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Interview
Drohen neue Bahnstreiks? GDL-Chef Weselsky warnt: „Die Tarifrunde 2023 wird etwas anstrengender“
GDL-Chef Claus Weselsky erklärt im Interview, warum bei den kommenden Bahn-Verhandlungen Streiks drohen, was bei der Bahn falsch läuft und warum er 2024 Schluss macht.
Köln – Noch bis zum 31. Oktober gilt die Friedenspflicht zwischen der Deutschen Bahn und der Lokführergewerkschaft GDL. Dann geht es in die nächsten Tarifverhandlungen. Und das Risiko für Bahnstreiks steigt erfahrungsgemäß massiv. Einer der wichtigsten Entscheider, ob und wann es Streiks geben wird, ist auch dieses Mal wieder GDL-Chef Claus Weselsky. Im Interview spricht er über die neue Tarifrunde, die größten Probleme im deutschen Bahnverkehr und sein Ende als GDL-Chef.
Herr Weselsky, im Herbst starten die Tarifverhandlungen der GDL mit der Deutschen Bahn. Nehmen wir an, ich bin jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit auf die Bahn angewiesen. Muss ich Angst vor tagelangen Streiks im Herbst und Winter haben?
Nein, Sie müssen sich nicht sofort auf längere Streiks einstellen. Zu einem Streik gehören ja immer zwei Parteien. Wir müssen erstmal eine Verhandlungsrunde abwarten. Und dann kommt es darauf an, ob die Arbeitgeberseite ein Angebot macht und wir das Angebot für verhandlungsfähig halten. Aber: Falls die Tarifverhandlungen schwergängig sein sollten und die Arbeitgeberseite kein ordnungsgemäßes und für uns verhandlungsfähiges Angebot macht, dann werden sowohl die Welt als auch die Pendler das erfahren.
Können Sie denn grundsätzlich verstehen, wenn Pendler bei Streikwellen auch sauer reagieren?
Absolut. Wir entziehen den Menschen damit ja ihr Verkehrsmittel. Das kommt zwar mit Ansage und Ankündigung, aber trotzdem fällt dann ihr Transport weg, den sie sonst gegen Entgelt bekommen. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Leute Verständnis zeigen, wenn man mit ihnen redet und erklärt, warum die Kolleginnen und Kollegen streiken.
Die GDL fordert neben einer allgemeinen Entgelterhöhung auch eine Absenkung der Wochenarbeitszeit bei Schichtarbeitern von 38 auf 35 Stunden sowie eine Inflationsausgleichsprämie in Höhe von 3000 Euro. Gibt es eine Forderung, die Ihnen besonders wichtig ist?
Die entscheidende Komponente ist die Senkung der Arbeitszeit. Wir haben einen Personalmangel ohne gleichen. Alle klagen, dass wir nicht genügend Leute für die Zukunft bekommen. Aber keiner hat eine Idee, wie wir unsere Berufe attraktiver machen können. Eine Absenkung der Wochenarbeitszeit bedeutet mehr Lebensqualität, mehr soziale Kontakte und mehr Zeit für die Familie. Das ist von entscheidender Bedeutung und daher das Schwergewicht in dieser Tarifrunde.
Wie optimistisch oder pessimistisch gehen Sie grundsätzlich in die Verhandlungen?
Die Forderung zur Senkung der Wochenarbeitszeit wird von allen anderen Beteiligten als völlig falscher Weg bezeichnet und abgelehnt. Daher gehe ich davon aus, dass die Tarifrunde 2023 etwas anstrengender wird.
Sprechen wir grundsätzlich über den Bahnverkehr in Deutschland. Erst vor wenigen Wochen hat eine Auswertung der Bahn ergeben, dass die Züge 2022 noch unpünktlicher geworden sind. Nur knapp 70 Prozent aller Fahrgäste im Fernverkehr kamen mit weniger als 15 Minuten Verspätung an. Woran liegt das?
Das ist das Ergebnis von jahrelangem Missmanagement. Das Netz und die gesamte Infrastruktur wurden kaputtgespart. Investitionen, die zwingend erforderlich gewesen wären, beispielsweise in die Unterhaltung des Schienennetzes und der Bahnhöfe, wurden weggelassen, zugunsten irrsinniger Projekte im Ausland. Milliarden vom deutschen Steuerzahler wurden in solche Projekte gesteckt, ohne dass das Eisenbahnsystem hierzulande irgendwie davon profitiert.
Fahren Sie eigentlich persönlich gerne Bahn?
Ich fahre im Jahr über 70.000 Kilometer mit der Bahn, aber das „gerne“ nehme ich langsam zurück. Wenn ich bei jeder Reise mit Umstieg eine Stunde mehr einplanen muss, weil man fast immer den Anschluss verpasst, ist das nur noch frustrierend. Und das ist derzeit fast überall der Fall. Man ist ja schon glücklich, wenn man mal einen pünktlichen Zug hat. Und dann dreht die Bahn einen Werbespot fürs Fernsehen, wo ich wirklich Wut bekomme. Da werden Millionen aus dem Fenster geschmissen, um eine Botschaft zu senden, die quasi heißt: Ja, es ist zurzeit schlimm. Aber stellen Sie sich mal darauf ein, dass es noch schlimmer wird. Unfassbar.
Wie kann die Situation hier wieder verbessert werden?
Kurzfristig ist das kaum möglich. Eisenbahn ist immer ein langfristiges Projekt. Aber ich sehe nicht, wie das Management, das den Karren in den Dreck gefahren hat, diesen wieder aus dem Dreck ziehen soll. Deswegen sind die Entscheidungen des Bundesverkehrsministeriums nicht nur halbherzig, sondern schlicht und ergreifend nicht geeignet, um auf langer Strecke eine signifikante Verbesserung der Situation herbeizuführen. Wir werden miterleben, dass Großprojekte in die Welt gesetzt werden, die dann über Jahre verzögert werden und wo niemand der heute Anwesenden zur Rechenschaft gezogen werden kann, wenn die Ziele nicht erreicht werden. Das läuft nach dem Motto: Der Plan muss nur weit genug in der Zukunft liegen, damit man sich nicht mehr rechtfertigen muss, wenn nichts von dem funktioniert, was funktionieren müsste.
Claus Weselsky wurde am 18. Februar 1959 in Dresden geboren. Der ausgebildete Lokführer ist seit 1990 Mitglied und seit 2008 Bundesvorsitzender der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL). Er wurde vor allem durch rigoroses Auftreten und Streiks im Rahmen von Tarifverhandlungen mit der Bahn in den vergangenen Jahren deutschlandweit bekannt. Weselsky ist seit 2007 CDU-Mitglied.
Dass die Bahn unter Fachkräftemangel leidet, ist bekannt. Ende Juli erklärte die Bahn, dass nun verstärkt Künstliche Intelligenz, gerade bei der digitalen Instandhaltung, dem entgegenwirken soll. Ist das der richtige Weg?
Da sage ich mal einen bösen Satz: Künstliche Intelligenz setzt natürliche Intelligenz voraus, sonst wird das nichts. Natürlich kann man das einsetzen. Aber wir reden seit zehn Jahren davon, dass die Digitalisierung alles bringen und alles heilen soll, was an Unfähigkeit in diesem Land unterwegs ist. Aber das wird es eben nicht tun. Auch die Künstliche Intelligenz ist von einem vernünftigen Management und entsprechender Vor- und Nachbereitung abhängig. Wir sind natürlich weiter als vor 20 Jahren. Heutzutage kann man mit der Technik sogar Ersatzteile drucken. Aber das heißt doch nicht, dass wir keine Menschen mehr brauchen. Je mehr IT zum Einsatz kommt und je komplexer die Technik wird, desto besser müssen die Menschen ausgebildet sein, die sie bedienen, reparieren und in Gang halten sollen. Von einer vollautomatisierten Produktion sind wir ja noch Lichtjahre entfernt.
In den kommenden Jahren will die Bahn auch verstärkt selbstfahrende Züge testen. Haben Sie Angst, dass in der Zukunft eine „Maschine“ den Lokführer-Job übernehmen könnte?
Der ehemalige Bahn-Chef Grube hat 2016 gesagt, dass wir 2023 auf einigen Strecken vollautomatisch fahren. Der Mann hat mit dieser Aussage dem gesamten Berufsstand des Lokomotivführers geschadet. Weil jetzt jeder sagt: Nun gut, 2023 ist es noch nicht passiert, aber es passiert bald. Es wird eben nicht bald passieren. Bis 2030 gehen 11.000 Lokführer in Deutschland in den Ruhestand. Die sind dann einfach weg. Glaubt hier wirklich irgendjemand, dass wir bis dahin vollautomatische Züge haben? Das sind alles schwachsinnige Aussagen von Managern, die möglichst weit nach vorne springen wollen, um davon abzulenken, warum es hier und heute nicht klappt. Um damit auf Ihre Frage zurückzukommen: Nein, da bin ich völlig entspannt, denn irgendwann müssen wir gemeinsam auch die Frage des Kosten-Nutzen-Verhältnisses beantworten. Wenn ein Lokomotivführer 800 Fahrgäste oder 2000 Tonnen im Zug befördert ist, das mehr als effizient. Warum sollen Milliarden zusätzlich investiert werden, um den zu ersetzen? Wer das tut, verschwendet Steuergelder.
Sie sind seit 2008 Bundesvorsitzender der GDL. Wie lange möchten Sie noch weitermachen?
Ich bin sicher, dass es zum Start dieser Tarifrunde in den Medien wieder heißen wird: Das ist Weselskys letzte Runde und jetzt will er sich nochmal profilieren. Das wäre dann das dritte Mal, wo man mir das anhängt. Aber diesmal kann ich sagen: Jetzt ist es wirklich das letzte Mal, weil ich im September 2024 bei unserem Gewerkschaftstag nicht mehr kandidieren werde. Mein Nachfolger wird Mario Reiß, der schon an Bord ist und seit Juli 2022 parallel mit mir arbeitet. Wir trainieren uns quasi gegenseitig, wie man eine Gewerkschaft führt.
Wie verbringen Sie Ihre Zeit, wenn Sie nicht mehr GDL-Chef sind?
Ich bleibe stellvertretender Bundesvorsitzender beim Dachverband dbb und werde das auch noch eine Weile weitermachen. Ansonsten stelle ich gerne mein Wissen zur Verfügung. Aber es gibt auch noch viele andere schöne Dinge im Leben und ich habe noch viel zu tun. Ich bin auch handwerklich und im Garten wirklich gut unterwegs und daher werde ich mich dem stärker widmen können, was ich in den vergangenen Jahren etwas vernachlässigt habe.