„Kampf für freies Syrien nicht gewonnen“
Chemiewaffen, Russland, Flüchtlinge: Baerbock stellt Acht-Punkte-Plan für Syrien vor
Deutschland will sich aktiv beim Aufbau eines friedlichen Syriens beteiligen. Dafür hat Annalena Baerbock einen Acht-Punkte-Plan formuliert.
Berlin/Damaskus – Nach der Machtübernahme durch den Rebellenchef Abu Mohammed al-Dscholani und Assads Sturz muss sich Deutschland auf die neue Lage in Syrien einstellen. Außenministerin Annalena Baerbock hat einen Acht-Punkte-Plan angekündigt – mit dem die deutsche Diplomatie Akzente auf der internationalen Bühne setzen will.
„Der Kampf für ein für alle freies Syrien ist noch nicht gewonnen“, sagte Baerbock im Auswärtigen Amt. Nun sei das Ziel: ein friedlicher Machtwechsel, bei dem auch Minderheiten mitbestimmen, wenn staatliche Strukturen aufgebaut würden. Am Ende könnten freie Wahlen in Syrien stehen. Aber: Diese stehen wohl noch in weiter Ferne.
Lage in Syrien bleibt unübersichtlich: Neue Realitäten nach Assads Sturz
Denn die aktuelle Realität sieht anders aus. Die USA, EU, Großbritannien und der Uno-Sicherheitsrat listen die dschihadistischen HTS-Rebellen noch als Terrororganisation. Die Kämpfe in Syrien sind – nach dem Sturz des Assad-Regimes – nicht beendet. Im Norden rückt die von der Türkei unterstütze Allianz „Syrische Nationalarmee (SNA)“ gegen die von Kurden angeführten „Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF)“ vor.
Gleichzeitig bombardiert Israel Ziele des alten Regimes von Bashar al-Assad, der nach Russland geflohen ist. Das Militär greift insbesondere vermutliche Chemiewaffen-Einrichtungen an. Zudem erweitert der israelische Staat von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die Pufferzone auf den seit 1967 besetzten Golanhöhen. Die Lage in Syrien bleibt also unübersichtlich. Daher halten viele deutsche Politiker zurzeit Abschiebungen nach Syrien für verfrüht. Selbst Markus Söder erhält für seine Äußerungen Gegenwind aus den eigenen CSU-Reihen.
Baerbocks Acht-Punkte-Plan zeichnet einen möglichen Weg zu einer friedlichen Lösung des dauerhaften Krieges in Syrien. Das deutsche Dokument solle die internationale Debatte strukturieren. Das Ziel: „eine friedliche und geordnete Machtübergabe von den bewaffneten Milizen und den Überresten des Assad-Regimes an eine zivile Regierung mit breiter Legitimität“. Die neue Regierung solle alle relevanten gesellschaftlichen Kräfte einbeziehen und „terroristische Gruppen“ ausschließen. Unverzüglich sei ein syrischer Prozess „für alle, einschließlich ethnischer und religiöser Minderheiten, erforderlich“, heißt es in dem Dokument.
Wegen Lage in Syrien und Assad-Sturz: Baerbock stellt Acht-Punkte-Plan vor
Einige konkrete Punkten lauten:
- ein Waffenstillstand
- das Bekenntnis aller Akteure zu einer Machtteilungsvereinbarung
- die Integration der Milizen in eine nationale Armee
- das Erhalten und/oder die Etablierung einheitlicher nationalstaatlicher Institutionen
- freie und demokratische Wahlen auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene
Weiter wird in dem Dokument indirekt auf ein Problem hingewiesen: In der letzten vom Uno-Sicherheitsrat verabschiedeten Resolution wird für eine politische Lösung auch die damalige syrische Regierung – und damit indirekt Assad – genannt. Daher müsse nun ein „neuer Konsens“ hergestellt werden, der bei der „Weiterentwicklung“ der Uno Resolution „internationale Unterstützung und Nichteinmischung garantiert.“
Denkbar sei „eine neue Gruppe der Freunde Syriens, die Syriens Nachbarländer und die wichtigsten arabischen Staaten sowie westliche Geberländer einbezieht.“ Über die Assad-Unterstützer heißt es im deutschen Papier: „Das Vorgehen gegenüber Iran und Russland bleibt abzuwarten.“
Nach Assads Sturz: Baerbock wirbt für pragmatischen Umgang mit HTS-Rebellen in Syrien
Eine der größten Herausforderung könnte der künftige Umgang mit der HTS-Rebellengruppe werden. Sie ging aus der Terrorgruppe al-Qaida hervor. Der von Annalena Baerbock vorgestellte Ansatz solle „pragmatisch“ sein. Die HTS sei „de facto die neue starke Macht in Syrien.“ Es sei nicht der einzige – aber ein entscheidender – Akteur, zu dem der Kontakt aufgrund „seiner terroristischen Vergangenheit und der anschließenden Aufnahme in die Terrorliste der Uno, EU, USA derzeit eingeschränkt“ sei.
Syrien-Rebellen stürzen Assad: Die Bilder des Machtwechsels




Nun werde entscheidend sein, „ob und wie HTS und sein – nicht sanktionierter – politischer Arm in der Übergangsregierung eingebunden und auf die Prinzipien des politischen Prozesses verpflichtet werden“ können. Weiter heißt es: „Hierfür muss es klare Kriterien geben, die auf einer Fortführung des bisherigen verantwortungsvollen Umgangs mit Minderheiten sowie der Freilassung von Gefangenen und dem Verzicht auf Racheakte basieren.“ Deutschland wolle mit „gleichgesinnten Partnern“ weiterhin mitwirken, ein „mögliches Wiedererstarken“ der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) zu verhindern.
Ein weiteres Problem in Syrien: Assads Chemiewaffen-Programm. Dazu heißt es in dem Schreiben, dass nun erstmals die Möglichkeit bestehe, „die vollständige Vernichtung der Chemiewaffen des Assad-Regmies zu erreichen.“ Deutschland werde sich für eine „zügige und die internationale überwachte Beendigung des syrischen Chemiewaffen-Programms einsetzen.“ Die Organisation für ein Verbot von Chemiewaffen (OPCW) solle schnellstmöglich Gespräche mit syrischen Behörden aufnehmen.
Lage in Syrien: Baerbock nennt Bedingungen für Rückkehr syrischer Flüchtlinge aus Deutschland
Der Wiederaufbau Syriens sollte beginnen, sobald die politischen Voraussetzungen dafür gegeben sind. „Dies sollte bei Bedarf mit der zügigen Aufhebung relevanter Sanktionen (z. B. im Finanz-, Energie- und Bausektor) einhergehen“, lautet ein Punkt von Baerbock. Zudem sollte Syrien humanitäre Hilfe und Förderungsmaßnahmen umsetzen – „anstatt in Flüchtlingslagern in der Türkei, im Libanon und in Jordanien“.
Über die deutsche Debatte zur Rückkehr syrischer Flüchtlinge urteilte Baerbock: Niemand solle die Lage in Syrien für parteipolitische Zwecke missbrauchen. Das Dokument ihrer Behörde weist auf den Grundsatz einer „freiwilligen, sicheren und würdevollen Rückkehr“ hin. Man müsse daran arbeiten, „die Voraussetzungen dafür langfristig zu schaffen – auf humanitärer, politischer und sozioökonomischer Ebene sowie im Hinblick auf die Sicherheit.“
Die Kontaktaufnahme zu den neuen syrischen Akteuren sollte „neben Gesprächen mit Vertretern religiöser und ethnischer Minderheiten im Mittelpunkt einer ersten Erkundungsreise der Bundesregierung stehen.“ (Jan Wendt)
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