Rechter Kulturkampf
Absurder Kulturkampf nach US-Vorbild: „Patrioten“-Unterstützung für Müller-Milch – bis zum Erbrechen
Ausgelöst von der Kritik an Milch-Mogul Müller, geistert ein absurdes Video durchs Netz. Es ähnelt einem Trend aus dem US-Kulturkampf – der dort knallharte Folgen hat.
Berlin – Nachdem der milliardenschwere Milch-Mogul Theo Müller Kontakte zur AfD-Chefin Alice Weidel einräumte, schwappt nun ein bizarrer Social-Media-Trend aus den USA nach Deutschland. Ein von der Hackerin „Nella“ verbreitetes Video zeigt einen Mann, der fünf Flaschen „Müller-Milch“ hintereinander trinkt, die seinen Körper kurz darauf im Strahl wieder verlassen soll. Er scheint sich für einen „strammen Patrioten“ zu halten, wie die Hackerin polemisch anmerkte.
Müller werden seit Jahrzehnten Kontakte zur und Finanzierung der radikalen Rechten nachgesagt. Gerichtsfest belegt, schrieb die Frankfurter Rundschau, ist lediglich eine Unterstützung der deutschen Republikaner in den 1980er Jahren. Spenden an die AfD stritt Müller ab.
Das sind unsere neuen strammen Patrioten Freunde! Nehmt euch ihn acht 🇩🇪 #Müllermilch pic.twitter.com/uQfWH4vCcd
— 》N̶̸E̶̴L̶̴ ̈́̕L̶̸A̶̴《 (@n3ll41) December 3, 2023
„Müller-Milch-Patriot“ erinnert an Kid Rocks „Bud Light“-Geballer
Die Ästhetik und Idee des Videos erinnert an einen Trend aus den USA: Nachdem die Biermarke „Bud Light“ einen Werbekooperation mit der Transfrau Dylan Mulvaney verkündete, drehte die radikale Rechte der USA, bei der das Getränk sich zuvor großer Beliebtheit erfreute, durch.
Der Rock-Musiker Kid Rock, bekennender Unterstützer des Ex-US-Präsidenten Donald Trump, regte sich darüber so auf, dass er ein Video auf X hochlud, in dem er drei Paletten Dosenbier zerschoss. Dem Beispiel folgten in den USA einige. Das ist noch einer der hauptsächlich absurden Auswüchse des amerikanischen Kulturkampfes von Rechts. Dahinter steckt allerdings eine tiefsitzende Menschenfeindlichkeit.
— KidRock (@KidRock) April 4, 2023
Seit Jahren schürt die US-Rechte Angst vor allen Menschen, die nicht weiße christliche Männer sind: Es dreht sich unter anderem um eine Verschärfung des Abtreibungsrechts, das Zurückdrängen von Trans-Menschen aus dem öffentlichen Raum, Bücherverbote und teils massive Einschränkungen der Lehrfreiheit an Hochschulen in republikanisch regierten Staaten.
Im Bundesstaat Florida unter Gouverneur Ron De Santis läuft genau diese Kampagne unter dem Titel „Stoppt die Woken“. „Woke“ ist inzwischen primär zum reaktionären Kampfbegriff verkommen, und meinte ursprünglich eine Geisteshaltung, die sich der Unterdrückungsverhältnisse der Gesellschaft und der eigenen Position darin bewusst ist.
US-Kulturkampf von Rechts: Wirre Thesen mit realen Folgen, vor allem für Frauen
Die Auswirkungen dieser Politik sind massiv: In 14 Bundesstaaten sind Schwangerschaftsabbrüche nahezu völlig verboten. In sieben Staaten versuchen Republikaner ähnliche Gesetze durchzubringen, scheiterten aber bisher an Gerichten. In 5 weiteren scheiterten sie dauerhaft an Gerichten. Das geht aus einer aktuellen Analyse der New York Times hervor.
2021 wurden in den Bundesstaaten zunehmend sogenannte „Toiletten-Gesetze“ beschlossen, die Trans-Menschen vorschreiben, die Toilette zu benutzen, die für ihr Geschlecht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde, vorgesehen ist. Seitdem, so ein Bericht der NGO Human Rights Watch, nehme die Gewalt besonders gegen Trans-Frauen stark zu.
Die US-amerikanische Lehrergewerkschaft „American Federation of Teachers“ zählte bis zum Sommer 2023 45 Staaten, in denen Republikaner versucht hätten, Bücher aus Schulbibliotheken zu entfernen. Demnach soll es sogar Versuche geben, die Tagebücher der Anne Frank zu verbieten. Wegen der Eingriffe in die Lehrfreiheit an Hochschulen berichtete die New York Times kürzlich über einen regelrechten Exodus von Akademikern, aus Florida. Seit Mai 2023 ist es an dortigen Hochschulen verboten, Rassismus als strukturelles Problem zu beschreiben.
Kulturkampf in Deutschland: „Toiletten-Debatte“ und Selbstbestimmungsgesetz
Anleihen an diese Politik gab es im deutschen Social-Media-Diskurs schon vor dem milch-durstigen „strammen Patrioten“. So gab es in Deutschland an manchen Universitäten auch eine „Toiletten-Debatte“, die von der Studierendenorganisation von CDU und CSU, dem RCDS angezettelt wurde. In Erfurt beispielsweise stellte sich der Verband vehement gegen Unisex-Toiletten an der Universität.
Gegen das Selbstbestimmungsgesetz der Ampel-Koalition, das den offiziellen Wechsel des Geschlechts vereinfachen soll, wird gerade mit ähnlichen Argumenten mobilisiert, wie in den USA. Das deutsche Abtreibungsrecht ist auch durchaus restriktiver als die Rechtslage in vielen demokratisch regierten Bundesstaaten in den USA. Bücherverbote und Eingriffe in die Freiheit von Forschung und Lehre sollten hierzulande kaum möglich sein, da beide offensichtlich verfassungswidrig wären. (kb)
