in Frankreich an. Die Gattinnen von Xis Vorgängern hatten sich nie ins Rampenlicht gedrängt. Vielleicht auch, weil Maos politisch aktive dritte Ehefrau Jiang Qing nach dem Tod des „Großen Vorsitzenden“ als Radikale verurteilt worden war. © YOAN VALAT/Pool/AFP
Funktionäre der Kommunistischen Partei Chinas auf dem Weg zum Parteitag in Peking
So sehen KP-Funktionäre aus: Delegierte des 19. Parteitags auf dem Weg zur Großen Halle des Volkes in Peking im Oktober 2017. Auf diesem Parteitag gelang es dem Staats- und Parteichef, seine „Xi Jinping-Gedanken zum Sozialismus Chinesischer Prägung in der Neuen Ära“ in die Parteiverfassung aufzunehmen. Er war der erste nach Mao, der zu Lebzeiten in der Verfassung eine Theorie mit seinem Namen platzieren konnte. Einen Kronprinzen präsentierte Xi auf dem Parteitag nicht – entgegen den normalen Gepflogenheiten. © GREG BAKER/AFP
Xi Jinping nimmt in einer Staatslimousine „Rote Fahne“ die Parade zum 70. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik China ab.
70 Jahre Volksrepublik China: Staatschef Xi Jinping nahm 2019 in einer offenen Staatslimousine Marke „Rote Fahne“ die Militärparade in Peking zum Jahrestag der Staatsgründung ab. © GREG BAKER/AFP
Wirtschaftsforum in Wladiwostok
Xi Jinping pflegt eine offene Freundschaft zu Russlands Präsidenten Wladimir Putin – bis heute, trotz des russischen Angriffskrieges in der Ukraine. Putin und Xi teilen die Abneigung gegen die von den USA dominierte Weltordnung. Hier stoßen sie 2018 bei einem gemeinsamen Essen auf dem Wirtschaftsforum von Wladiwostok, auf dem sich Russland als Handelspartner und Investitionsziel im asiatischen Raum präsentierte, miteinander an. © Sergei Bobylev/POOL TASS Host Photo Agency/dpa
Xi Jinping besucht im weißen Kittel ein Labor und lässt sich die Impfstoffentwicklung erklären
Ende 2019 brach in China die Corona-Pandemie aus. Im April 2020 informierte sich Xi Jinping in einem Labor in Peking über die Fortschritte bei der Impfstoffentwicklung. Xi ist bis heute überzeugt, dass China die Pandemie besser im Griff hat als der Rest der Welt. Seine Null-Covid-Politik beendet er nicht, wohl auch wegen der viel zu niedrigen Impfquote unter alten Menschen. © Ding Haitao/Imago/Xinhua
Xi Jinpings Konterfei lächelt von einem Teller mit rotem Hintergrund
Auf dem 20. Parteitag im Oktober 2022 ließ sich Xi Jinping zum dritten Mal zum Generalsekretär der Kommunisten ernennen. Damit ist er der mächtigste Parteichef seit Mao Zedong. © Artur Widak/Imago

China und Russland: Experte Hoppe sieht unterschiedliche Interessen der beiden Partner

China entschied sich trotzdem für Moskau.
Und danach entwarfen vor allem die USA die neue Figur einer ‚autoritären Allianz‘, mit der man sich im Widerspruch sieht. In den USA und der EU hat eine Debatte darüber eingesetzt, welche Lehren aus Russlands Angriff für den Umgang mit China zu ziehen sind.
Es wird viel über gemeinsame Ziele und Interessen Russlands und Chinas geschrieben. Beide wollen die westlich dominierte Weltordnung aufbrechen, sehen den Westen, speziell die USA und die Nato, als Gegner oder gar Feind. Worin aber unterscheiden sich Pekings Ziele von jenen Moskaus?
Die Figur einer ‚autoritären Allianz‘ verschleiert etwas, das mir wichtig ist. Wir sehen zwar in beiden Ländern seit 2011/2012 eine Re-Autokratisierung: In Russland begann damals die endgültige Schließung des russischen Systems unter Putin und in China die Amtszeit von Staatschef Xi Jinping. Doch trotz dieser politischen Parallele gibt es Unterschiede in der sozioökonomischen Entwicklung. Russland scheitert seit 15 Jahren daran, ein Entwicklungsmodell für sich zu kreieren und umzusetzen. Es begnügt sich mit dem Rohstoffexport und einigen prestigeträchtigen Infrastrukturprojekten.
Und China?
In China dagegen hat die wirtschaftliche Entwicklung Priorität. Es will bis 2049 Weltmacht sein und die Armut im Land beseitigt haben. Dieses Ziel sollte nicht als reine Propaganda abgetan werden. Der Krieg verdeutlicht und vertieft nun die bereits vor Februar 2022 bestehenden Divergenzen. Russland arbeitet daran, sich aus internationalen Institutionen und Organisationen – etwa dem Internationalen Strafgerichtshof – zurückzuziehen, beziehungsweise Säulen der internationalen Ordnung wie den UN-Sicherheitsrat zu unterminieren. China hingegen versucht, eine aktivere Rolle bei der Gestaltung globaler Politik zu spielen. Peking verfolgt dabei das Ziel, die globale Ordnung nach eigenen Vorstellungen aktiv zu gestalten. 
Aber beide sprechen vom Ziel einer ‚multipolaren Welt’. Worin unterscheiden sich ihre Ansätze voneinander?
Chinas Philosophie dabei ist eher die, dass es selbst eine Weltordnung formt, zu der sich dann andere hinzugesellen können. Es basiert auf der Sicht, dass Chinas Modell das Richtige ist – das durch andere gern angereichert werden kann. Russlands Sicht auf dieses Ziel ist eher, dass es gleichberechtigte Pole geben solle, die interagieren oder auch in Konflikt miteinander stehen. Die Russen können vor allem öffentlich nicht die Idee mittragen, dass die Welt immer chinesischer wird.

Experte: China war überrascht von der Invasion in der Ukraine

Was folgt daraus für uns in Europa?
Angesichts der unterschiedlichen Strategien beider Länder brauchen wir auch unterschiedliche Wege, mit ihnen umzugehen. In Russland wird der Bruch mit dem Westen als gegeben hingenommen. In Peking arbeitet man hingegen weiter dagegen an, dass es zum Bruch etwa mit der EU kommt. Mit China ist aus Sicht des Westens zudem die gegenseitige Abhängigkeit und Durchdringung viel größer als mit Russland.
Es gibt Stimmen, die China vorwerfen, vom Krieg zu profitieren. Teilen Sie diese Ansicht?
China profitiert nicht von dem Krieg. Das Land will als Weltmacht und gestaltender Akteur der Weltpolitik wahrgenommen werden. Aber wenn man mit einer Krieg führenden Partei in Verbindung gebracht wird, schadet das dem Ruf. China verliert dadurch viel Ansehen in Osteuropa und der Ukraine. Aber China kann und will Russland nicht fallenlassen. Auch die persönliche Zuneigung zwischen Wladimir Putin und Xi Jinping und ihre Ähnlichkeit im Mindset sind wichtig für diese Beziehungen. Zugleich beruft sich China auf Floskeln wie die Unverletzbarkeit von Grenzen oder die Souveränität jeden Staates. Das sind Widersprüche, die es schwer auflösen kann. 
Gibt es darüber hinter den Kulissen von Chinas Kommunistischer Partei keine Debatte? 
Dazu dringt wenig nach außen. Die Parteilinie steht immer über allem. In den Anfangswochen des Krieges aber waren noch ein paar abweichende Stimmen zu hören gewesen, in teilweise obskuren Medien. Daher ist auch unklar, was davon zu halten ist. Ich glaube schon, dass China überrascht war von der Invasion und von deren Ausmaß. Pekings Ex-Botschafter in der Ukraine Gao Yusheng etwa hat einmal die Invasion als absurde Entscheidung Russlands bezeichnet und betont, er erwarte eine russische Niederlage, Russland werde geschwächt aus dem Krieg hervorgehen. Und dann sei China mit einem Verlierer verbandelt.

Will Russland Waffen aus China?

Eine Niederlage würde zudem Chinas Ambitionen auf den gemeinsamen Aufbau einer neuen Weltordnung schaden. Wie weit also würde China gehen, um eine solche Niederlage zu verhindern? Würde es Russland auch Waffen liefern?
Wir glauben, dass Russland durchaus versucht hat, Waffen aus China zu bekommen. Aber es sieht nicht danach aus, als sei das gelungen. Wir stellen keine umfassenden Waffen- oder Munitionslieferungen fest. Und solange es keine Direktive von oben gibt, Dual-Use-Güter nach Russland zu schicken, wird auch das nicht passieren. Paradoxerweise wäre ohne den Krieg langfristig eine militärische Allianz Russlands mit China sogar wahrscheinlicher gewesen. Es gab schon vorher gemeinsame Manöver, China kaufte Waffen aus Russland. Aber man entwickelte auch damals nicht gemeinsam Materialien oder kooperierte im militärisch-industriellen Komplex, so wie es Alliierte normalerweise tun. Und heute wird aus dem Westen viel genauer beobachtet, was China im militärischen Bereich tut, sodass man in der Volksrepublik vorsichtiger geworden ist. 
Bleibt die Frage nach der Stabilität Russlands und der Rolle Putins für China. Sie erwähnten die Nähe von Putin und Xi. Was passiert, wenn Putin wirklich stürzt? Könnte China auch mit seinen etwaigen Nachfolgern zusammenarbeiten?
Die chinesischen Politiker wissen letztlich ebenso wenig wie wir, in welchem Zustand der russische Staat wirklich ist. Es kann ja sein, dass es dort noch mehrere Jahre so weitergeht wie jetzt, weil Putins Netzwerke im Inneren des russischen Staates das Ganze in ausreichendem Maße zusammenhalten. Und auch wenn Putin tatsächlich gestürzt werden sollte, ist unwahrscheinlich, dass der Krieg in der Ukraine damit sofort endet. Das wäre zwar im Interesse der Eliten, aber nicht im Interesse der Putin umgebenden Kumpane und auch nicht der Geheimdienste.
Was folgt daraus?
China präferiert in jedem Fall Putin, anstatt es mit den unsicheren anderen plausiblen Kandidaten auf die Macht zu tun zu bekommen. Viele dieser Politiker sind grundsätzlich misstrauisch gegenüber dem Ausland, einschließlich China – oder sie sind extrem national-chauvinistisch. Mit denen wäre eine Zusammenarbeit schwierig. Am anderen Ende des Spektrums wären westlich orientierte Politiker wie Alexej Nawalny. Auch sie sind aus Sicht Chinas schwierig. Putin-nahe Technokraten, mit denen China gut klarkäme – etwa der Chef des staatlichen Ölkonzerns Rosneft Igor Setschin – haben kein politisches Profil. 

Rubriklistenbild: © Sergei Bobylev/dpa

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