Bitte deaktivieren Sie Ihren Ad-Blocker

Für die Finanzierung unseres journalistischen Angebots sind wir auf die Anzeigen unserer Werbepartner angewiesen.

Klicken Sie oben rechts in Ihren Browser auf den Button Ihres Ad-Blockers und deaktivieren Sie die Werbeblockierung für . Danach können Sie gratis weiterlesen.

Lesen Sie wie gewohnt mit aktiviertem Ad-Blocker auf
  • Jetzt für nur 0,99€ im ersten Monat testen
  • Unbegrenzter Zugang zu allen Berichten und Exklusiv-Artikeln
  • Lesen Sie nahezu werbefrei mit aktiviertem Ad-Blocker
  • Jederzeit kündbar

Sie haben das Produkt bereits gekauft und sehen dieses Banner trotzdem? Bitte aktualisieren Sie die Seite oder loggen sich aus und wieder ein.

Gemeinsamkeiten offenbar aufgebraucht

Kommissionspräsidentin unter Druck: Von-der-Leyen-Koalition im EU-Parlament bröckelt

Ursula von der Leyen und EVP-Manfred Weber
+
Ursula von der Leyen und EVP-Manfred Weber: Will der CSU-Politiker aus der informellen Koalition aussteigen?

Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberale im Euroaparlament hielten lange zusammen – und brachten Ursula von der Leyen 2019 die Mehrheit. Nun gibt es Risse.

Dieser Artikel liegt IPPEN.MEDIA im Zuge einer Kooperation mit dem Europe.Table Professional Briefing vor – zuerst veröffentlicht hatte ihn Europe.Table am 17. Juli 2023.

Brüssel/Berlin – Der Ton ist rau geworden im EU-Parlament. Hat EVP-Chef Manfred Weber die informelle Von-der Leyen-Koalition aufgekündigt? In den hitzigen Debatten zum Renaturierungsgesetz – die Christdemokraten wollten diese zentrale Green-Deal-Verordnung zurückweisen – erhoben Sozialisten, Grüne und Liberale diesen Vorwurf. Die Gemeinsamkeiten zwischen Konservativen (EVP), Sozialdemokraten (S&D) und Liberalen (Renew) scheinen aufgebraucht. Die Europawahlen im Juni werfen ihren Schatten voraus.

Wichtig ist dabei zu verstehen: Im Gegensatz zu den nationalen Parlamenten bildet das Europaparlament nicht Opposition und Regierung ab. Daher gibt es in der transnationalen Volksvertretung formal weder Koalitionen und noch Koalitionsverträge. Es gibt aber informelle Zusammenschlüsse der großen Parteienfamilien.

Newsletter von Table.Media

Erhalten Sie 30 Tage kostenlos Zugang zu weiteren exklusiven Informationen der Table.Media Professional Briefings – das Entscheidende für die Entscheidenden in Wirtschaft, Wissenschaft, Politik, Verwaltung und NGOs.

Die pro-europäischen Parteienfamilien verabreden sich etwa, bei der Wahl der Kommissionspräsidentin für die Mehrheit zu sorgen. Unausgesprochen steht dahinter auch die Zusage, im Parlament bei den zentralen Gesetzgebungsvorschlägen die Mehrheiten zu sichern. Da aber im Europaparlament kein Fraktionschef seine Abgeordneten per Fraktionszwang zu einem Stimmverhalten verpflichten kann, bilden sich Mehrheiten ohnehin nicht streng nach den Grenzen der Fraktionen. Um solch einen informellen Zusammenschluss ohne Vertrag handelt es sich auch bei der Von-der-Leyen-Koalition.

EU-Parlament: Keine Koalitionsrunden wie in Berlin

Von 2014 bis 2019 gab es eine informelle Koalition zwischen Sozialisten und Christdemokraten. Zumindest am Beginn traf sich jeden Dienstag Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mit Martin Schulz und Manfred Weber von S&D und EVP, und vergewisserte sich deren Unterstützung. Jetzt gibt es keine wöchentlich festgelegten Treffen mehr von den Parteienfamilien, die die Kommission stützen, mit von der Leyen.

Absprachen gibt es sehr wohl zwischen den Fraktionen, sie beziehen sich aber auf einzelne Gesetzgebungsvorhaben oder Personalentscheidungen, etwa zuletzt bei der Besetzung einiger Topjobs in der Parlamentsverwaltung. In nationalen Parlamenten ist die Koalition vorbei, sobald sie keine eigenen Mehrheiten bei Abstimmungen zustande bringt. Bei einer losen Absprache wie etwa in der Von-der-Leyen-Koalition war das nie das Kriterium.

Personalpaket stand am Anfang der informellen Koalition

Die Von-der-Leyen-Koalition entstand im Juli 2019, als die Staats- und Regierungschefs am Rande eines Sondergipfels nach den damaligen Europawahlen ein Personalpaket schnürten. Es wurde verabredet, dass die Christdemokratin Ursula von der Leyen Kommissionspräsidentin wird, Christine Lagarde an die Spitze der EZB rückt, der Sozialist Josep Borrell Außenbeauftragter wird und der Liberale Charles Michel ständiger Ratspräsident. Die drei europäischen Parteienfamilien der EVP, S&D sowie Renew waren in den Deal eingebunden – und wollten dafür sorgen, dass von der Leyen im Europaparlament die nötige Mehrheit bekam.

Sie wurde wenige Tage später am 16. Juli gewählt. Es war knapp: Sie brauchte 374 Stimmen und bekam 383 Stimmen. Die Grünen, die Weber heute am lautesten für den angeblichen Bruch der Von-der-Leyen-Koalition kritisieren, waren nicht Teil der Vereinbarung. Und das, obwohl von der Leyen ihr Mandat dem ökologischen Umbau der Volkswirtschaft widmen wollte und sie heftig umwarb.

EU: Nein-Stimmen aus der Von-der-Leyen-Koalition

Die Von-der-Leyen-Koalition war nie vollständig geschlossen. Die deutschen Sozialdemokraten stimmten gegen sie, etliche Sozialisten aus Frankreich und den Niederlanden ebenso, auch einige Christdemokraten, namentlich aus der deutschen Gruppe, verweigerten ihr die Stimme. Einigermaßen geschlossen stimmte Renew für Von der Leyen. Ihre knappe Mehrheit schaffte sie nur, weil sie auch Stimmen bekam von Abgeordneten

  • der PIS, Cinque Stelle, die zur EKR gehören
  • des ungarischen Fidesz, der die EVP verlassen hatte
  • der italienischen Lega, die in der rechtsradikalen ID-Fraktion sind.

Die Abgeordneten der PIS, vom Fidesz und die Rechtsradikalen haben in den letzten vier Jahren so gut wie nie für Vorschläge der Kommission gestimmt. Sollte von der Leyen noch einmal als Kommissionspräsidentin antreten, kann sie nicht noch einmal auf die Unterstützung von Rechts setzen.

Auch in der EVP ist der Unmut über sie groß. Denkbar ist, dass bis zu ein Drittel der 177 Abgeordneten aus ihrer eigenen Parteienfamilie ihr heute die Stimme verweigern würde. Von der Leyen wird dies im Blick haben bei ihrer Entscheidung, ob sie noch einmal antritt.

Bei den meisten Fit-for-55-Gesetzen stand die Koalition

Zentrale Vorhaben der Kommission in diesem Mandat sind die Fit-for-55-Gesetzgebungen zur Umsetzung des Green Deals. Bei der parlamentarischen Arbeit haben die Parteien der Von-der-Leyen-Koalition zusammen mit den Grünen maßgeblich die Verhandlungspositionen für die Triloge bestimmt. Wobei Sozialdemokraten und Grüne die Kommissionsvorschläge tendenziell verschärft haben, Renew und EVP eher dämpfend unterwegs waren. Die EVP hat mit dem Renaturierungsgesetz einen zentralen Vorschlag der Kommission rundheraus abgelehnt. Das hat es in der Geschichte der EVP noch nicht gegeben.

Der nähere Blick auf die einzelnen Abstimmungen vermittelt ein differenzierteres Bild. Die Von-der-Leyen-Koalition stand bei diesen größeren Vorhaben des Green Deals nicht zusammen:

  • für das Verbrenneraus 2035 sorgte eine Mehrheit von S&D, Grünen, Renew und Linken; hier stimmte die EVP mehrheitlich dagegen
  • eine Mehrheit von S&D, Renew, Grünen und Linken setzte zudem gegen den Widerstand der Christdemokraten beim Klimaziel 2030 die CO₂-Reduzierung um 60 Prozent durch
  • bei der Gebäudesanierung stimmten die meisten EVP-Abgeordneten gegen die Parlamentsposition, Stimmen der rechtsradikalen ID trugen zu der Ablehnung bei.

EU-Parlament: Brandmauer gegen Rechts

Es kommt vor, dass die EVP auch mit den Stimmen der Rechtsradikalen eine Abstimmung gewinnt. So etwa bei der kürzlichen Resolution zum Wolf (Im November 2022 forderte eine Mehrheit im EU-Parlament die Europäische Kommission auf, die EU-Wolfsstrategie neu zu bewerten und dabei den Schutzstatus des Wolfs herabzustufen. Die EVP hatte die Resolution eingebracht, Anm. d. Red.). Allerdings versichern die Fraktionen EVP, S&D, Renew, Grüne als auch EKR und Linke, keinerlei Absprachen mit der rechtsradikalen ID-Fraktion zu treffen. Führende Vertreter dieser Fraktionen bekräftigen, dass die Brandmauer zu den Rechtsradikalen stehe. Gleichwohl kommt es auch vor, dass Grüne und ID gleich abstimmen. Man darf unterstellen, dass die beiden Fraktionen sich dabei aber von unterschiedlichen Motiven leiten lassen.

Anders als etwa im Bundestag, wo die rechtsradikale AfD Ausschussposten besetzt – steht im Europaparlament die Brandmauer bei der Ämterbesetzung. Der rechtsradikalen ID hätten in diesem Mandat laut D’Hondt-Verfahren zwei Ausschussvorsitze zugestanden. Die pro-europäischen Parteien verhinderten dies. Davon profitierten EVP und S&D. Der rechtsradikalen ID-Fraktion hätte rechnerisch auch ein Vize-Präsidenten-Posten zugestanden. Auch hier verhinderten die Fraktionen den Zugriff.

Kommentare