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Neun von zehn sind Frauen
Der traurige Grund, warum aus Nordkorea vor allem Frauen in den Süden fliehen
Neun von zehn Nordkorea-Flüchtlingen, die in diesem Jahr in Südkorea angekommen sind, sind Frauen. Für Männer hat sich unterdessen ein neuer Weg aufgetan, das Kim-Regime zu verlassen.
Mitte Juli waren im Stadtzentrum von Seoul auf einmal Popsongs aus Nordkorea zu hören. An Straßenständen wurden Süßigkeiten verkauft, die in dem abgeschotteten Reich von Diktator Kim Jong-un beliebt sind, ältere Frauen führten nordkoreanische Tänze auf. Seit diesem Jahr begeht Südkorea am 14. Juli den „Tag der nordkoreanischen Überläufer“. Gefeiert werden all jene, die es heraus geschafft haben aus der Kim-Diktatur, um sich im Süden der koreanischen Halbinsel ein neues Leben aufzubauen.
Insgesamt 34.000 Nordkoreanern ist in den vergangenen Jahrzehnten die Flucht nach Südkorea gelungen, in Seoul leben heute etwa 6400 ehemalige Untertanen des Kim-Regimes. Während der Corona-Jahre schafften es jeweils nur ein paar Dutzend in den Süden, weil Kim die Grenzen des Landes zu China und Russland dichtgemacht hatte. Seit diesem Jahr aber steigt die Zahl langsam wieder an. So zählt das zuständige Vereinigungsministerium in Seoul bis September 181 Neuankömmlinge, fast so viele wie im gesamten Vorjahr.
Neun von zehn Nordkoreaner, die in den Süden fliehen, sind Frauen
Was auffällt: Es sind vor allem Frauen, die aus dem Norden nach Südkorea fliehen. Seit Anfang der Nullerjahre war die Zahl der weiblichen Neuankömmlinge fast immer größer als die der männlichen Flüchtlinge, nur während der Coronapandemie hatte sich das Geschlechterverhältnis vorübergehend umgekehrt. In diesem Jahr nun schafften es bislang 159 Frauen nach Südkorea und nur 22 Männer. Neun von zehn Nordkorea-Flüchtlingen, die in Südkorea angekommen sind, sind also Frauen. So viele wie nie zuvor.
„Der Grund dafür ist, dass die meisten Überläufer nicht direkt von Nordkorea nach Südkorea fliehen, sondern über ein Drittland“, erklärt eine Sprecherin des Vereinigungsministeriums in Seoul auf Anfrage. Viele der Flüchtlinge würden sich vor ihrer Flucht in den Süden jahrelang in Drittstaaten wie China verstecken, bevor sie es schließlich nach Südkorea schafften. Frauen falle das leichter als Männern, die oftmals direkt wieder nach Nordkorea zurückgeschickt werden: „Sie überleben in der Regel, indem sie Ehen schließen oder in Restaurants angestellt werden.“
Sokeel Park von der Menschenrechtsorganisation Liberty in North Korea verweist darauf, dass die meisten Flüchtlinge, die derzeit in Südkorea ankommen, ihre Heimat schon vor Beginn der Pandemie verlassen hätten. „Weibliche nordkoreanische Flüchtlinge können viele Jahre lang unbehelligt in China leben“, sagt Park. Oftmals allerdings unter schwierigen Bedingungen, viele der Frauen seien verschleppt und in ländlichen Gebieten in Zwangsheiraten mit chinesischen Männern verkauft worden. „Erst nach mehreren Jahren oder manchmal sogar Jahrzehnten finden sie jemanden, der ihnen bei der Flucht aus China helfen kann“, so Park zu IPPEN.MEDIA.
Einblicke ins Reich von Kim Jong-un: Alltag in Nordkorea
In China floriert der Schwarzmarkt für Frauen aus Nordkorea
Während die stark gesicherte Grenze zwischen den beiden Koreas kaum zu überwinden ist, war die Flucht nach China vor der Pandemie in der Vergangenheit relativ einfach. Von Nordostchina führte viele Nordkoreaner ihre Flucht weiter nach Süden in Richtung Thailand und von dort über das südkoreanische Konsulat nach Seoul. Viele Frauen aber stranden in China, wo sie oftmals gegen ihren Willen verheiratet werden. Weil es in China weniger Frauen als Männer gibt – während der Zeit der Ein-Kind-Politik wurden weibliche Föten oftmals abgetrieben –, hat sich in dem Land ein florierender Schwarzmarkt für nordkoreanische Bräute entwickelt. „Diese Frauen arbeiten und leben als moderne Sklaven für die Familien, die sie gekauft haben“, sagte im vergangenen Jahr Kim Jeong-ah, die selbst aus einer Zwangsehe geflohen ist und nun einer Menschenrechtsgruppe vorsitzt, vor den Vereinten Nationen in Genf.
Die meisten Nordkoreanerinnen, die in China leben, sind illegal dort, haben deswegen keinen Zugang zum Gesundheitssystem und können sich nicht frei im Land bewegen. Immer wieder beklagen Menschenrechtsorganisationen zudem Zwangsrückführungen nach Nordkorea. Alleine im vergangenen Jahr sollen mehrere Tausend Nordkoreanerinnen und Nordkoreaner von den chinesischen Behörden gegen ihren Willen nach Nordkorea ausgewiesen worden sein. Dort drohen ihnen Folter, Haft und im schlimmsten Fall die Todesstrafe. Die Regierung in Peking betont immer wieder, sich an internationale Regeln zu halten.
Einsatz in Russland: Die ersten Nordkorea-Soldaten desertieren bereits
Wer es nach Südkorea schafft, wird aber auch dort nicht immer mit offenen Armen empfangen. Seit die Spannungen zwischen Seoul und Pjöngjang wieder steigen, berichten Flüchtlinge von zunehmenden Anfeindungen. Dabei ist der Kulturschock für Neuankömmlinge ohnehin groß. Auch waren im vergangenen Jahr 4,5 Prozent der Nordkorea-Flüchtlinge arbeitslos, deutlich mehr als in der Durchschnittsbevölkerung. Fast jeder Vierte, der es nach Südkorea geschafft hat, ist zudem auch noch nach Jahren auf staatliche Unterstützung angewiesen, wie aus Zahlen des Vereinigungsministeriums hervorgeht.
Für nordkoreanische Männer hat sich unterdessen ein weiterer, ungleich gefährlicherer Weg aufgetan, um ihr Land zu verlassen: Mehrere Tausend zumeist junge Soldaten wurden vom Kim-Regime nach Russland geschickt, um gegen die Ukraine zu kämpfen; unbestätigten Berichten zufolge sind die ersten bereits desertiert. Generell gelten die Soldaten, die Kim in den Kampf geschickt hat, als besonders linientreu. Die Regierung in Kiew ruft sie dennoch zum Überlaufen auf. „Egal, wie viele Soldaten Pjöngjang schickt, um Russland zu helfen, egal, wohin die Reise geht: Die ukrainischen Kriegsgefangenenlager sind bereit, Soldaten jeder Nationalität, Religion und ideologischen Überzeugung aufzunehmen“, heißt es in einem auf Koreanisch verbreiteten Video der ukrainischen Behörden.