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„Nur ein Weg“ für die USA
„Morbide Faszination“ für Trump und US-Wahl: „Blicken in unsere Gegenwart und Zukunft“
Donald Trump ist nicht der Startpunkt der Polarisierung in den USA, sagt Experte Stephan Bierling. Er sieht Lösungen – besser ohne Trump.
Stephan Bierling gilt als einer der renommiertesten US-Experten im deutschsprachigen Raum. Gerade hat der Politologe der Uni Regensburg ein neues Buch veröffentlicht: „Die Unvereinigten Staaten“ (C.H. Beck, 28 Euro) – ein Überblick über den in vielen Aspekten unvorteilhaften Wandel der US-Demokratie. Zeit für ein Gespräch über den Absturz der einst stolzesten Demokratie der Welt, Donald Trump, die Risiken der nahenden US-Wahl – und über mögliche Lösungswege.
Vor der US-Wahl: Trump ist nicht Auslöser der Spaltung – „aber ihr Nutznießer und Vertiefer“
Herr Bierling, Sie schreiben in Ihrem Buch, die Polarisierung in den USA habe ein halbes Jahrhundert vor Donald Trumps Amtszeit begonnen. Welchen Schlüsselmoment machen Sie da aus?
Im Grunde das Aufbrechen des Nachkriegskonsenses in den 60er-Jahren: Da haben wir in den USA ganz viele Emanzipationsbewegungen. Denken Sie an die Schwarzen-Bewegung, an die Frauen- oder Schwulen-Bewegung, an die Bewegung gegen den Vietnamkrieg. Die USA werden säkularer, sie werden liberaler, sie werden individualistischer – aber dadurch fühlt sich eben auch eine Gruppe in der Gesellschaft überfahren. Das steigerte sich in den folgenden 40, 50 Jahren. Auch, weil der Wandlungsprozess, den wir in Gesellschaft, in Technologie, in Wirtschaft, in Werten, haben, immer schneller wird und gerade in den letzten 20 Jahren dramatisch zunimmt.
Zeichnet das auch eine Linie bei den Präsidentschaftswahlen vor? In den 00er-Jahren hat man in Deutschland auf George W. Bush mit Erstaunen geblickt. Rückblickend wirkt er fast wie ein Elder Statesman.
Die Amerikaner hatten bessere und schlechtere Präsidenten. Bush junior gehört wahrscheinlich zu den schlechteren. Aber keiner dieser Präsidenten hat jemals das angezweifelt, was das Herzstück der Demokratie ist: die Anerkennung einer Wahlniederlage. Der Erste, der es in der 230-jährigen Geschichte der USA tut, ist Trump. Das zeigt nicht nur, wie besonders Trump – der keine demokratische Faser in seinem Leib hat – als Figur ist, sondern dass es auch in den politischen Parteien eine Polarisierung gibt, die es ihm im Letzten ermöglicht, die republikanische Partei zu übernehmen und das Land noch tiefer zu spalten. Trump ist nicht der Auslöser der Spaltung. Aber er ist ihr Nutznießer und Verschärfer.
US-Wahl fast ohne Wechselwähler: „Jetzt ist alles hauchdünn, auf Messers Schneide“
Radikalisierung ist nicht nur in den US-Parteien zu beobachten. Sie schreiben, das Kabelfernsehen habe einen großen Einfluss auf die Gesellschaft gehabt und die Weltsicht verengt. Sehen Sie diesen Prozess mit den sozialen Medien weiter voranschreiten?
Ja. Die große Pest der heutigen Zeit sind die sozialen Medien. Wer den Begriff des „sozialen Mediums“ erfunden hat, müsste den Nobelpreis für den größten Euphemismus, die größte Schönredung eines demokratiegefährdenden Mediums bekommen. Medien wie Facebook, TikTok oder Instagram spielen nur Nachrichten zu, die wir sowieso schon gut finden und denen wir zustimmen. Das führt im Grunde zur völligen Zersplitterung einer Gesellschaft, zu unterschiedlichen Informationen und im Letzten zu Echokammern. Das ist ein Brandbeschleuniger für die Polarisierung in den USA, aber auch darüber hinaus. Ein absolut zerstörerischer Effekt für jede Demokratie.
Gerade Trump war eine Art Social-Media-Präsident. Wie passt er da rein? Ist er ein Produkt dieser Entwicklung, oder hat er sie geprägt?
Beides. Trump kommt in die Politik, als die „sozialen Medien“ ihren Durchbruch haben, vor allem als Kommunikationsmittel mit der Öffentlichkeit. Für Politiker ist es natürlich höchst unangenehm, wenn sie von Journalisten mit kritischen Fragen konfrontiert werden. Deshalb versuchen sie direkt mit den Wählern zu kommunizieren. Und der Erste, der das in großem Maßstab gemacht hat, war Donald Trump mit Twitter im Wahlkampf 2015, 2016. Er hat den Mittler, aber damit auch den Filter, ausgeschaltet und konnte direkt an seine Wähler rangehen. Er hatte Dutzende Millionen Follower. Er konnte seine Nachrichten völlig ungefiltert verbreiten und damit viele Leute in die Echokammer hereinziehen. Die betrachten seine Informationen als genauso wichtig, realistisch und die Wirklichkeit abbildend wie Qualitätszeitungen und Qualitätsfernsehen.
Skurril wirken kann auch der aktuelle Wahlkampf. Da gibt es ein Attentat auf Trump, Kamala Harris könnte die erste Frau im Weißen Haus werden – aber das spielt gar keine so große Rolle. Verlieren da auch die Parteien über die Scharmützel das große Ganze aus den Augen?
Sie haben völlig recht. Wir haben mittlerweile zwei Wählergruppen, die so festgelegt sind, dass selbst die größten Entwicklungen und Ereignisse sie in ihrer Wahlentscheidung kaum mehr wirklich beeinflussen. Untersuchungen zeigen, dass noch etwa sechs bis acht Prozent der Amerikaner Wechsel- und weit über 90 Prozent Stammwähler sind. Selbst Ereignisse wie Corona, das Attentat auf Trump, die Kandidatur von Harris, machen vielleicht kurzfristig ein, zwei Umfrage-Prozentpunkte aus. Die Zeiten, wo ein Eisenhower oder Reagan weit über die eigene Partei hinaus Zustimmung bekamen und fast alle Bundesstaaten der USA gewinnen konnten, sind vorbei. Jetzt ist alles hauchdünn, auf Messers Schneide, es bewegt sich auch kaum etwas zwischen den Parteien. Das heißt, es ist gar nicht mehr so wichtig, die unentschiedenen Wähler zu erreichen. Sehr wichtig ist, die eigenen Wähler zu mobilisieren.
Donald Trump entgeht Attentat auf Golfplatz in Florida – Bilder und Eindrücke
„Morbide Faszination für Trump“: „Wir blicken in unsere eigene Gegenwart und Zukunft“
Ein etwas älterer Allgemeinplatz besagt, dass die USA Deutschland in der politischen Entwicklung immer ein, zwei Schritte voraus sind. Abgesehen vom unterschiedlichen politischen System: Stimmen Sie da zu?
Ich glaube, unsere Faszination mit diesem Wahlkampf und unsere morbide Faszination mit Trump hat damit zu tun, dass wir, wenn wir nach Amerika schauen, in unsere eigene Gegenwart und Zukunft blicken. Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass der Brexit sechs Monate vor der Wahl von Trump stattfand. Dass ein Orbán schon 2010 begann, das System Ungarns umzubauen. Dass wir einen Berlusconi hatten, lange vor Trump. Das heißt, das, was in Amerika passiert, sehen wir auch hier. Aber es gibt einen großen, doppelten Unterschied.
Dass die Weißen ab 2045 in den USA die Minderheit sein werden, könnte zu einer Stabilisierung und Entpolarisierung führen.
Und zwar?
Das erste ist: Trump ist ein singulärer Politiker. Trump hat einen animalischen Instinkt für Stimmungen. Er versteht es, mit Bildern zu arbeiten. Er war eben über mehr als zehn Jahre ein Fernseh-Mensch. Er hat eine Casting-Show gehabt. Er weiß im Grunde, mit welchen Argumenten, mit welchen Sätzen man Leute für sich gewinnt. Der zweite große Unterschied: Amerika hat ein Präsidialsystem. Und ein Präsidialsystem verträgt parteipolitische Polarisierung, das zentrale Thema meines Buchs, sehr viel schlechter als ein parlamentarisches System wie unseres. Der normale Mechanismus der Zusammenarbeit im Kongress und mit dem Präsidenten über Parteigrenzen wird ausgesetzt, wenn sich Parteien nur noch als Kampfverbände verstehen.
Deutschlands Problem sehen sie an anderer Stelle?
Ja, unser Problem ist eher ein anderes, das auch aus einer Polarisierung kommt – nämlich die Zersplitterung des Parteiensystems. Belgien hat so viele Parteien, die haben vor ein paar Jahren mal zwölf Monate gebraucht, um überhaupt eine Regierung zu bilden. Das ist aus amerikanischer Sicht auch völlig dysfunktional. Und wer weiß, was uns in den neuen Bundesländern im Moment gerade droht. Da ist ja auch völlig unklar, wie man unter so einer Parteienkonstellation überhaupt eine regierungsfähige Mehrheit zusammenbekommt.
Bleiben wir bei den USA. Sie bezweifeln, dass etwa eine Verfassungsänderung die Probleme lösen könnte.
Unter den Bedingungen der parteipolitischen Polarisierung werden wir gerade auf dem Weg nicht weiterkommen. Die Verfassung der USA ist die am schwierigsten zu verändernde Verfassung auf dem Planeten. Das heißt, die Triebkräfte für die Entpolarisierung der USA müssen woanders herkommen.
US-Wahl: „Es waren weiße, gut ausgebildete Politiker, die diese Polarisierung eingeprügelt haben“
Was ist Ihre Hoffnung?
Wir müssen uns vor Augen halten, dass es weiße, gut ausgebildete Politiker waren, die diese Polarisierung mit so kulturkämpferischen Themen wie Waffenbesitz, Abtreibung und Schulgebet in die Bevölkerung hereingeprügelt haben. Weil das sehr viel Loyalität bei der Bevölkerung hervorrief und zu hoher Wahlbeteiligung dieser Gruppen führte. Das heißt, wenn wir Politiker haben, die nicht ganz so kulturkämpferisch auftreten, dann wird es ein erster kleiner Schritt in diese Richtung sein. Und da wäre eine Wahlniederlage Trumps natürlich ein großes Geschenk. Sie würde zeigen, dass seine Art des Regierens und der Wahlkampfführung in den USA nicht mehrheitsfähig ist. Am wichtigsten sind aber die gesellschaftlichen Kräfte. Wir haben sehr viele Umfragen, die zeigen, dass die Amerikaner weniger gespalten sind, als die Politiker uns Glauben machen mögen.
Tatsächlich? Die USA gelten als Musterbeispiel für ein gespaltenes Land.
Es gibt Themen, wo sich langsam Kompromisse herausbilden. Thema Abtreibung zum Beispiel, Thema Immigration. Da marschieren beide Parteien etwas mehr in die Mitte in den letzten Monaten. Die letzte große Hoffnung für mich ist, dass sich Amerika demografisch wandelt. Dass die Weißen ab 2045 in den USA die Minderheit sein werden, könnte zu einer Stabilisierung und Entpolarisierung führen. Die neuen Minderheiten – asiatische Amerikaner, Latinos – haben ganz andere Probleme als die weißen Eliten. Sie wollen ein normales Leben führen, Infrastruktur haben, eine ordentliche Schule, sie wollen Unternehmen gründen können. Wenn Politiker diese schnell wachsenden Gruppen in ihre Wählerkoalition holen wollen, müssen sie gerade in einem Zwei-Parteien-System auf deren Anliegen und Sorgen schielen.
Sie haben es schon angedeutet: Die Präsidentschafts-Wahl zwischen Trump und Harris ist für Sie eine Schicksalswahl – nicht nur mit Blick auf konkrete politische Entscheidungen, sondern auch mit Blick auf die politische Kultur der USA?
Absolut. Es ist die wichtigste Wahl in meinen Lebzeiten in irgendeinem Land. Und es geht nicht nur um die politische Kultur, das ist mir zu wenig. Es geht um die Demokratie. Ich habe viele Probleme mit Harris. Ich mag ihre Industriepolitik nicht. Ich mag ihren Staatsinterventionismus nicht, der mich fast an Deutschland erinnert. Ich mag ihren Protektionismus nicht. Man kann viel Negatives sagen über Harris, aber eines ist sie nicht: eine Gefahr für die Demokratie. Trump ist eine Gefahr für die Demokratie. Und damit endet für mich eigentlich die Debatte. Es gibt nur einen Weg – und das ist, Trump zu verhindern. Er ist eine große Gefahr für die amerikanische Demokratie und auch für uns in Westeuropa und insbesondere in Deutschland. (Interview: Florian Naumann)