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IPPEN.MEDIA-Interview
„Macht die AfD stärker“ – NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur geht mit Söder hart ins Gericht
NRW-Vizeministerpräsidentin Mona Neubaur im Interview über schwächelnde Konjunktur, Schwarz-Grün als Blaupause für den Bund – und einen Ruf nach Berlin.
Düsseldorf – Der Blick ist atemberaubend: Vom 20. Stockwerk des Mannesmann-Hochhauses sieht man über ganz Düsseldorf und weit darüber hinaus. Hier oben arbeitet NRW-Vizeministerpräsidentin und Wirtschaftsministerin Mona Neubaur. Hinter ihr, am Horizont, qualmen die Schlote eines Braunkohlekraftwerkes irgendwo im Rheinischen Revier. Neben ihr auf einem Regal steht das Modell einer Windkraftanlage.
Mehr Symbolik geht kaum: Die Grünen-Politikerin treibt Kohleausstieg und Hochlauf erneuerbarer Energien voran, will 1000 Windräder bis 2027 in ihrem Bundesland haben. Seit zwei Jahren steht sie hinter CDU-Ministerpräsident Hendrik Wüst an der Spitze der schwarz-grünen Landesregierung. Die ungewöhnliche Koalition demonstriert nach außen gern Harmonie, aber es gab auch schwierige Momente, so Neubaur. Die Wahl-Düsseldorferin gibt sich als Lokalpatriotin, lobt das Düsseldorfer Altbier und liebt den örtlichen Fußballclub Fortuna 95. Dass sie im ländlichen Bayern aufgewachsen ist, verrät nur manchmal ein Hauch von Schwaben-Dialekt.
Frau Neubaur, Sie sind nicht nur Wahl-Düsseldorferin, sondern auch Mitglied im Fußballclub Fortuna 95. Schaffen Sie es manchmal noch ins Stadion?
Ich schaffe es kaum noch. Leider hat es auch mit dem Aufstieg der Fortuna in die 1. Liga nicht geklappt. Ein Spielbeginn samstags um 15.30 Uhr hätte zumindest ein bisschen besser zum Kalender einer Ministerin gepasst.
Die stellvertretende NRW-Ministerpräsidentin Mona Neubaur hat eine Leidenschaft für Fußball: „Fan einer launischen Diva wie der Fortuna zu sein, bedeutet, zu leiden und trotzdem die Zuversicht nicht zu verlieren.“
Ich war 1997 in Düsseldorf und habe mir angeguckt, ob ich hier studieren will. Zufällig spielte die Fortuna damals gegen den VfB Stuttgart, verlor gnadenlos und stand vor dem Abstieg. Die Reaktion der Fans im Stadion nach dem Spiel hat mich aber echt berührt. Die Unterstützung für den Verein trotz Niederlage, egal ob es auf oder ab geht, das war schon ein besonderes Erlebnis. Fan einer launischen Diva wie der Fortuna zu sein, bedeutet, zu leiden und trotzdem die Zuversicht nicht zu verlieren.
Sie haben sich bewusst für NRW als Lebensmittelpunkt entschieden. Was können sich andere Bundesländer bei Nordrhein-Westfalen abgucken?
Wir wissen, wer wir sind, was wir können und woher wir kommen. Nordrhein-Westfalen hat so unterschiedliche Regionen wie Menschen, die hier leben. Die Leute im Rheinland, im Ruhrgebiet oder im Münsterland haben ihre ganz eigene Art, trotzdem fühlen wir uns einander verbunden. Dieses Gefühl schafft mehr Gemeinsamkeit als irgendeine Tracht. Und auch wirtschaftlich hat NRW ein größeres Potenzial als viele andere Bundesländer.
Inwiefern?
Hier kommen Wirtschaft und Wissenschaft zusammen wie an kaum einem anderen Ort in Deutschland und Europa. Wir haben über 70 Hochschulen in NRW, rund 750.000 Studierende. Wenn es um die Entwicklung der großen Themen wie Digitalisierung, KI oder klimafreundliche Produktionsweisen geht, haben wir hier sehr gute Bedingungen. Und Stichwort Ausbau der Erneuerbaren: Von der Kreis- über die Regional- bis zur Landesebene setzen wir nicht nur um, wir setzen Maßstäbe – beim Windenergieausbau sind wir Spitzenreiter, weit vor allen anderen Bundesländern.
Die Landesregierung hat das Ziel von 1000 Windrädern bis 2027 in NRW. Bis jetzt gibt es gerade mal 100. Was ist mit den noch fehlenden 900?
Die werden noch kommen. Bei den Genehmigungen für Windenergieanlagen liegen wir schon jetzt deutlich über den 1000. Das zu erreichen, war ein echter Kraftakt, weil es auch darum ging, das Mindset in den Behörden positiv zu verändern. Jetzt gilt es, sich darauf nicht auszuruhen, sondern weiter gemeinsam an vielen Stellschrauben zu drehen. Die Koalition ist bei diesem Thema sehr eng beieinander, deshalb bin ich guter Dinge, dass wir unser Ziel schaffen werden.
Würden Sie sagen, dass Schwarz-Grün eine Blaupause für den Bund ist?
CDU und Grüne im Bund sollten, wie alle anderen demokratischen Parteien auch, gesprächsfähig untereinander bleiben. Das müssen die Bürgerinnen und Bürger in einer Demokratie erwarten können. Bei all der notwendigen Auseinandersetzung in der Sache dürfen wir es nicht verlernen, den Wert des Kompromisses zu schätzen, weil er immer auch zu neuen Lösungen führt. Für NRW kann ich sagen: Das funktioniert bei uns. Wir sind uns hier aber auch genauso einig darin, dass wir zwei unterschiedliche Parteien sind und das bleiben werden.
Mona Neubaur
► Mona Neubaur wurde 1977 in Pöttmes/Bayern geboren ► Zum Studium kam sie 1997 nach Düsseldorf, trat dort 1999 den Grünen bei ► Nach ihrem Abschluss als Diplom-Pädagogin war Neubaur bis 2007 beim Stromanbieter NaturStrom beschäftigt, danach folgten Tätigkeiten für die parteinahe Heinrich-Böll-Stiftung ► Chefin der NRW-Grünen war Mona Neubaur von 2017 bis zu ihrem Einzug in den Landtag 2022 ► Als Spitzenkandidatin der Grünen wurde Neubaur in der schwarz-grünen Koalition Ministerin für Wirtschaft, Klimaschutz, Industrie und Energie – und Stellvertreterin von Ministerpräsident Henrik Wüst (CDU)
Gab es auch schwierige Momente mit der CDU?
Die gibt es bei der Fülle an Themen hier im Land natürlich immer wieder. Ein herausfordernder Moment war aber sicherlich die Zeit nach dem schrecklichen islamistischen Terroranschlag von Solingen, der für uns alle eine furchtbare Zäsur darstellt. Wir haben uns in der Koalition schnell dazu entschieden, Schritt für Schritt und mit einem ganzen Bündel konkreter Maßnahmen zu reagieren. Natürlich gab es da auch Diskussionen zwischen den Koalitionspartnern. Aber klar war immer: Die Sicherheit der Menschen, die hier leben, hat oberste Priorität für uns.
Nach Solingen gab allerdings auch viel Kritik an der grünen Integrationsministerin Josefine Paul. Bis hin zu Rücktrittsforderungen.
Josefine Paul hat direkt die Rolle der Chefaufklärerin angenommen. Ihr Ziel war von Beginn an, mögliche Versäumnisse in einem sehr komplexen System zu identifizieren und Sorge zu tragen, dass sie sich nicht wiederholen. Deswegen hat sie sich in den ersten Tagen mit Äußerungen zurückgehalten und stattdessen eine solide Analyse vorgelegt. Sich nicht breitbeinig hinzustellen und die Verantwortung anderen zuzuschieben, sondern alles genau zu prüfen und daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen, diesen Weg halte ich für klüger.
Die schwächelnde Wirtschaft ist für viele ein großes Thema vor der Bundestagswahl. „Ich bin natürlich nicht zufrieden mit der konjunkturellen Seitwärtsbewegung, die unsere Wirtschaft auch im letzten Jahr gemacht hat. Wir brauchen eine Reformagenda“, sagt die Wirtschaftsministerin des bevölkerungsreichsten Bundeslandes.
Mehr noch als Migration treibt die Menschen vor der Bundestagswahl die Frage um, wie es mit der Wirtschaft im Land weitergeht. Viele haben Angst vor sozialem Abstieg. Sie sind die Wirtschaftsministerin des bevölkerungsreichsten Bundeslands Deutschlands. Wie groß ist der Druck angesichts der schwachen Konjunktur in Deutschland und NRW?
Ich bin natürlich nicht zufrieden mit der konjunkturellen Seitwärtsbewegung, die unsere Wirtschaft auch im letzten Jahr gemacht hat. Wir brauchen eine Reformagenda und müssen die strukturellen Herausforderungen für den Wirtschaftsstandort angehen. Ein Teil sind die Energiekosten. Ich habe schon vor zwei Jahren das erste Mal öffentlich gefordert, dass wir eine Entlastung bei den Netzentgelten brauchen, für die Bürgerinnen und Bürger und für die Wirtschaft. Leider war das mit Kanzler und Bundesfinanzminister nicht zu machen.
Was ist der andere Teil?
Über Jahre und Jahrzehnte wurde dem demografischen Effekt nichts entgegengesetzt. Die Babyboomer gehen jetzt in Rente, wir haben einen massiven Fachkräftemangel. Mit unserer Arbeits- und Fachkräfte-Offensive in NRW wollen wir ungenutzte Potenziale heben. Dafür brauchen wir auch eine aktive Zuwanderungspolitik. Wir müssen besser prüfen: Welche Qualifikationen bringen Einwanderer mit, die jetzt in Deutschland leben? Allein in NRW brauchen wir in den nächsten Jahren 400.000 Menschen, wenn die Unternehmen wieder wachsen.
Diese Äußerung halte ich für gefährlich. Und das nicht nur, weil die Forderungverfassungsrechtlich kaum durchzusetzen sein dürfte. Ich befürchte, dass er hier bewusst in einem bestimmten Milieu zu fischen versucht. Wer aber die Positionen der politischen Ränder übernimmt, gewinnt dadurch in der Regel nicht, sondern normalisiert antidemokratisches Gedankengut. Ich habe Friedrich Merz als überzeugten und streitbaren Demokraten kennengelernt, der Menschen- und Bürgerrechte, die europäische Solidarität und den Wert der Freiheit schätzt und verteidigt. Das steht ihm deutlich besser, als populistisch draufloszuplappern.
NRW ist ein Strukturwandel-Land. Im Rheinischen Revier siedelt sich nach dem Kohle-Aus unter anderem Microsoft an. Arbeitsminister Hubertus Heil hat neulich gesagt, das Revier könne sich zum Strukturwandel-Vorbild für ganz Deutschland entwickeln. Kann NRW dieser Anforderung gerecht werden?
Können wir und sind wir schon längst. Wir haben im Rheinischen Revier viele Ankerprojekte, die sich sehr intensiv mit nachhaltigen Produktionsprozessen beschäftigen. Das zieht weltweit Unternehmen an, wie beispielsweise den taiwanesischen IT-Konzern Quanta. Es gibt Gründe für den Erfolg: NRW liegt erstens infrastrukturell sehr gut angebunden im Herzen Europas. Zweitens gibt es im Umfeld mittelständische, innovative Unternehmen und viele Hochschulen. Klar ist: Die Art und Weise, wie dort in der Vergangenheit Strom produziert wurde, ging zu Lasten von Mensch und Natur. Die Zukunft wird anders aussehen.
Blick auf die Stadt und bis ins Rheinische Revier: „Die Art und Weise, wie dort in der Vergangenheit Strom produziert wurde, ging zu Lasten von Mensch und Natur. Die Zukunft wird anders aussehen“, verspricht die Ministerin.
Microsoft ist ein energieintensives Unternehmen. In anderen Ländern arbeiten solche Branchen an neuen Generationen von Atomkraftwerken. Ist der Zug für uns abgefahren?
Das Stichwort ist Kernfusion, und ich finde es richtig, dass in dem Bereich geforscht wird. Da darf es keine Beschränkungen im Denken geben. Aber: Eine Kilowattstunde Strom aus Wind ist immer günstiger als eine Kilowattstunde Strom aus Atom. Solange wir in der Perspektive keine günstigere Alternative haben, gibt es für mich keinen Grund, den Hochlauf der grünen Energie weniger ambitioniert voranzutreiben.
Und wenn der Wind mal nicht weht?
Für den Fall, dass der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint, brauchen wir neben Speichern auch Kraftwerke, die besonders flexibel und agil sind. Das heißt, die innerhalb von kurzer Zeit hoch- und wieder runterfahren können, perspektivisch durch Wasserstoff betrieben. Für die Betreiber solcher Kraftwerke muss es aber attraktiv sein, Reserven bereitzuhalten. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ist deshalb dabei, einen Kapazitätsmarkt nach dem Merit-Order-Prinzip zu entwerfen.
Was heißt das?
Das heißt, dass Betreiber entlang der Kapazitäten, die vorgehalten werden, entlohnt werden und nicht mehr nach den gelieferten Kilowattstunden. Wir haben in Nordrhein-Westfalen gute Voraussetzungen dafür, jetzt auf Basis vorhandener Kraftwerkstandorte Betreiber in eine klimaneutrale Energieversorgung zu begleiten.
Wenn Sie nach der Bundestagswahl das Angebot hätten, nach Berlin zu gehen und zum Beispiel ein Ministeramt anzunehmen, wäre das eine Option?
Ministerin und stellvertretende Ministerpräsidentin in Nordrhein-Westfalen sein zu dürfen, ist ein wahres Privileg, für das ich jeden Tag dankbar bin. Ich bin aktuell sehr zufrieden mit meinem Job.
Ihre Antwort war jetzt kein „Nein“, oder?
Stimmt. Aber auch kein Ja.
Sie sind in einer eher ländlichen Region in Bayern aufgewachsen. Wenn Markus Söder die Grünen mal wieder kritisiert, scheint das gerade dort besonders zu verfangen. Können Sie das nachvollziehen?
Ich habe immer noch intensiven Kontakt zu meiner Familie und meinen Freunden dort. Mir ist niemand bekannt, der sich von Söders Politikstil ernsthaft abgeholt fühlt. Der Mann wechselt nicht nur seine Meinung in schöner Regelmäßigkeit, sondern verbringt offensichtlich den größten Teil seiner Arbeitszeit beim Essen, im Bierzelt oder auf Social Media. Mich würde wirklich interessieren, was die CSU eigentlich will – jenseits der Schlagworte. Immer nur die politischen Mitbewerber der demokratischen Mitte faktenfrei abzuwerten, ist nicht nur nicht seriös, es stärkt vor allem die AfD. Das hat Söder letztlich zu verantworten.