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Teheran gerät unter Druck
Iran-Expertin: Assad-Sturz in Syrien könnte sich zum Domino-Effekt entwickeln
Die Machthaber im Iran geraten durch geopolitische Niederlagen und innenpolitische Krisen zunehmend unter Druck. Wie geschwächt ist Teheran?
Der Iran steckt in einer außenpolitischen Krise. Der Sturz des Ex-Diktators Baschar al-Assad in Syrien und die Schwächung der Hamas durch Israel haben Teheran in eine Position der Schwäche versetzt. Die Konfliktforscherin und EU-Abgeordnete Hannah Neumann erklärt im exklusiven IPPEN.MEDIA-Interview, welche geopolitische Rolle der Iran im Nahen Osten nun spielt und ob die Machthaber innenpolitisch unter Druck geraten werden. Die Grünen-Politikerin ist Vorsitzende der EU-Delegation für die Beziehungen zum Iran.
Der Iran hat in den vergangenen Monaten einige geopolitische Niederlagen einstecken müssen – vor allem durch den Sturz des ehemaligen Machthabers Baschar al-Assad in Syrien und die militärischen Erfolge von Israel. Wie stark ist Teheran geschwächt?
Das Regime ist geopolitisch so stark geschwächt wie seit langer Zeit nicht mehr. Früher beruhte seine Stärke auf der Stärke seiner Proxys, also der bewaffneten Gruppierungen, die es unterstützt, wie der Hisbollah. Bei Konflikten standen die iranischen Führer immer als Drohungen hinter ihren Partnern – etwa wie ein großer Bruder bei Streitereien auf dem Schulhof, den man holt, wenn jemand einem zu doll auf den Keks geht. Das Problem für die Proxys: Ihr großer Bruder – der Iran – kam in den letzten Monaten nicht mehr so richtig. Das hat die Proxys sehr geschwächt. Und damit auch das Regime.
Ist diese fehlende Unterstützung der Grund für den Sturz Assads?
Ja, unter anderem. Die syrische Rebellengruppe HTS hat als eine der ersten die mutmaßliche Schwäche des Iran getestet – mit Erfolg. Sie haben mal geschaut, was hinter Assad eigentlich noch so steht – um festzustellen: nicht viel.
Iran eilte Hisbollah nicht zur Hilfe
Welche Gruppen haben noch unter der iranischen Schwäche gelitten?
Vor allem die Hisbollah. Sie wurde massiv von Israel unter Premier Benjamin Netanjahu angegriffen. Obwohl die Hisbollah den Iran mehrmals um Hilfe gebeten hatte, blieb sie quasi auf sich alleine gestellt.
Syrien-Rebellen stürzen Assad: Die Bilder des Machtwechsels
Können diese Beispiele zu einem Domino-Effekt in der Region führen?
Absolut. Jetzt könnten auch andere Akteure auf die Idee kommen, andere iranische Proxys zu testen, um zu schauen: Wie sehr steht der große Bruder noch hinter ihnen? Beziehungsweise wie stark sind die Gruppen ohne den Iran? Und das hat den Iran in eine schwere außenpolitische Krise gestürzt. Wir beobachten zurzeit zahlreiche hektische iranische Verhandlungsangebote in alle Richtungen. Dazu kommt ein reines Logistikproblem: Viele Waffen wurden über Syrien an die Hisbollah oder Hamas geliefert. Diese Route ist nun erstmal dicht.
Fürchtet der Iran die Entwicklungen in Syrien?
Dazu kommt die Schwächung eines der wichtigsten Partner: Russland.
Genau. Das Land von Präsident Wladimir Putin hat seine beiden wichtigen Militärbasen in Syrien verloren. Das ist eine schwere strategische Niederlage – insbesondere für die russischen Militäroperationen in Afrika. Und ein weiterer Aspekt, der selten berücksichtigt wird, kommt dazu.
Welcher ist das?
Als Konfliktforscherin war ich häufig in der Region unterwegs. Auch in Ländern, in denen es immer wieder kleine Demokratie-Bewegungen gibt – beispielsweise im Irak. Hier griffen die politischen Führer schnell auf ein verbreitetes Narrativ zurück. Mit der Frage für die Bevölkerung: Wollt ihr wirklich so enden wie die Syrer, die Demokratie suchten und durch den jahrelangen Bürgerkrieg enormes Elend und brutale Armut fanden? Wollt ihr so enden wie Syrien, dieses vormals reiche und schöne Land, das nur noch in Ruinen liegt? Natürlich will das niemand. Daher hat dieses Narrativ so wahnsinnig gut funktioniert. Aber: Jetzt wandelt es sich. Falls sich in Syrien tatsächlich eine demokratische und gleichberechtigte Regierungsform entwickelt, entsteht ein ganz anderes Narrativ. Und deswegen ist es so wichtig, dass wir in Deutschland und der Europäischen Union Syrien nun mit allem unterstützen, was wir können auf dem Weg dahin.
Auch unterdrückte Iranerinnen und Iraner werden die Entwicklungen in Syrien – zumindest teilweise – sehen. Kann das zu einer Revolution im Iran führen? Das Land kämpfte zuletzt mit einer enormen Energiekrise. Selbst Schulen und Universitäten mussten für längere Zeit geschlossen werden. Wie sehr steht das Machtzentrum unter innenpolitischen Druck?
Das ist eine sehr spannende Frage, die uns alle zurzeit umtreibt. In der Vergangenheit hat die Führung auf außenpolitische Krisen immer mit stärkeren innenpolitischen Repressionen reagiert. Und so scheint es auch jetzt zu reagieren. Es gibt weiterhin eine hohe Anzahl an Exekutionen und die Repressionen gegen die Bevölkerungen sind massiv. Beispielsweise gibt es diese absurden Gesetze, die sagen: Frauen ohne Kopftuch sind verrückt und werden jetzt in Kliniken eingewiesen. Wegen der Wirtschafts- und Energiekrise erkenne ich in der iranischen Gesellschaft eine hohe Frustration.
EU-Abgeordnete Neumann: Allianz zwischen Iran und Russland richtet sich gegen Europa
Vor wenigen Wochen hat der Iran mit Russland ein öffentlichkeitswirksames Abkommen vereinbart. Will Teheran damit die Stimmung in der Gesellschaft verbessern und seine Wirtschafts- und Energiekrise lösen?
Ja, aber: Ich höre aus internen Kreisen, dass das iranische Regime nicht das bekommen hat, was es sich versprochen hatte. Iran und Russland sind eben keine natürlichen Partner. Das Bündnis basiert auf der Notwendigkeit, westliche Sanktionen zu umgehen und gegenseitig militärische Kapazitäten zu stützen. Die ideologischen Interessenslagen bleiben unterschiedlich.
Inwiefern hilft dieses Abkommen den beiden Staaten überhaupt? Insbesondere der Zeitpunkt der öffentlichen Bekanntgabe – zwei Tage vor Donald Trumps Amtseinführung in Washington – deutet darauf hin, dass die Kooperation eher symbolischer Natur ist. Das Abkommen soll bereits im Oktober quasi unterschriftsreif verhandelt gewesen sein.
Ich glaube, dass sie vor allem gemeinsam Sanktionen umgehen wollen. Der Iran liefert unter anderem Öl, Shahed-Drohnen für den Ukraine-Krieg und Artillerie. Im Gegenzug halte ich es für wahrscheinlich, dass Russland den Iran mit Atomtechnik unterstützt. Die Frage ist: Wie stabil ist diese Beziehung? Weil beide keine komplett gleichen Weltbilder oder geopolitischen Ziele haben. Auch China darf in dieser Gleichung nicht unberücksichtigt werden. Die Chinesen haben kein Interesse daran, dass mit dem Iran noch eine Atommacht dazukommt. Das wiederum beeinflusst die chinesisch-russische Partnerschaft. Für uns Europäer sollte jedenfalls feststehen: Die Allianz zwischen Iran und Russland richtet sich gegen die Ukraine, gegen Freiheit und Selbstbestimmung – und somit auch gegen die EU.
Auf diesem von der iranischen Armee am Montag, 20. Januar 2025, zur Verfügung gestellten Foto bewegen sich Panzer während einer Übung im Nordosten des Irans vorwärts.
Wird die EU weitere Sanktionen gegen den Iran beschließen?
Wir bereiten ständig mögliche Sanktionen gegen repressive Regime vor. Ich finde, dass wir die iranische Schattenflotte mit stärkeren Maßnahmen belegen sollten – analog zu den bereits vorhandenen Sanktionen gegen Putins Schattenflotte, um Waffentransporte und Drohnenlieferungen zu unterbinden. In der EU müssen Sanktionen rechtssicher sein und dafür müssen Beweise gesammelt werden. Daher dauert es immer ein bisschen. Und natürlich gehören die Revolutionsgarden endlich auf die Terrorliste.
Nach dem letzten großflächigen Angriff Israels auf den Iran vor ein paar Wochen hatte Teheran erneut Vergeltung angekündigt. Wie realistisch ist diese Drohung? Wird sich diese Eskalationsspirale der Gewalt weiterdrehen?
Dokumente aus Sicherheitskreisen legen die Vermutung nahe, dass Israel beim letzten Angriff die Luftverteidigung des Iran fast vollständig zerstört hat. Für einen Gegenschlag bräuchte das iranische Militär diese Air Defense und Fighter-Jets aus Russland, die Putin aber bisher nicht geliefert hat – trotz Ankündigung. Das heißt: Mit der letzten Attacke hat Israel seinen Feind enorm geschwächt. Der Iran kann zwar weiter drohen, aber seine Möglichkeit im militärischen Bereich sind zurzeit sehr begrenzt. (Interview: Jan-Frederik Wendt)