Wackelt ihr Präsidenten-Stuhl
Wegen Nähe zu Meloni: SPD zieht von der Leyen vor EU-Wahl eine rote Linie
Die SPD stellt vor der Europawahl fünf Forderungen an die EU-Kommission. Sollte Ursula von der Leyen diese nicht erfüllen, ist ihre Wiederwahl gefährdet.
Berlin – Es sind schwierige Tage für die bisherige EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU). Bei der anstehenden Europawahl 2024 steht auch ihre Wiederwahl an - und die gilt als alles andere als gesichert. Daran kann sich das Schicksal und die Zukunft der EU ableiten.
Wie die Berliner Zeitung berichtet, stellte sich beispielsweise Macron mehrmals Ursula von der Leyen in den Weg. Frankreichs Konservative lehnen die Arbeit der deutschen Christdemokratin ab. Sie werfen ihr ein „Abdriften in die Pseudo-Verwissenschaftlichung der Verwaltungsvorgänge“ vor, wie euronews berichtet. Und Gegenwind kommt jetzt auch aus Deutschland.
So steht offenbar auch die SPD nicht uneingeschränkt zur deutschen Kommissionschefin. Die Sozialdemokraten haben ihre Unterstützung für eine zweite Amtszeit für Ursula von der Leyen (CDU) jetzt an konkrete Bedingungen geknüpft. „Eine Präsidentin oder einen Präsidenten der Europäischen Kommission, die oder der auf die Unterstützung der Feinde der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit baut, wird die europäische Sozialdemokratie nicht unterstützen“, heißt es in einem Papier der Kommission Internationale Politik des SPD-Parteivorstands, über das die Nachrichtenseite ntv.de am Donnerstag zuerst berichtete. Die SPD beäugt nämlich die Anbandelversuche der Kommissionspräsidentin mit den europäischen Rechten äußerst kritisch.
Vor Europawahl: SPD und Grüne stellen von der Leyen Bedingungen für Wiederwahl
Innerhalb der Bundesregierung ist die SPD mit ihrer Kritik an von der Leyen nicht alleine. Es gibt bereits Gerüchte, dass vielleicht sogar die grüne Außenministerin Annalena Baerbock am Stuhl von Ursula von der Leyen sägen könnte. Allgemein sind die Grünen Europas nicht unbedingt glücklich mit dem Vorgehen der bisherigen EU-Kommissionspräsidentin.
Das Absurde aus Sicht der Grünen ist die Art und Weise, wie sich von der Leyen wählen lässt. Denn sie steht auf keinem Wahlzettel. Dass der Spitzenkandidat einer Parteiengruppe für den Kommissionsvorsitz auch bei den Europawahlen kandidieren muss, ist nicht festgeschrieben. Auch Jean-Claude Juncker war 2014 nur Spitzenkandidat, und nicht Kandidat bei den Europawahlen.
Europawahl entscheidet über weiteren Kurs der Mitgliedsländer
Aber warum ist die Präsidentschaft der EU-Kommission so wichtig und warum bangt von der Leyen um ihren Posten?
Am 9. Juni wählt Deutschland 96 von 705 Abgeordneten für das EU-Parlament. In weiteren Ländern finden die Wahlen parallel, danach oder bereits statt. Das neu gebildete Parlament wiederum wählt dann die EU-Kommission. Die EU-Kommission entsteht aus 27 Kommissaren, jeder für jeweils ein Land. Zudem wählt das EU-Parlament nach seiner Bildung den Präsidenten der EU-Kommission. Doch zuvor schlägt der Europäische Rat einen Kandidaten vor. Der europäische Rat setzt sich dabei aus den Staats- und Regierungschefs der EU-Länder zusammen.
Das EU-Parlament kann mit dem EU-Rat nur Gesetze beschließen – aber nicht selbst vorschlagen. Das ist die Aufgabe der EU-Kommission. Wer die EU-Kommission also dominiert, hat auch die europäische Gesetzgebung in der Hand.
SPD will bei der Europawahl 2024 ihre Ziele durchsetzen
Und um an der Spitze des Einflusses zu bleiben muss von der Leyen genug Parteien hinter sich bündeln – was mit dem derzeitigen Konfliktpotenzial schwierig werden könnte. Denn in den bereits holprigen Verhandlungsgesprächen haben die deutschen Sozialdemokraten jetzt Bedingungen an von der Leyens Wiederwahl gestellt.
Denn ohne die Stimmen der Sozialdemokraten kann von Ursula von der Leyen (CDU) höchstwahrscheinlich nicht EU-Kommissionspräsidentin bleiben. Das weiß auch Olaf Scholz (SPD) und stellt mit seiner Partei kurz vor der Europawahl in Deutschland fünf Forderungen an die künftige EU-Kommission.
Die neuen Forderungen könnten bei Deutschlands Konservativen sauer aufstoßen. Denn wie Die Zeit berichtet, hatte bereits CDU-Chef Friedrich Merz die SPD aufgefordert, nach einem Sieg der Christdemokraten bei der Europawahl deren Spitzenkandidatin Ursula von der Leyen zu unterstützen.
Der von SPD-Chef Lars Klingbeil geleitete Ausschuss im SPD-Bundesvorstand legte laut Bericht von ntv eine Liste mit Forderungen vor. Unter anderem beinhaltet das Paper der Wunsch nach einer Vertiefung des Binnenmarkts, eine gestaltende Industriepolitik, mehr europäische Rüstungskooperation und eine Verzahnung der Energieversorgung.
Wiederwahl Ursula von der Leyens: SPD zieht rote Linie bei europafeindlichen Parteien
Eine rote Linie ist für die SPD eine Wahl der amtierenden Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit den Stimmen europafeindlicher Parteien. Zuvor ließ sich die Christdemokratin zu Aussagen hinreißen, bei der sie im Falle knapper Mehrheiten sich auch bei ihrer Wiederwahl mit Stimmen der Fratelli d‘Italia stützen lassen würde. 2019 war von der Leyen mit der Zustimmung der Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen ins Amt gekommen.
Die Partei von Giorgia Meloni entstammt dem rechtsradikalen Lager. Fratelli d‘Italia (zu Deutsch: Brüder Italiens) ist eine sogenannte postfaschistische Partei. Das bedeutet, sie verfolgt in gewisser Weise das Erbe des Faschismus, ohne aber die demokratische Grundordnung umstoßen zu wollen.
„Eine Präsidentin oder einen Präsidenten der Europäischen Kommission, die oder der auf die Unterstützung der Feinde der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit baut, wird die europäische Sozialdemokratie nicht unterstützen“, heißt es im SPD-Papier, das ntv vorliegt.
SPD wird von der Leyen nicht unterstützen, wenn sie Hilfe von Meloni bekommen will
Diese Stellungnahme folgt der Erklärung der europäischen Sozialdemokraten, wie Die Zeit berichtet. Diese hatte Anfang Mai bereits eine Zusammenarbeit mit den rechten Parteien ID und EKR strikt abgelehnt. In den genannten Fraktionen finden sich Parteien wie die Marine Le Pens „Rassemblement National“ – ehemals Front National – sowie die spanischen Rechtsextremisten „Vox“, Melonis Partei Fratelli d‘Italia und die polnische PiS Partei.
Auf dem Weg nach Europa: Die Aufnahmekandidaten der EU




Als mögliche Verbündete von der Leyens galt bislang vor allem Meloni. Und das obwohl diese harte Kritik in Italien dafür erntet die Pressefreiheit einzuschränken zu wollen und im Verdacht der Vetternwirtschaft steht.
Die SPD erwarte auch deshalb laut ntv „ohne Wenn und Aber“, dass die nächste Kommission die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Europa schütze. Die Spitzenkandidatin der SPD Katarina Barley hatte in der Vergangenheit wiederholt von der Leyens Umgang mit Polens ehemaliger Regierungspartei PiS und Viktor Orbans ungarischer Fidesz kritisiert. Nach Barleys Ansicht sei die EU-Kommissionspräsidentin nicht hart genug mit den beiden Parteien umgegangen.
Von der Leyens Wiederwahl: SPD und Grüne halten am „Green Deal“ Europas fest
Die EU-Kommission kam auch erst nach einem langen Hadern zu dem Entschluss ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Parteien anzubringen. Im Falle Polens ist das Verfahren nach der Niederlage der Pis-Partei gegen Donald Tusk eingestellt.
Was wäre die Alternative? Wenn Ursula von der Leyen nicht auf die Stimmen von Rechts hoffen kann, muss sie wahrscheinlich auf die europäische Grüne zugehen – falls die Stimmen von Konservativen, Liberalen und Sozialdemokraten nicht ausreichen.
Doch während die Grüne und Sozialdemokraten den „Green Deal“ Europas unterstützen, sehen Konservative und Liberale dem Umbau zum vollkommen CO₂-neutralen Wirtschaftsstandort skeptisch, wie die Tagesschau berichtet. Besonders die europäischen Grünen bestehen aber vehement darauf, den bisher eingeschlagenen Weg fortzusetzen.
SPD setzt weiteren Schwerpunkt auf Zusammenarbeit in der europäischen Wirtschaft
Aber auch die SPD hält an den Forderungen nach einem grüneren Europa fest. Denn der Kontinent könnte „zum führenden Wirtschaftsraum für Klimatechnologien und Erneuerbare Energien werden“. Großer Fokus liegt für die Sozialdemokraten auf dem Ausbau und der gemeinsamen Nutzung von Strom- und Wasserstoffnetzen. Möglichkeiten der Stromspeicherung sollen ebenfalls vorangetrieben werden. Ziel ist die langfristige Senkung der Energiepreise.
Neben dem „Green Deal“ steht auf der Agenda der SPD ein „Jacques Delors Plan 2.0“. Jacques Delors war langjähriger EU-Kommissionspräsident in den 1980ern und maßgebender Architekt einer Reihe von Maßnahmen zum Zusammenwachsen und Angleichen des EU-Binnenmarktes.
Größte Hürde bleibt in diesem Bereich die Kapitalmarktunion - also die Zusammenführung der Märkte für etwa langfristige Kredite und Kapitalanlagen. Problematische Bereiche sind hier die Angleichung für Investitionsregeln in den 27 Mitgliedsstaaten. Am Ende soll vorhandenes Kapital schneller und besser länderübergreifend fließen können.
In den Bereichen der Zukunftsindustrien fordert die SPD bessere Wettbewerbspolitik und Innovationsstrategien. Damit europäische Firmen wie der KI-Entwickler Aleph Alpha mit ihren chinesischen und US-amerikanischen Konkurrenten mithalten können. Weiterhin muss nach dem Wunsch der SPD Bürokratie massiv abgebaut und ein vereinfachtes Einwanderungsrecht für Fachkräfte etabliert werden.
Ursula von der Leyen steht bei ihrer Wiederwahl am Scheidepunkt: Unterstützung von den Grünen nötig?
Nicht zuletzt fordert die SPD einen Ausbau der Sicherheitsunion Europa. Rüstungsgüter sollen gemeinsam beschafft werden, wie aus dem Papier der Sozialdemokraten an von der Leyen hervorgeht. Ebenso soll zusammen geforscht und entwickeln werden. Die Waffensysteme der Länder müssten zudem besser aufeinander abgestimmt werden.
Die europäischen Sozialdemokraten bilden mit momentan 139 von 751 sitzen die zweitgrößte Fraktion im Europaparlament. Die SPD ist mit 16 Sitzen in dem Bündnis vertreten und stellt damit die zweitgrößte Ländergruppe - hinter den Spaniern mit 21 Sitzen.
Wenn Ursula von der Leyen also gewillt ist erneut gewählt zu werden, kommt sie an den Sozialdemokraten wohl oder übel nicht vorbei. Ob ein Kompromiss für sie mit der europäischen Grünen möglich sein wird, könnte darüber entscheiden, ob die Christdemokratin im Amt bleiben wird.
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