Korruption und Vetternwirtschaft
Wird Kambodscha ein zweites Nordkorea? Langzeitherrscher macht Sohn zum Regierungschef
Kambodschas Herrscher Hun Sen installiert seinen Sohn als neuen Regierungschef. Der Vorgang erinnert verdächtig an Nordkorea. Die Unterschiede zwischen beiden Ländern sind dennoch gewaltig.
München – Es dürfte weltweit nur wenige Politiker geben, die in den sozialen Medien derart aktiv sind wie Hun Sen. Besonders gerne teilt Kambodschas Langzeitherrscher mit seinen mehr als eine Million Telegram-Followern derzeit die neuesten Folgen der Fernsehserie „Der Sohn unter dem Vollmond“. Was nicht wirklich verwundert, schließlich erzählt die Produktion von Hun Sens eigenem Lebensweg. Ausgestrahlt wird das schwülstige Drama von einem TV-Sender, den einst Hun Sens älteste Tochter gegründet hatte und der heute eigenen Angaben zufolge eine der führenden Stationen des Landes ist – dank der tatkräftigen Unterstützung durch Hun Sen, versteht sich. Denn Wirtschaft und Politik sind in Kambodscha in weiten Teilen Familienangelegenheit.
Kambodscha gilt als eines der korruptesten Länder weltweit, die Organisation Transparency International führt den südostasiatischen Staat auf Platz 150 von 180 ihres Korruptionswahrnehmungsindex. Tatsächlich muss man in Kambodscha nicht lange suchen, um auf Vetternwirtschaft zu stoßen. Ein aktuelles Beispiel lieferte am Donnerstag vor zwei Wochen Hun Sen selbst, ebenfalls bei Telegram. Da teilte der Mann, der Kambodscha seit 1985 regierte, nicht nur einmal mehr eine Episode „seiner“ Fernsehserie, sondern auch mehrere Fotos und Videos eines Treffens von alten und neuen Regierungsmitgliedern.
Darauf zu sehen war etwa der neue Minister für den öffentlichen Dienst, Hun Many, seines Zeichens Hun Sens jüngster Sohn. Auch Hun Sens Neffe bekam einen neuen Posten, der bisherige Chef der Staatspolizei wird stellvertretender Regierungschef. Zudem folgen die künftigen Minister für Inneres und Verteidigung ihren Vätern ins Amt.
Kambodschas neuer Herrscher Hun Manet: Sein Vater regierte seit 1985
Sogar an der Spitze des kambodschanischen Staates gibt es, wenn man so will, Kontinuität. Denn auch Kambodschas neuer Ministerpräsident trägt den Familiennamen Hun: Es handelt sich um Hun Manet, den ältesten Sohn von Hun Sen, der mit mittlerweile 71 Jahren etwas kürzertreten will. Schon vor Jahren hatte Hun Sen, ein ehemaliger Kommandant der radikalkommunistischen Roten Khmer, angekündigt, die Macht dereinst an seinen Sohn übertragen zu wollen. Dass es aber tatsächlich so weit kommen würde, wollten viele lange Zeit nicht wahrhaben. Bislang kannte man eine derartige Übergabe der Regierungsgeschäfte schließlich vor allem aus Ländern wie Nordkorea, wo Diktator Kim Jong-un als Nachfolger seines Vaters und Großvaters herrscht.
Vor zwei Wochen wurde der 45-jährige Hun Manet dann aber von Kambodschas König Norodom Sihamoni offiziell zum neuen Ministerpräsidenten ernannt, an diesem Dienstag (22. August) ließ er sich nun auch vom Parlament zum Regierungschef wählen – ohne Gegenstimme. Was freilich nicht verwunderlich ist, schließlich hatte Hun Sens kambodschanische Volkspartei (CPP) bei den Wahlen Ende Juli 120 der 125 Sitze in Kambodschas Nationalversammlung geholt; die übrigen fünf Sitze gingen an eine kleine, regierungsfreundliche Partei – offenbar ein Zugeständnis, um den Anschein von demokratischem Wettbewerb zu wahren.
Richtung Westen oder Richtung China – wohin steuert Kambodscha?
Die einzige Oppositionspartei, der im Vorfeld Chancen eingeräumt worden waren, war im Mai allerdings von der Wahl ausgeschlossen worden, was unter anderem das US-Außenministerium dazu bewog, die Abstimmung als „weder frei noch fair“ einzustufen. Im Vorfeld der Wahlen habe die Verfolgung unabhängiger Medien durch die Regierung zugenommen, schrieb kürzlich die Organisation Reporter ohne Grenzen, auf deren Rangliste der Pressefreiheit Kambodscha in diesem Jahr um fünf Plätze auf Rang 147 von 180 abrutschte. Immer wieder lässt Hun Sen politische Gegner zudem einsperren oder anderweitig mundtot machen, die Menschenrechtsbilanz des Landes ist miserabel.
Bei all der Unfreiheit tut der Vergleich mit Nordkorea dem 17-Millionen-Einwohner-Land aber auch Unrecht. Denn wirtschaftlich steht das Land bedeutend besser da als Kim Jong-uns hochgerüstete und gleichzeitig bettelarme Steinzeit-Diktatur. Zwischen 1998 und 2019 wuchs Kambodschas Wirtschaft im Schnitt um 7,7 Prozent jährlich und damit so stark wie in kaum einem anderen Land. Zu verdanken war das nicht zuletzt vielen Reformen, die Hun Sens Regierung in den vergangenen Jahrzehnten angestoßen hatte. Nach einem pandemiebedingten Einbruch erwartet die Weltbank für dieses Jahr wieder mehr als fünf Prozent Wachstum.
Wirtschaftlich und politisch steht Kambodscha zwischen dem Westen – die USA und die EU sind die größten Exportmärkte des Landes – und China, dem größten Investor im Land. In welche Richtung der neue Ministerpräsident Hun Manet sein Land außenpolitisch steuern wird, ist derweil weitgehend unklar. Einerseits hat der Vier-Sterne-General in den USA und in Großbritannien studiert, gleichzeitig aber deutet wenig darauf hin, dass er den Peking-freundlichen Kurs seines Vaters beenden könnte.
Folgt Hun Manet dem Weg von Nordkoreas Kim Jong-un?
China und Kambodscha verbindet eine jahrzehntealte Freundschaft; 1979 war Chinas Volksbefreiungsarmee in Vietnam einmarschiert, nachdem die Vietnamesen ihrerseits durch eine Militäraktion in Kambodscha die Terrorherrschaft der mit China verbündeten Roten Khmer beendet hatten. Am vorvergangenen Wochenende empfing Hun Manet in Phnom Penh jedenfalls Pekings Außenminister Wang Yi, dem er für Chinas „selbstlose Hilfe“ bei der Entwicklung seines Landes dankte und zudem außenpolitische „Kontinuität“ versprach.
Und sollte Hun Manet doch vom hergebrachten Kurs seines Landes abweichen – Vater Hun Sen wird auch in Zukunft nicht weit sein, um im Notfall einzugreifen. Er wolle künftig dem Oberhaus vorsitzen und weiterhin Präsident der Regierungspartei CPP bleiben, erklärte Hun Sen unlängst. Und sollte der Sohnemann einen „schlechten Job“ machen, dann werde er das Amt des Ministerpräsidenten eben wieder selbst übernehmen.
Kambodscha scheine zwar „an einer gewissen Diversifizierung seiner wirtschaftlichen und politischen Beziehungen über China hinaus interessiert zu sein“, sagt Charles Dunst von der US-Denkfabrik Center for Strategic and International Studies. Gleichzeitig gibt der Experte für Südostasien zu bedenken: „Die Geschichte ist voll von Kindern von Machthabern, die im Westen ausgebildet wurden und von westlichen Gesprächspartnern als gemäßigt beschrieben werden, nur um dann die Macht zu übernehmen und die Übel ihres Vaters zu wiederholen, wenn nicht sogar zu übertreffen.“ Womit man wieder bei Nordkorea wäre: Auch Diktator Kim Jong-un ist einst in der Schweiz zur Schule gegangen. Zu einem Demokraten hat ihn das nicht gemacht.
Dieser Text wurde erstmals am 16. August 2023 veröffentlicht und am 22. August nach der Wahl Hun Manets aktualisiert.