Europameisterschaft
Fußball-EM 2024: Eklat um Wolfsgruß – Auswärtiges Amt bestellt türkischen Botschafter ein
Der Wolfsgruß eines türkischen Nationalspielers beim EM-Spiel in Leipzig wird zu einem Politikum. Nun werden sogar Botschafter einbestellt.
Update vom 4. Juli, 12.49 Uhr: Das Auswärtige Amt hat in der Debatte um den sogenannten Wolfsgruß nach der Einbestellung des deutschen Botschafters in der Türkei mit der gleichen Maßnahme reagiert. „Wir haben den Vorfall heute mit dem türkischen Botschafter in Berlin thematisiert“, sagte eine Sprecherin am Donnerstag auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur. „Die Einbestellung des türkischen Botschafters hat heute Vormittag stattgefunden.“ Die Einbestellung eines Botschafters gilt als scharfes diplomatisches Mittel.
Aus seinem Heimatland erhielt Demiral teils auch Rückendeckung. Das türkische Außenministerium bezeichnete die UEFA-Untersuchung als inakzeptabel. Nicht jede Person, die das Zeichen der Grauen Wölfe zeige, könne als rechtsextremistisch bezeichnet werden, hieß es. Der Wolfsgruß sei in Deutschland zudem nicht verboten und die Reaktionen der deutschen Behörden „ausländerfeindlich“. Auch Präsident Erdogan wolle der Mannschaft den Rücken stärken; dafür wird 70-Jährige kurzfristig nach Berlin reisen, um die anstehende Viertelfinal-Partie zwischen der Türkei und der Niederlande anzuschauen.
Fußball-EM 2024: Eklat um Wolfsgruß nach Türkei-Spiel
Erstmeldung: Leipzig – Die Türkei träumt nach einem dramatischen Sieg gegen Österreich am Dienstag vom Titel bei der Fußball-EM 2024. Auch unter den türkischen Fans in Deutschland und Österreich herrscht eine euphorische Stimmung. Doch die große Party im Land wird von einer Geste überschattet, die derzeit für viel Zündstoff sorgt.
Der Wolfsgruß von Matchwinner Merih Demiral im Achtelfinale gegen Österreich hat in der Tat zahlreiche Diskussionen ausgelöst. Demiral hatte die Geste auf dem Spielfeld im Leipziger Fußballstadion gezeigt – mit beiden Händen. Der europäische Fußballverband Uefa hat deswegen sogar eine Untersuchung eingeleitet.
Wolfsgruß von Demiral bei Fußball-EM 2024 spaltet die Türkei
Über die Geste wird unter Türkeistämmigen heftig gestritten. Der Wolfsgruß des Torschützen, das Symbol türkischer Nationalisten, die sich Ülkücü oder Graue Wölfe nennen, spaltet das Land – umso mehr am Jahrestag des Massakers von Sivas. Am 2. Juli 1993 hatten sich tausende Islamisten und Nationalisten vor dem Hotel Madimak versammelt, in dem sich mehrheitlich alevitische Intellektuelle und Künstler anlässlich eines Kulturfestivals in der zentralanatolischen Stadt versammelt hatten.
Der Mob hatte das Hotel zunächst mit Steinen beworfen und später in Brand gesetzt. 35 Menschen wurden dabei vor den Augen von Sicherheitskräften ermordet, die untätig zusahen. Bis heute wurde das Massaker von Sivas nicht aufgearbeitet.
Demiral zeigt Wolfsgruß bei Fußball-EM 2024 am Jahrestag des „Massakers von Sivas“
„Ich werde nie für Rassisten und Faschisten sein. Gerade heute haben wir Madımak gedacht. Diejenigen, die Madımak verbrannt haben, haben dieses Zeichen gemacht. Nieder mit dem Faschismus“, schrieb der ehemalige Abgeordnete der pro-kurdischen HDP auf X. Ähnlich sah es der Journalist Rusen Takva. „Dieses Verhalten schadet nur dem sozialen Frieden“, schrieb Takva auf der Online-Plattform.
Auch der Journalist Enver Aysever kritisierte Demiral für seine Geste. „Steht es dir zu, den Erfolg der türkischen Nationalmannschaft auf diese Weise zu sabotieren? Wenn Aleviten, Kurden, alle glücklich sind, was bringt es dann, den Sieg auf diese Ebene zu reduzieren“, sagte er in einer Sendung auf YouTube.
Er ist äußerst ignorant, dumm und hat keine Ahnung, wofür eine Nationalmannschaft steht.
Noch klarer äußerte sich die Journalistin Sevgi Akarcesme, die im US-Exil lebt. „Dieser türkische Fußballspieler erzielte gestern Abend ein Tor und jubelte mit einer faschistischen Geste, die das Symbol der rechtsextremen politischen Partei in der Türkei ist. Mein erster Eindruck von ihm, nachdem ich dieses Bild gesehen hatte: Er ist äußerst ignorant, dumm und hat keine Ahnung, wofür eine Nationalmannschaft steht“.
Rechtsradikaler in der Türkei lobt Demiral nach Wolfsgruß bei der Fußball-EM 2024
Bei türkischen Nationalisten findet der Wolfsgruß hingegen große Zustimmung. „Die Tatsache, dass unser Sohn Merih Demiral, der mit seinem Tor und dem Fußball, den er gestern Abend gespielt hat, die Anerkennung und das berechtigte Lob unserer Nation gewonnen hat, seine Torfreude mit dem Wolfsgruß geteilt hat, hat offenbar viele kranke Kreise innerhalb und außerhalb von uns gestört und wurde so zum Vorwand für verschiedene Suchen und Erklärungen“, ließ der Anführer der rechtsradikalen MHP, Devlet Bahceli auf X verlauten.
Menschenrechtsorganisation zeigt sich nach Wolfsgruß bei Fußball-EM 2024 empört
Auch bei Menschenrechtsorganisationen führte das Symbol der türkischen Nationalisten für Verärgerung. Dr. Kamal Sido, Nahostreferent bei der Gesellschaft für bedrohte Völker GfbV, verurteilte das Verhalten Demirals und forderte die Uefa auf, „das Zeigen des türkischen rechtsextremen Wolfsgrußes bei EM-Spielen nicht nur durch Fans, sondern auch durch Fußballspieler nicht länger zu dulden“. Dieses Verhalten „war beleidigend für Millionen von Aleviten am Jahrestag der Massaker von Sivas, 1993“, sagte Sido auf Anfrage von IPPEN.MEDIA. Die GfbV fordere daher eine Distanzierung von dem öffentlichen Zeigen des rechtsradikalen Symbols.
Fußball und Nationalismus in der Türkei miteinander verwoben
Auch Politikwissenschaftler Dr. Hüseyin Cicek an der Universität Wien sieht die Geste des türkischen Nationalspielers als gefährlich an. „Der Wolfsgruß steht für ein politisches Narrativ und politisches Handeln, dass die Türken als das Urvolk schlechthin sieht und ebenso dazu ermutigt, alles nicht-türkische aus der Türkei zu verbannen, neutralisieren etc. Die Mittel dazu sind meistens Gewalt“, sagte der Türkei-Experte im Gesoräch mit IPPEN.MEDIA.
Dr. Dimitar Bechev stimmte dieser Einschätzung zu: „Fußball und Nationalismus waren schon immer miteinander verwoben, und die Türkei ist da keine Ausnahme. Auch wenn Erdogan seine Rhetorik gegenüber dem Westen abgemildert hat, ist die türkische Gesellschaft anfällig für ultranationalistische Rhetorik und Denkweisen. Die Geste spricht für diese Tatsache. Sie kommt zu einer Zeit, in der die antisyrische Gewalt zunimmt“, sagte der Türkei-Experte an der Oxford School of Global and Area Studies aud Anfrage.
Bechev hat damit recht. Auch österreichische Fußball-Fans hatten in Leipzig für einen Eklat gesorgt. Während einer Übertragung des Schweizer Fernsehens SRF war vor dem Spiel zwischen der Türkei und Österreich zu sehen, wie Fans der ÖFB-Auswahl in der Stadt zur Melodie des Lieds „L‘amour toujours“ die Parole „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ sangen. Die Leipziger Polizei soll einen Anfangsverdacht aufgenommen haben.
Wolfsgruß bei Fußball-EM 2024 sorgt auch in Deutschland für Diskussionen
In die Diskussion haben sich auch die Politik eingeschaltet. „Unsere Sicherheitsbehörden haben türkische Rechtsextremisten in Deutschland fest im Blick. Die Grauen Wölfe stehen unter der Beobachtung des Bundesamts für Verfassungsschutz“, schrieb Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) auf X.
Die Antwort vom stellvertretendem Vorsitzenden der Regierungspartei AKP, Ömer Celik, ließ nicht lange auf sich warten. Die Untersuchung der Uefa und sie Aussagen Faesers seien inakzeptabel. „Wer nach Rassismus und Faschismus sucht, sollte sich auf die jüngsten Wahlergebnisse in verschiedenen Ländern Europas konzentrieren“, so Celik auf X. (erpe/dpa)
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