Trauzeugen-Affäre vor Ausschuss
Protokoll veröffentlicht: Das sagte Habeck zum angeblichen grünen „Filz“ - Statement im Wortlaut
Unter Ausschluss der Öffentlichkeit nahm Wirtschaftsminister Habeck zu den Vorwürfen der Vetternwirtschaft in seinem Ministerium Stellung. Jetzt wurde sein Statement veröffentlicht.
Berlin - Filz, Vetternwirtschaft, Clan-Strukturen: Die Vorwürfe gegen Robert Habeck (Grüne) und sein Bundeswirtschaftsministerium waren in den letzten Wochen groß. Habecks Staatssekretär Patrick Graichen war daran beteiligt, dass sein Trauzeuge Michael Schäfer neuer Chef der deutschen Energieagentur wurde. Das schlug hohe Wellen - und das Netzwerk reicht wohl noch tiefer.
Habeck und Graichen selbst sprechen von einem Fehler, den sie mit der Entlassung Schäfers wiedergutmachen wollen. In einer gemeinsamen Sitzung der Ausschüsse für Wirtschaft sowie Klimaschutz und Energie nahmen die beiden Stellung zu den Vorwürfen. Die Sitzung war nicht-öffentlich. Jetzt veröffentlichte die Bundestags-Verwaltung das gesamte Protokoll der Sitzung, inklusive des umfangreichen Eingangs-Statement von Habeck.
Habeck sprach im Ausschuss von „Härte“ und „Häme“
Habeck sagte in der Sitzung, hinsichtlich der Trauzeugen-Affäre sei mit einer „Härte und teilweise einer Häme“ gearbeitet worden, die „weit über das übliche Maß“ hinausgehe. Die Arbeit seines gesamten Ministeriums sei diffamiert worden. Verwandtschaftsverhältnisse zwischen Mitarbeitern seines Ministeriums und beispielsweise dem Öko-Institut und dem BUND e.V. seien von Anfang an transparent gemacht worden, betonte Habeck. Es seien Maßnahmen getroffen worden, um Interessenskonflikt zu vermeiden.
Die Art der Postenvergabe für den dena-Chef sei ein Fehler gewesen, den er nicht ungeschehen machen könne, räumte der Wirtschaftsminister ein. Er habe aber Konsequenzen gezogen und die „Sensibilität für mögliche Interessenskonflikte“ sei „nun noch einmal gestärkt“.
Habeck schilderte seine Rolle in der Trauzeugen-Affäre
Im Anschluss an Habecks Statement stand der Vizekanzler dem Ausschuss Rede und Antwort. Dabei sagte Habeck, er habe keine Kenntnis darüber gehabt, dass Schäfer der Trauzeuge von seinem Staatssekretär Graichen sei. Dass sie sich kennen, sei ihm aber bewusst gewesen. Graichen habe aber auch andere Bewerber gekannt.
Als er Ende April von der Trauzeugen-Beziehung erfahren habe, sei ihm „sofort klar“ gewesen, „dass da ein extremes Problem vorliegt“. Er habe sofort veranlasst, dass das Verfahren neu aufgerollt werde und die Öffentlichkeit informiert werde. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder und die CSU sehen in der Sache allerdings noch mehr Aufklärungsbedarf: Sie fordern einen Untersuchungsausschuss zur „Trauzeugen-Affäre“ im Bundestag.
Habeck Statement zu Vorwürfen der Vetternwirtschaft im Wortlaut
Hier Habecks Eingangs-Statement laut dem Protokoll der Bundestags-Verwaltung im Wortlaut:
Habecks Verteidigung zur Graichen-Affäre im Wortlaut: Das sagte er in der Sitzung
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Vorsitzende, noch einmal, ich begrüße es sehr, dass es diese Ausschusssitzung gibt. Ich habe beide Ausschüsse als außerordentlich differenziert und sachbezogen arbeitend kennengelernt und das scheint mir in dieser Sache auch angezeigt zu sein. Wir sind alle Politikerinnen und Politiker und wir wissen, dass es nicht immer um Sachaufklärung geht, sondern um Macht, um Machtinteressen, um Zustimmung, um Mehrheiten und es ist auch richtig und okay. Dennoch glaube ich, es ist wichtig, dass wir die Kraft zur Differenzierung, obwohl wir in diesem politischen Raum leben, immer wieder aufbringen und so wollen wir es heute hier handhaben, jedenfalls von meiner Seite.
In den letzten Wochen und Monaten, und das möchte ich gerne voranstellen, wurde mit einer Härte und teilweise einer Häme, die weit über das übliche Maß hinausgeht, geredet und gearbeitet. Dabei wurden Unterstellungen und Unwahrheiten in die Welt gesetzt. Es fielen böse Formulierungen und die Arbeit des gesamten Wirtschaftsministeriums ist teilweise diffamiert worden. Dabei wird zum Teil alles mit allem vermengt, ich gehe gleich noch einmal darauf ein, aber erlauben Sie mir bitte zum Anfang, dass ich mich in dieser Sitzung vor mein Haus, vor die Kolleginnen und Kollegen stelle und dass ich mich gegen pauschale Verdächtigungen, Unterstellungen und auch Beleidigungen ihnen gegenüber extrem verwahre. Die Menschen, die im Wirtschafts- und Klimaschutzministerium arbeiten, teilweise schon sehr lange dort arbeiten, die einen Beamteneid geschworen haben, sie leisteten und leisten Herausragendes. Und, wenn ich das sagen darf, in einigen Fällen sicherlich mehr und Relevanteres als Einige, die sie beleidigt haben.
Habeck zur Kritik der Opposition: „Es geht um Macht und Machtinteressen“
Erlauben Sie mir weiterhin folgende Anmerkungen: Wir Politikerinnen und wir Politiker verfolgen oft Taktik und setzen die Sachen strategisch auf. Wie gesagt: Es geht um Macht und Machtinteressen, das ist unser Beruf und insofern auch in Ordnung. Es ist Teil des politischen Betriebes. Aber ab und zu muss man sich eben auch selbst fragen und hinterfragen, ob man den eigenen Umgang mit der Macht immer genügt. Ich habe das in den letzten Tagen häufig getan und meine Entscheidung immer wieder daraufhin überprüft. Deshalb haben wir Fehler eingeräumt, wo sie passiert sind. Diese Überprüfung allerdings, ob man den eigenen Ansprüchen genügt, muss Jeder und Jede für sich selbst machen und ich bin mir nicht sicher, ob alle Kolleginnen und Kollegen der Opposition sich diesem Spiegelblick unterziehen.
Habeck: „Debatte um erneuerbare Wärme nicht über Angriffe auf Person führen“
Lassen Sie mich zur Sache kommen, es gibt vier Komplexe zu unterscheiden. Erstens das GEG, also das Gebäudeenergiegesetz, ein Gesetz, das zu vielen Debatten führt, Debatten, die notwendig sind. Ein Gesetz, das aus meiner Sicht ebenfalls notwendig ist, um das einzulösen, was die Vorgängerregierung beschlossen hat, nämlich Deutschland klimaneutral zu machen und Verbraucherinnen und Verbrauchern vor dann kommenden hohen Preisen zu schützen. Ein Gesetz, das natürlich auch Interessen berührt, Interessen in diesem Fall von Öl- und Gasfirmen und zwar negativ. Ich weiß also, dass es Widerstand gegen das Gesetz gibt, aber ich denke, und das ist mein Punkt, man sollte die Debatte über die erneuerbare Wärme versus Öl- und Gaswärme nicht über Angriffe auf die Person führen, sondern in der Sache.
Zweitens abgesetzt davon: Die Stellenbesetzung zu Anfang der Legislaturperiode, der zweite Punkt, den man unterscheiden muss. Ja, es wurden in meinem Ministerium, um die Funktionsfähigkeit der Koalition über die Vizekanzlerschaft zu gewähren, neue Stellen geschaffen. Aber weniger als zum Beispiel bei der Regierungsbildung 2018, da wurden 41 Stellen geschaffen, bei uns 35. Alle Stellen, die geschaffen worden sind, sind mit kw-Vermerk versehen, also an die Aufgabe der Vizekanzlerschaft gebunden. Sollte die wegfallen, fallen die Stellen auch weg. Staatsekretärin Hajduk kann dazu im Detail gerne länger berichten.
Verwandtschaften in Habecks Umfeld: Vize-Kanzler spricht von „Transparenz“ und „Brandmauern“
Dritter Komplex, ebenfalls abgesetzt davon: Die Vorwürfe gegen die Verwandtschaftsverhältnisse von Staatssekretär Kellner und Patrick Graichen. Hier ist von beiden selbständig, gleich zu Beginn der Legislaturperiode Transparenz hergestellt worden. Es wurden darauf unmittelbar Brandmauern eingezogen und die Strukturen entsprechend aufgestellt. Die Abteilungslungen wurden schriftlich darüber informiert, dass Vergabeverfahren, die das Ökoinstitut und den BUND e.V. betreffen, nicht über den Schreibtisch des Staatssekretärs gehen dürfen.
Und umgekehrt möchte ich darauf verweisen, dass der Bundesgerichtshof im Juni 2020 bereits geurteilt hat, dass ein Interessenkonflikt, den es natürlich geben kann, eine pauschale Vergabesperre nur insoweit rechtfertigen kann, als die Gefahr eines Einflusses auf ein Vergabeverfahren nicht mit anderen, milderen Mitteln gebannt werden kann. Es ist also oder wäre nicht zulässig, einen ganzen Verein pauschal von Ausschreibungen auszuschließen. Es ist vielmehr die Aufgabe der Behörde, ein geeignetes Verfahren zur Vermeidung von Interessenkonflikten aufzusetzen und genau das haben wir gleich nach Amtsantritt getan.
Habeck zum dena-Posten: „Fehler eingestanden und Konsequenzen gezogen“
Und jetzt zu dem vierten Themenkomplex, alles zu unterscheiden und nicht zu vermengen: Die Neubesetzung der dena-Geschäftsführung. Ja, hier ist ein Fehler passiert, der nicht hätte passieren dürfen. Wir haben ihn eingestanden, wir haben die Konsequenzen gezogen und es ist richtig, es ist natürlich auch berechtigt zu fragen, ob der Fehler so gravierend ist, dass ich Staatssekretär Patrick Graichen entlassen muss. Und natürlich habe ich mir diese Frage gestellt und sicherlich Patrick Graichen ebenfalls sich selbst. Ich habe sie verneint. Erstens wird die Ausschreibung wiederholt, natürlich macht das den Fehler nicht ungeschehen, das ist mir wohl bewusst, aber es erlaubt, dass eine neue dena-Geschäftsführung befreit von den Befangenheitsvorwürfen arbeiten kann. Zweitens wurde die Sensibilität für mögliche Interessenkonflikte noch einmal gestärkt. Als Lehre daraus wird die Findungskommission breiter aufgestellt und es werden bessere Vorkehrungen getroffen, damit Interessenkonflikte nicht entstehen können. Das begrüße ich ausdrücklich.
Fehler müssen als Fehler benannt werden, das haben wir getan. Aber mein Punkt ist, die Vorwürfe, die teilweise erhoben wurden, setzen sich zum Teil auch aus einem Gespinst von Unterstellungen und gar falschen Behauptungen zusammen. Ich habe dazu das Meine am Anfang gesagt, ich möchte, dass wir die Kraft zur Differenzierung aufbringen. Wir werden differenziert antworten. Vielen Dank.
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