Wohnraum und Altenpflege
Vor der Niederlande-Wahl: Sechser-Runde streitet im TV – Wilders fährt Populismus-Attacke
339.000 Wohnungen fehlen: Die sechs niederländischen Spitzenkandidaten sind im Wahlkampf mit drastischer Wohnungsnot konfrontiert.
Den Haag – Die Niederlande haben vor der anstehenden Wahl eine turbulente TV-Debatte erlebt. Rob Jetten (Democraten 66) warf Justizministerin Dilan Yeşilgöz (VVD) etwa vor, in der Migrationspolitik nachlässig zu sein und „mit der PVV zu flirten“ – nur einer der heiklen Momente in der Runde Fernsehsenders RTL vor den anstehenden Parlamentswahlen am 22. November.
Die Spitzenkandidatin der rechtsliberalen Volkspartei VVD hatte eine Koalition mit der rechtspopulistischen PVV in Betracht gezogen. Obwohl sie Tochter geflüchteter Eltern ist, setzt sie sich für eine stärkere Begrenzung der Zuwanderung ein. Die Regierungskoalition von Ministerpräsident Mark Rutte war Anfang Juli ebenfalls im Streit über die Migrationspolitik zerbrochen. Die Parlamentswahl findet deshalb nach Ruttes Rücktritt bereits 2023 statt 2025 statt.
In der TV-Sendung diskutierten am Sonntagabend (12. November) sechs Spitzenkandidaten über die Themen Wohnen, Gesundheit und Lebenshaltungskosten – also über auch in Deutschland wohlbekannte Themen. Neben Yeşilgöz waren der Rechtspopulist Geert Wilders (PVV), Caroline van der Plas (BBB), Esther Ouwehand (PvdD), Rob Jetten (D66) und Lilian Marijnissen (SP) in der zweistündigen Debatte zu Gast. Frans Timmermans, Vorsitzender des linken Bündnisses von Labour (PvdA) sowie GroenLinks, Henri Bontenbal von der konservativen CDA und Pieter Omtzigt von Nieuw Sociaal Contract fehlten, sodass Yeşilgöz als einzige Vorsitzende der drei größten Parteien (CDA, PvdA und VVD) am Tisch saß.
Vor Niederlande-Wahl: Parteien wollen mehr Wohnraum schaffen
Die Parteien waren sich immerhin einig, dass mehr Wohnungen gebaut werden müssen, wie das Portal Dutch News notierte. Wilders, Vorsitzender der rechtsextremen PVV, behauptete aber, dass Einwanderung die Hauptursache für die angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt sei: „Letztes Jahr fehlten uns 390.000 Wohnungen und die Nettozuwanderung belief sich auf 225.000“, sagte er. „In diesem Jahr hatten wir 90.000 Asylbewerber, und wenn sie eine Aufenthaltserlaubnis bekommen, bekommen sie vorrangig eine Unterkunft.“
RTL legte indes Zahlen vor, aus denen hervorgeht, dass jedes Jahr weniger als 10 Prozent der 200.000 verfügbaren Sozialwohnungen an ehemalige Geflüchtete vergeben werden. Etwa die Hälfte der Kommunen räumt anderen sozialen Gruppen den Vorrang ein.
Migration im Wahlkampf: Yesilgöz sei für Wohnungsnot in Niederlande verantwortlich
Jetten, Vorsitzender der linksliberalen D66, warf Wilders vor, auf eine „zynische“ Art Migranten für die Wohnungsnot verantwortlich zu machen. „Vor dem Sommer hatten wir ein Maßnahmenpaket zur Bekämpfung der Migration. CDA, ChristenUnie und D66 waren dazu bereit, aber Sie sind weggegangen, um mit der PVV zu flirten“, hielt er Yeşilgöz vor.
Die räumte ein, dass die Wohnungskrise teilweise unter der Führung ihrer Partei entstanden sei. Sie gab laut NL Times nicht sofort zu, dass die VVD für die Immobilienkrise verantwortlich war. „Das ist ein bisschen zu einfach“, relativierte sie. Yeşilgöz räumte jedoch ein, dass ihre Partei tatsächlich eine Rolle gespielt habe – ohne diese näher zu benennen.
Wilders nutzt Mieten-Debatte für Populismus: Weniger Wohnraum für Asylbewerber in Niederlanden
Unter VVD-Minister Stef Blok, der zwischen 2012 und 2016 für den Wohnungsbau zuständig war, sahen sich Wohnungsbaugesellschaften mit erheblichen Steuern konfrontiert. Was laut Kritikern ihre Kapazität, mehr Häuser zu bauen, einschränkte. Er ließ auch mehr Spielraum für ausländische Investoren und Vermieter, die separate Verträge anbieten konnten.
Ouwehand kritisierte die VDD und plädierte für mehr Bebauung landwirtschaftlicher Flächen. Sie steht der PvdD vor, der „Partei für die Tiere“. Ihr zufolge müsste der Viehbestand in den Niederlanden um drei Viertel reduziert werden, um den Ausstoß von Treibhausgasen zu verringern, wie NL Times berichtete.
TV-Runde vor der Wahl: Auch in den Niederlanden knirscht es bei der Altenpflege
Beim Thema Gesundheitswesen kritisierten Jetten und Yeşilgöz die hohe Belastung im Arbeitsalltag der Pflegekräfte. Laut Wilders verbringt das Krankenhauspersonal etwa 40 Prozent seiner Zeit mit Verwaltungsaufgaben, in der Altenpflege seien es etwa 30 Prozent. Wenn diese Belastung halbiert würde, „könnten 500.000 Menschen mehr im Gesundheitswesen sein, ohne dass es einen Cent kostet“, sagte er.
Van der Plas, Vertreterin der bäuerlich-geprägten rechten BBB, stimmte zu: Mitarbeiter im Gesundheitswesen seien „fast den ganzen Tag damit beschäftigt, Kästchen anzukreuzen und Formulare auszufüllen. Wenn sie Buchhalter werden wollten, wären sie Buchhalter geworden, aber sie wollen im Gesundheitswesen arbeiten“, monierte sie.
Die Vorsitzende der Sozialistischen Partei, Lilian Marijnissen, forderte, Dienstleistungen wie Gesundheitsversorgung und Kinderbetreuung wieder in öffentliches Eigentum zu überführen und aus Steuergeldern zu finanzieren.
Niederlande-Wahlkampf tobt: Parteien streiten über Versorgung alter Menschen
Yeşilgöz geriet wegen der VVD-Politik zur Altenpflege in die Kritik von Marijnissen, Wilders und van der Plas, wobei Letztere die Schaffung von mehr Pflegeheimplätzen forderte. „Ältere Menschen haben unser Land aufgebaut“, sagte van der Plas. „Sie haben sich das Recht auf ein würdiges Leben verdient.“
Yeşilgöz entgegnete, im Gesundheitswesen solle der Schwerpunkt auf digitalen Hilfsmitteln liegen. Als Beispiel nannte sie Geräte, die ältere Menschen daran erinnern, ihre Medikamente einzunehmen. So könnte die bürokratische Belastung für das Gesundheitspersonal verringert werden: „Wir müssen die Gesundheitsversorgung intelligenter organisieren. Es klingt vielleicht nicht sexy, aber es ist der Schlüssel.“ (Lisa Mariella Löw)
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