„Drahtseilakt“
Diese Stolperfallen lauern heute beim Merz-Treffen mit Trump – und so kann der Kanzler sie umgehen
Heute trifft Friedrich Merz erstmals als Kanzler auf Donald Trump. Wie umgehen mit dem US-Präsidenten? Ein Experte weiß Rat – Angela Merkel auch.
Auf Angela Merkel ist Friedrich Merz nicht gut zu sprechen. Anfang der Nullerjahre drängte Merkel ihren CDU-Rivalen ins politische Abseits, Merz wechselte für viele Jahre in die Privatwirtschaft. Während sie Kanzlerin wurde, stand er am Spielfeldrand. Vielleicht aber sollte Merz dennoch über seinen Schatten springen, kurz vor seinem Treffen mit US-Präsident Donald Trump, zum Telefonhörer greifen und Merkels Nummer wählen.
Denn es dürfte in der deutschen Spitzenpolitik kaum jemanden geben, der mehr Erfahrung im Umgang mit Donald Trump besitzt als die Altkanzlerin: Während Trumps gesamter erster Amtszeit saß Merkel im Berliner Kanzleramt. Und guten Rat im Umgang mit dem unberechenbaren Republikaner kann Merz wohl gut benötigen – neben dem Treffen am Donnerstag im Weißen Haus wird er Trump auch beim G7-Gipfel in Kanada (15. bis 17. Juni) und dann beim Nato-Gipfel in Den Haag (24. und 25. Juni) persönlich gegenüberstehen.
Merz bei Trump: ein „besonderer Präsident“
Merkel weiß, wie eine Begegnung mit Trump aus dem Ruder laufen kann: Schon das erste Zusammentreffen der deutschen Bundeskanzlerin und dem amerikanischen Präsidenten geriet Anfang 2017 zum mittelschweren Desaster, vor der versammelten Presse verweigerte Trump seinem deutschen Gast den Handschlag. Und auch sonst blickte Merkel bei der Begegnung mehr als einmal höchst irritiert in die Fernsehkameras.
Trump sei ein „besonderer Präsident“, sagte Merkel im vergangenen Januar, kurz vor Trumps zweitem Amtsantritt, bei einer Veranstaltung. „Wir werden Donald Trump nicht ändern, aber wir dürfen darauf reagieren.“ Und sie hatte sogleich ein paar Ratschläge parat, wie ihr Nach-Nachfolger mit dem schwierigen Partner im Weißen Haus umgehen könne. Wichtig sei zunächst, dass Europa geeint gegenüber Trump auftrete. „Auch wir sind ein starker Faktor“, sagte Merkel. Tatsächlich hat Trump die Europäer so eng zusammenrücken lassen wie lange nicht mehr – vor allem Merz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der britische Premierminister Keir Starmer und Polens Ministerpräsident Donald Tusk koordinieren ihre (Ukraine-)Politik derzeit eng.
Nach Selenskyj und Ramaphosa trifft auch Merz US-Präsident Trump
Im Weißen Haus allerdings wird Merz dem US-Präsidenten alleine gegenübersitzen. Keine einfache Situation, wie sich Merkel im vergangenen Jahr in einem Spiegel-Interview erinnerte. Trump sei bei den gemeinsamen Treffen stets sehr neugierig gewesen und habe Details ganz genau wissen wollen. „Aber nur, um sie auf den eigenen Vorteil hin abzutasten, um Argumente zu finden, die ihn stärken und andere schwächen“, so Merkel „Je mehr Menschen im Raum waren, desto größer war sein Drang, der Sieger zu sein. Man kann mit ihm nicht plaudern, jede Begegnung ist ein Wettkampf: Du oder ich.“
Dass das Oval Office für Trump eine Art Boxring ist, aus dem er als Sieger steigen will, konnte man in den letzten Wochen mehrfach beobachten. Da war das Treffen mit Wolodymyr Selenskyj, bei dem Trump und vor allem sein Vize J.D. Vance den ukrainischen Präsidenten vor den Augen der Weltöffentlichkeit niedermachten. Zuletzt traf es mit Cyril Ramaphosa den Präsidenten Südafrikas. Ihm war Trump im Weißen Haus unter krasser Verdrehung der Fakten vor, sein Land begehe einen Völkermord an der weißen Bevölkerung.
Anpassen sollten sich andere Politiker an Trumps Politik-Stil nicht, warnte Merkel in dem Spiegel-Interview: „Auf keinen Fall, sonst kriegt man politisch ja gar nichts mehr hin.“
„Merz wird bei seinem Besuch im Weißen Haus einen Drahtseilakt vollführen müssen“
„Der Europäer und Transatlantiker Merz wird bei seinem Besuch im Weißen Haus einen Drahtseilakt vollführen müssen“, sagt der USA- und Geopolitik-Experte Alexander Görlach der Frankfurter Rundschau. Es sei gut möglich, dass Trump „seine unhaltbare Behauptung wiederholt, dass die EU nur gegründet worden sei, um die USA auszunehmen. Da muss Merz gegenhalten, ohne in Ungnade zu fallen“, so Görlach, der an der New York University lehrt. Er verweist darauf, dass es etwa der mexikanischen Präsidentin Claudia Sheinbaum oder dem kanadischen Premierminister Mark Carney durch selbstbewusstes Auftreten durchaus gelungen sei, Trump die Stirn zu bieten.
Görlach rät dazu, das Gespräch gleich zu Beginn auf Themen zu lenken, mit denen Merz bei Trump punkten kann. „Was sicher ziehen wird, ist, wenn der Bundeskanzler Donald Trump dankt für die Stationierung von US-Truppen in Europa“, sagt Görlach. „Solche Ouvertüren funktionieren als Türöffner bei ihm immer.“ Gut für Merz: Er und Trump nennen sich nach mehreren Telefonaten bereits beim Vornamen, eine gemeinsame Basis scheint also gefunden worden zu sein.
Schafft es Merz, Trump im Ukraine-Krieg auf die Seite der Europäer zu ziehen?
Worum es Merz in Washington vor allem gehen wird: die US-Regierung an der Seite der Ukraine zu halten. Auch hofft man in der Bundesregierung, dass Trump neue Sanktionen gegen Russland unterstützt. Dafür wird Merz dem US-Präsidenten allerdings etwas bieten müssen, und tatsächlich kommt er nicht mit leeren Händen. So hat man in Washington durchaus registriert, dass Deutschland seine Verteidigungsausgaben weiter steigern will, auf 3,5 Prozent plus 1,5 Prozent für verteidigungsrelevante Infrastruktur. Der republikanische US-Senator Lindsey Graham empfiehlt Merz deshalb im FAZ-Interview, Trump gegenüber zuzugeben: „Wir haben Ihnen zugehört und wir finden, dass Sie recht haben mit den fünf Prozent für Verteidigung.“
Auch hat die US-Regierung zweifelsohne zur Kenntnis genommen, dass Berlin unter Merz einen härteren Kurs gegenüber Peking eingeschlagen hat – die Konfrontation mit China ist in den USA mittlerweile so etwas wie Staatsräson, da ist man über jeden Verbündeten dankbar. Am Ende gilt aber auch für Merz: Trump ist und bleibt unberechenbar. Das Treffen am Donnerstag dürfe für Merz deshalb die wohl größte Bewährungsprobe in seiner noch jungen Kanzlerschaft werden. (sh)
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