Krise an der Seine
Frankreich-Wahl 2024: Welche Koalition nach der Parlamentswahl das Land regieren könnte
Das Linksbündnis gewinnt überraschend die Parlamentswahl in Frankreich. Doch wer regiert nun? Ein Überblick über alle Szenarien.
Update vom 7. Juli, 22.27 Uhr: Nach dem überraschenden Ausgang der vorgezogenen Parlamentswahl nimmt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die Regierungsbildung in den Blick. Bevor der Staatschef Entscheidungen treffe, werde er das Endergebnis der Wahl und die letztendliche Zusammensetzung der Nationalversammlung abwarten, teilte der Élysée-Palast mit. „Der Präsident wird in seiner Rolle als Garant unserer Institutionen darauf achten, dass die souveräne Wahl der Franzosen respektiert wird“, hieß es.
Wie der Sender BFMTV berichtete, hieß es mit Blick auf die für eine absolute Mehrheit nötige Zahl von Abgeordneten außerdem aus dem Élysée-Palast. „Die Frage wird sein, ob eine Koalition mit Zusammenhalt gebildet werden kann, um die 289 Abgeordneten zu erreichen.“ Denn keines der Lager kann nach den Hochrechnungen mit der absoluten Mehrheit rechnen.
Die Wahlbeteiligung habe gezeigt, dass die Auflösung der Nationalversammlung notwendig gewesen sei, hieß es dem Sender zufolge aus dem Präsidentenpalast. Mit Blick auf das voraussichtliche Wahlergebnis mit dem Präsidentenbündnis auf Platz zwei erklärte der Élysée-Palast demnach: „Man hatte das Mitte-Lager für tot erklärt: Es ist da, auch nach sieben Jahren an der Macht.“
Mögliche Szenarien nach Frankreich-Wahl 2024
Erstmeldung vom 7. Juli: Paris – In Frankreich läuft die zweite Runde der vorgezogenen Parlamentswahl. Dabei entscheidet sich, wie stark der erwartete Rechtsruck in dem wichtigen Nachbarland ausfällt – und ob die rechtspopulistische Partei Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen sogar an die Regierung kommen könnten.
Ebenso denkbar ist aber auch, dass nach der zweiten Runde der Wahl in Frankreich am Sonntag kein Lager eine regierungsfähige Mehrheit erhält. Dann müssen Koalitionen gebildet werden.
Frankreich-Wahl 2024: Wer regiert – diese Szenarien und Koalitionen sind denkbar
Dass das Bilden einer Koalition in Frankreich nach der Stichwahl so gut wie unmöglich wird, zeigen die Diskussionen vorab. Zwar haben sich die anderen Parteien in einer Art Schulterschluss gegen das RN zusammengetan, haben aber bereits klargemacht, dass sie nicht in einer Art nationalen Koalition miteinander regieren wollen. Das Land könnte also in eine politische Dauerkrise schlingern. Im Folgenden wollen wir die möglichen Szenarien für die Frankreich-Wahl 2024 und ihre Konsequenzen erklären.
1. Wahlsieg vom Rassemblement National
Das Rassemblement National hatte zusammen mit ihren Verbündeten beim ersten Wahlgang zur Frankreich-Wahl am 30. Juni 33,1 Prozent der Stimmen erreicht. Zudem konnten sich 39 Kandidaten bereits in der ersten Runde durchsetzen. Falls der RN in der Stichwahl auf mindestens 270 Abgeordnete kommt, strebt die Partei die Regierung an. Die absolute Mehrheit liegt bei 289 von 577 Sitzen. Parteichef Jordan Bardella erhebt in diesem Fall Anspruch auf das Amt des Premierministers.
Ergebnisse zur Frankreich-Wahl 2024: Macron und Bardella könnten zur Kohabitation gezwungen sein
Präsident Emmanuel Macron könnte sich politisch gezwungen sehen, ihn zu ernennen. Damit würde Frankreich zum vierten Mal eine Kohabitation erleben, in der Präsident und Premierminister aus unterschiedlichen politischen Lagern kommen. Allerdings ist der ideologische Abstand zwischen Macron und Bardella weit größer als der zwischen früheren Paaren, etwa François Mitterrand und Jacques Chirac.
Im Wahlkampf zur Frankreich-Wahl 2024 stellte Bardella bereits die Machtbefugnisse des Präsidenten in der Außen- und Sicherheitspolitik infrage. Tatsächlich sind die Zuständigkeiten von Präsident und Premierminister in der französischen Verfassung nicht klar definiert. Konkret will Bardella etwa bei der Auswahl des französischen EU-Kommissars mitreden. Er will außerdem die Entsendung französischer Militärausbilder in die Ukraine und die Lieferung von Langstreckenwaffen dorthin verhindern.
EU-Politik je nach Ergebnis nach Wahl in Frankreich offen
Offen ist, wie Frankreich auf EU-Ebene auftreten würde. Traditionell ist der Sitz im Europäischen Rat dem französischen Präsidenten vorbehalten. Bei früheren Kohabitationen hatten der französische Präsident und Premierminister mehrfach gemeinsam an EU-Gipfeln teilgenommen. Wenn an den europäischen Ministertreffen euroskeptische RN-Minister teilnehmen sollten, dürfte dies den Einfluss Frankreichs in der EU erheblich schmälern.
2. Wahlsieg der links-grünen Neuen Volksfront
Ein weiteres mögliches Szenario für den Ausgang der Wahl in Frankreich ist, dass das Bündnis aus Linkspopulisten, Sozialisten, Kommunisten und Grünen doch noch die Mehrheit erlangt. Das Bündnis ist in der ersten Runde auf 28 Prozent der Stimmen gekommen. 32 Kandidaten wurden direkt gewählt. Etwa 130 Kandidaten der Neuen Volksfront haben sich zu einem taktischen Rückzug entschlossen, um die Chancen eines RN-Kandidaten in ihrem Wahlkreis zu schmälern.
Mehrheit der Neuen Volksfront bei Stichwahl eher unwahrscheinlich
Damit sind allerdings auch die Chancen auf eine eigene Mehrheit weiter gesunken. Mit einem Wahlsieg der Neuen Volksfront bei der Stichwahl in Frankreich wird eher nicht gerechnet.
3. Unklare Mehrheitsverhältnisse
Wenn weder die Rechtspopulisten noch die links-grüne Neue Volksfront bei der Wahl in Frankreich eine Mehrheit erreichen, könnte Macron versuchen, noch eine Weile an der amtierenden Regierung festzuhalten – etwa bis nach dem Nato-Gipfel oder bis nach den Olympischen Spielen in Paris.
Der Rücktritt der Regierung wird nach der Neuwahl zwar erwartet, ist aber nicht vorgeschrieben. Mehrere Minister haben bereits erkennen lassen, dass sie ihr Amt möglichst schnell abgeben möchten.
Marine Le Pen hat Frankreich-Wahl 2027 im Blick – trotz Ausschluss




Regierung könnte trotz Niederlage bei Frankreich-Wahl 2024 weiter bestehen
Macron könnte aber auch eine Regierungsmannschaft aus parteilosen Technokraten ernennen, was für Frankreich politisches Neuland wäre.
Es wäre allerdings nicht das erste Mal, wenn er einen weitgehend unbekannten Politiker zum Premierminister macht: Jean Castex etwa war vor seiner Zeit als Premierminister Bürgermeister eines Pyrenäen-Ortes. Macron könnte dann versuchen, mit wechselnden Partnern Mehrheiten für einzelne Vorhaben zu erreichen.
Er setzt dabei auf den linken Rand der Republikaner sowie auf den rechten Rand der Neuen Volksfront. Letztere dürfte auseinanderbrechen, falls Macron es schaffen sollte, sich nach der Frankreich-Wahl eine gewisse Unterstützung der Sozialisten und Grünen zu sichern.
Koalitionsbildung in Frankreich nach Wahl so gut wie unmöglich
Eine Zusammenarbeit mit der linkspopulistischen Partei La France Insoumise (LFI), die innerhalb der Volksfront die größte Gruppe bildet, hat Macron ausgeschlossen.
Von einer Koalition nach deutschem Vorbild ist Frankreich weiterhin weit entfernt. Derzeit hält es kaum jemand für möglich, dass sich eine Mehrheit auf so etwas wie einen Koalitionsvertrag verständigen könnte.
4. Rücktritt des Präsidenten
Macron ist bis 2027 gewählt und betont, dass er nicht an einen Rücktritt denkt. Le Pen, die ihn im Amt beerben will, bringt die Möglichkeit seines Rücktritts jedoch immer wieder ins Gespräch.
Nach der vorgezogenen Parlamentswahl: Machtkampf in Frankreich ums Präsidentenamt
Macron, der selbst nicht wieder antreten kann, hat es bislang vermieden, einen möglichen Nachfolger aufzubauen. Mehrere ehemalige Verbündete nutzten den kurzen Parlamentswahlkampf nun für eigene Zwecke: Wirtschaftsminister Bruno Le Maire, Innenminister Gérald Darmanin und Ex-Premierminister Edouard Philippe gingen erkennbar auf Distanz zu Macron.
Aber vermutlich wäre niemand so gut vorbereitet auf eine Präsidentenwahl wie Le Pen, die bereits drei Präsidentschaftswahlkämpfe hinter sich hat. Sollte Macron ihr eines Tages die Amtsgeschäfte übertragen müssen, wäre seine Präsidentschaft gründlich gescheitert: Schließlich war er mit dem Ziel angetreten, die Rechtspopulisten in Frankreich von der Macht fernzuhalten. (sot mit afp)
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