Posse um Kita-Weihnachtsbaum
Nach Fake-News-Tweet: Söder schlägt Hass-Welle entgegen – „Schämen Sie sich eigentlich nicht?“
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder äußert sich zu einer Hamburger Kita. Warum eigentlich? Es ist mal wieder Kulturkampf-Zeit.
Hamburg – Seit einigen Tagen sorgt eine Kontroverse um eine Kita im Hamburger Stadtteil Lokstedt für Aufregung in den sozialen Medien. Konkret geht es um die Frage, ob die Kita Mobi dieses Jahr einen Weihnachtsbaum aufgestellt oder diesen christlichen Brauch „im Sinne der Religionsfreiheit“ gestrichen hat, wie zunächst das Hamburger Abendblatt berichtet hatte. In die Debatte hat sich nun auch der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) eingemischt – und wird dafür scharf kritisiert.
Hamburger Kita wird „Cancel Culture“ vorgeworfen – weil der Weihnachtsbaum fehlt
Eins vorweg: Die Kita Mobi hat keine Weihnachtsbräuche abgeschafft. Aber genau das war der verzerrte Eindruck, den der Artikel des Hamburger Abendblattes vom Dienstag (5. Dezember) gemacht hat. Er wurde von vielen anderen Medien übernommen. In deren Berichten heißt es, die betroffene Kita verzichte dieses Jahr aus „religiösen Gründen“ auf das Aufstellen eines Weihnachtsbaumes.
Man wolle „kein Kind und seinen Glauben ausschließen“ und habe deshalb die Dekoration rund um die Feiertage „angepasst“, zitiert die Hamburger Zeitung aus einem Brief der Kita-Leitung an die Eltern. Zu Wort kamen auch enttäuschte Eltern, die von einer um sich greifenden „Cancel Culture“ sprachen. Bild sprach vor Ort mit einer Großmutter, die es „traurig“ findet, „dass die Kinder in dieser Kita keinen [Weihnachtsbaum] haben können“.
In diesem Tenor berichtete auch Focus online am Donnerstagmorgen (7. Dezember) über diese Debatte. Der dazugehörige Beitrag auf X, ehemals Twitter, ist entsprechend formuliert. „Im Sinne der Religionsfreiheit: Kita streicht Weihnachtsbaum“, wird darin die Falschmeldung verbreitet. Im Text selber wird allerdings auch eine Stellungnahme der „Stiftung Kindergärten Finkenau“, zu der die betroffene Kita gehört, zitiert.
Berichterstattung führt zu rechtsradikaler Hasswelle gegen Kita – „Sind zutiefst erschüttert“
Die Stiftung sah sich zu dieser Reaktion gezwungen, nachdem die Medienberichte seit dem 5. Dezember zu einer rechtsradikalen Hasswelle gegen die Kita geführt hatten. „Wir sind zutiefst erschüttert darüber, dass unsere Kita und wir als Träger seither mit massiven rassistischen Drohungen, persönlichen Beleidigungen, Anschuldigungen und Erpressungsversuchen konfrontiert sind“, zitiert Focus online aus der Mitteilung der Stiftung Finkenau.
Die Stiftung stellte klar, dass es auch in diesem Jahr „in allen Finkenau Einrichtungen (auch in der Kita Mobi) wieder viele weihnachtliche Bräuche“ gibt – darunter neben Adventskalendern und Adventskränzen auch Weihnachtsbäume. „Dies sind nur einige Beispiele dafür, wie unsere Einrichtungen die schöne Vorweihnachtszeit für die Kinder erlebbar machen“, heißt es weiter in der vom Magazin zitierten Stellungnahme.
In einem offenen Brief, den die Stiftung ebenfalls veröffentlichte, meldeten sich auch die Elternvertreter der Kita Mobi zu Wort. Sie zeigten sich schockiert über die „Anfeindungen gegen die Einrichtung und die Mitarbeiter*innen“ und betonen, dass in der Kita Mobi „sehr wohl“ weihnachtliche Traditionen gelebt werden. „Die Instrumentalisierung einer kitainternen Entscheidung“ für eine gesellschaftliche Debatte sei „unvertretbar“, so heißt es in dem auf den 6. Dezember datierten Brief.
Bayerns Ministerpräsidenten seit 1945




Die Kita hat aus rein pragmatischen Gründen auf einen Weihnachtsbaum verzichtet
Wie genau die einzelnen Kitas ihre Dekoration zur Weihnachtszeit gestalten, liege seit fast 50 Jahren im Ermessen der jeweiligen Teams, die gemeinsam mit den Kindern darüber entscheiden, so die Stiftung Finkenau. In der Kita Mobi, die im Zentrum der Aufregung steht, habe es in den vergangenen zehn Jahren erst zirka dreimal einen Weihnachtsbaum gegebenen.
Diesen Aspekt hatte auch schon Bild wiedergegeben. Grundsätzlich spreche nichts gegen das Aufstellen eines Weihnachtsbaumes, wird Linda Köster, Vorstandsmitglied der Stiftung Finkenau, zitiert. Das Team der Kita Mobi entscheide jedes Jahr neu darüber und gehe dabei pragmatisch vor. Dieses Jahr hätten die Pläne keinen Weihnachtsbaum vorgesehen, die Kita könne eben nicht alle Bräuche umsetzen. Den Artikel hat Bild dennoch unter einer reißerischen Schlagzeile veröffentlicht: „Eltern empört! Kita streicht Weihnachtsbaum“.
Dass es überhaupt zu dieser Falschmeldung kommen konnte, nach der aus religiösen Gründen Weihnachtsbräuche abgeschafft werden, erklärt die Stiftung mit einem Missverständnis. „Die vielleicht unglückliche Formulierung zur kultursensiblen Haltung der Kita mündete leider in einer falschen, da undifferenzierten Berichterstattung“, heißt es in der Mitteilung. Es gehe der Stiftung darum, den Kindern „neben den christlich geprägten Festen auch andere kulturelle Gepflogenheiten“ näherzubringen. Es gehe nicht um eine Verbannung christlicher Bräuche und Symbole.
Bayerischer Ministerpräsident Markus Söder greift Kritik an der Kita auf
Diese Dinge hätte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) wissen können, als er am Donnerstagmorgen (7. Dezember) seinen Tweet zu dem Thema absetzte, spätestens im Laufe des Tages. Den X-Beitrag von Focus online kommentierte er mit den Worten: „Das ist absurd. Haben wir denn keine anderen Probleme? Zu Weihnachten gehört ein Weihnachtsbaum.“ Mit diesem Empörungs-Tweet, der bisher über 3400-mal gelikt und über 1,1 Millionen Mal betrachtet wurde, dürfte Söder die Welle an Hassmails, die die Kita Mobi seit Dienstag erreichen, ordentlich angekurbelt haben.
Das ist absurd. Haben wir denn keine anderen Probleme? Zu Weihnachten gehört ein Weihnachtsbaum. https://t.co/qN32oe3gFL
— Markus Söder (@Markus_Soeder) December 7, 2023
Man möchte meinen, dass Söder den verlinkten Artikel gar nicht gelesen hat – sonst hätte ihn zumindest die dort zitierte Stellungnahme des Kita-Trägers über die massiven Drohungen, Beleidigungen und Erpressungsversuche stutzig machen und von so seinem Kommentar abhalten müssen. Sein Tweet sorgte jedenfalls für große Empörung und unzählige kritische Kommentare, die vielfach geteilt und gelikt wurden. Er ist genauso wie der Tweet von Focus online mittlerweile mit Community Notes versehen, die auf den problematischen Hintergrund aufmerksam machen.
Scharfe Kritik von Strack-Zimmermann an Markus Söder: „Schämen Sie sich eigentlich nicht?“
„Sie sollten diesen Tweet löschen und sich bei der Kita, die sie mit Ihrer Mitwirkung an dieser Kulturkampf-Desinformationsnummer in eine gefährliche Lage gebracht haben, entschuldigen“, schreibt etwa Prof. Christian Stöcker von der HAW Hamburg. „Für mich ist klar: zum Christentum gehört Seenotrettung, Nächstenliebe und Demut. Und nicht spalterischer Kulturkampf“, schreibt der niedersächsische Landtagsabgeordnete Michael Lühmann (Grüne).
Besonders viel Reichweite erreichte ein Kommentar der bekannten FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann. „Schämen Sie sich eigentlich nicht, dass Sie nachgewiesene Fake News verbreiten und deswegen Kita-Mitarbeiter bedroht werden? Haben Sie denn gar kein Verantwortungsbewusstsein?“ In einem eigenen Tweet griff die Bundestagsabgeordnete ihre Kritik an Söder erneut auf und wirft dem bayerischen Regierungschef vor, „mit billigen Fake News“ gegen eine Kita zu hetzen.
Markus Söder reagiert mit diffusem Statement – und lässt den Tweet weiterhin online
Seinen Tweet zur Hamburger Kita hat er immer noch nicht gelöscht. Auf einer Pressekonferenz nach einer Vorstandssitzung der CSU äußerte sich Markus Söder heute (8. Dezember) zu der Kritik an seinem fragwürdigen Tweet. Darauf angesprochen, warum er trotz der zahlreichen Hinweise immer noch Fake News verbreitet und sich auf Kosten einer Kita an einem Kulturkampf beteiligt, antwortete er sehr diffus.
Das kann doch nicht Ihr Ernst sein @Markus_Soeder !? Was stimmt mit Ihnen nicht!#Weihnachtsbaum #NieMehrCDUCSU pic.twitter.com/hPyMzuMjVx
— Nurder Koch (@NurderK) December 8, 2023
„Die Nachricht [des aus religiösen Gründen gestrichenen Weihnachtsbaums] ging durch ganz Deutschland. Und wenn sie es anders machen, ist es gut. Und wenn es so gewesen wäre, hätten es die Leute nicht verstanden, angesichts der Probleme, die wir haben“, sagte er. Er will also scheinbar immer noch nicht ganz akzeptieren, dass es tatsächlich Falschmeldungen sind, die eine Kita in eine äußerst unangenehme, potenziell sogar gefährliche Situation gebracht haben – und sieht nicht die geringste Veranlassung, seinen Tweet zu löschen.
Auch Söders Partei, die CSU, hat aus den Fake News um eine Hamburger Kita einen Tweet zu Kulturkampf-Zwecken gemacht. „Wir sprechen uns gegen eine zunehmende ‚Cancel Culture‘ in der Gesellschaft aus“, ist darin zu lesen. Auch dieser Tweet ist weiterhin online, ergänzt durch Community Notes, die auf die zugrundeliegenden Falschmeldungen hinweisen. Der Begriff „Weihnachtsbaum“ hat es heute (8. Dezember) in die X-Trends geschafft. Nicht zuletzt durch Söders Tweet.
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