„Demokratische Gepflogenheiten“
Mit diesem Trick will die AfD in Thüringen Fakten schaffen – Droht die nächste Schlappe vor Gericht?
Die erste Sitzung im Thüringer Landtag nach der Wahl endet im Chaos. Jetzt greift die CDU zu einem äußersten Mittel – um eine Strategie der AfD zu verhindern.
Erfurt – Der Eklat war vorprogrammiert: Die erste Sitzung im Thüringer Landtag nach der Wahl lief aus dem Ruder. Nach hitzigen Wortgefechten und mehreren Pausen musste unterbrochen werden. Dahinter steckt eine Strategie der AfD, sagen Beobachter. Die wollen die anderen Fraktionen und aktuell federführend die Union jetzt durchbrechen.
AfD-Alterspräsident weigert sich, Wortmeldungen im Thüringer Landtag zuzulassen
Hintergrund: In der Regel kann die größte Fraktion im Landtag einen Kandidaten oder eine Kandidatin für das Amt des Landtagspräsidenten vorschlagen. Die AfD hatte als stärkste Kraft bereits im Vorfeld ihre Abgeordnete Wiebke Muhsal nominiert. CDU und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) versuchen derweil, zu verhindern, dass die AfD als erwiesen rechtsextremistische Partei den ersten Vorschlag macht, über den dann abgestimmt werden muss. Die beiden Parteien wollten deshalb mit einem Antrag zur Geschäftsordnung das Verfahren ändern und erreichen, dass alle Fraktionen gleichberechtigt Vorschläge machen dürfen. Auch, um eine Hängepartie zu vermeiden – denn erst nach zwei ergebnislosen Wahldurchgängen könnten nach der bisherigen Geschäftsordnung auch die anderen Fraktionen ihre Kandidaten vorschlagen.
Doch AfD-Politiker Jürgen Treutler, der als ältester Abgeordneter des Landtags die Sitzung leiten durfte, weigerte sich über Stunden, eine Abstimmung über die Geschäftsordnung zuzulassen. Unter anderem der parlamentatische Geschäftsführer Andreas Bühl unterbrach den Alterspräsidenten immer wieder, nachdem dieser seine Wortmeldungen ignoriert hatte. Treutler berief sich darauf, dass er erst seine Eröffnungsrede zu Ende halten wolle.
Thüringen-CDU wendet sich an Verfassungsgericht: Anordnung gegen AfD-Mann?
Jetzt hat sich Bühl mit seiner Fraktion an das Landesverfassungsgericht in Weimar gewandt. Das Ziel: Mittels einer einstweiligen Anordnung des Gerichts soll Treutler dazu gebracht werden, die Abstimmung über den Änderungsantrag von CDU und BSW zuzulassen. Der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke warf den anderen Fraktionen in einem Beitrag auf X vor, „mit jeder parlamentatischen Kultur und jeder parlamentarischen Sitte“ gebrochen zu haben. AfD-Sympathisanten sehen Treutler als Opfer der anderen Parteien.
Philipp Austermann sieht das anders. Der Jurist ist Professor an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung und jetzt Prozessbevollmächtigter der CDU-Fraktion vor dem Verfassungsgericht. „Der Alterspräsident ist kein Opfer, sondern hat sich nicht an demokratische Gepflogenheiten gehalten“, sagt er im Gespräch mit IPPEN.MEDIA. Die Argumentation: Der Landtag ist beschlussfähig, sobald er zum ersten Mal zusammentritt. In der Geschäftsordnung ist klar geregelt, dass Treutler Bühl unverzüglich das Wort hätte erteilen müssen, damit dieser seinen Änderungsantrag vorbringen kann, was er aber vehement ablehnte.
Beobachter vermuten Strategie der AfD: So hätte Partei von Sperrminorität Gebrauch machen können
„Es gab keine andere Möglichkeit für die Abgeordneten, ihre Rechte zu wahren, als sich laut Gehör zu verschaffen“, so Austermann. Treutler sei auch nicht in seiner Eröffnungsrede unterbrochen worden. Erst, als der AfD-Mann über die Tagesordnung sprechen wollte, gab es Wortmeldungen. „Er hatte die Eröffnungsrede offensichtlich beendet, um zu geschäftsleitenden Erwägungen überzugehen.“
Beobachter vermuten dahinter eine klare Strategie. Denn wenn Treutler erst einmal bei den Tagesordnungspunkten angekommen wäre, hätten CDU und BSW ihren Antrag nur noch als neuen, zusätzlichen Tagesordnungspunkt einbringen können. Dazu hätte sie eine Zweidrittelmehrheit gebraucht – und hier hätte die AfD von der Sperrminorität Gebrauch machen und den Antrag verhindern können.
CDU würde stellvertretenden AfD-Landtagspräsidenten zulassen
Unterdessen machte Andreas Bühl klar, dass seine Fraktion einen stellvertretenden Landtagspräsidenten aus den Reihen der AfD zulassen würde. „Ich bin dafür, dass alle Fraktionen im Präsidium vertreten sind. Allerdings muss die Person des Amtes würdig sein“, sagte Bühl im Gespräch mit dieser Redaktion. Als verurteilte Betrügerin sei Wiebke Muhsal keine solche Person, so Bühl. Die AfD-Landtagsabgeordnete war 2017 wegen Betruges zu einer Geldstraße von 8000 Euro verurteilt worden. Laut Urteil hatte Muhsal einen Arbeitsvertrag mit einer Mitarbeiterin vordatiert, um zusätzliches Geld von der Landtagsverwaltung zu erhalten. Mit dem Geld finanzierte sie demnach Büroausstattung, Handy und Internetauftritt.
Eine Entscheidung des Thüringer Verfassungsgerichts wird noch am Freitag erwartet, am Samstag soll – so der Plan – die Sitzung im Thüringer Landtag fortgesetzt werden. Falls das Gericht gegen die AfD entscheidet, wäre das eine weitere Schlappe für die Partei nach mehreren Urteilen in diesem Jahr unter anderem gegen Björn Höcke.
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