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Chinas Außenpolitik im Jahr des Drachen
Zwischen China und Taiwan herrscht die Ruhe vor dem Sturm
In China beginnt das Jahr des Drachen. Es verheißt Glück und Wohlstand – für Taiwan aber nicht Gutes. Auch andere Krisenherde können kaum auf Peking zählen.
Keine neuen Handelsbeschränkungen, keine Militärübungen, und auch die Zahl der Kampfjets, die China täglich in die Nähe Taiwans schickt, hat sich nicht erhöht: Pekings Reaktion auf die Wahl des China-kritischen Lai Ching-te zum taiwanischen Präsidenten Mitte Januar fiel überraschend zurückhaltend aus. Doch der Frieden in der Taiwanstraße könnte sich noch als trügerisch erweisen. Das Jahr des Drachen, das am 10. Februar beginnt, dürfte stürmisch werden.
Denn Lai wird erst Mitte Mai vereidigt, und Analysten wie Sheu Jyh-Shyang vom Institute for National Defense and Security Research in der taiwanischen Hauptstadt Taipeh glauben, dass China dann doch noch härter reagieren könnte. „Man wird mehr Zwangsmaßnahmen sehen, etwa Sanktionen gegen die taiwanische Wirtschaft“, sagt Sheu. „Außerdem diplomatische und militärische Drohungen. Wahrscheinlich keine bewaffneten Aktionen, aber verschiedene ‚Grauzonen-Aktivitäten‘“ – also militärische Manöver, die nicht ganz so weit gehen wie ein direkter Angriff auf die von Peking beanspruchte Inselrepublik. China, so Sheu, werde weiter austesten, wo die roten Linien der Taiwaner und ihres engsten Verbündeten, der US-Regierung, liegen.
Von Lai selbst erwartet der Analyst vor allem ein Weiter-so: Der künftige Präsident Taiwans werde die Linie von Amtsinhaberin Tsai Ing-wen fortführen, sich also für eine größere Eigenständigkeit Taiwans von China einsetzen, und sich gleichzeitig gesprächsbereit geben. „Unsere Tür wird immer offen sein für eine Zusammenarbeit mit Peking nach den Grundsätzen der Gleichheit und Würde“, hatte Lai im Wahlkampf angekündigt. Ob Peking nach acht Jahren Funkstille das Gesprächsangebot annimmt, wird sich zeigen.
China und der Ukraine-Krieg: Freundschaft mit Russland steht im Vordergrund
Auch Chinas Verhalten in anderen Weltkrisen wird in den kommenden Monaten unter Beobachtung stehen. Etwa die Rolle Pekings im Ukraine-Krieg. China habe sich „aktiv für einen Waffenstillstand und für Friedensgespräche über die Ukraine-Krise eingesetzt“, tönte Ende Januar Wang Yi, Chinas oberster Außenpolitiker, auf einem Neujahrsempfang für Diplomaten. Was freilich nur die halbe Wahrheit ist. Denn noch immer spricht China nicht von einem „Krieg“, noch immer hat es den russischen Einmarsch in das Nachbarland nicht verurteilt. Peking hofiert Wladimir Putin und zeigt Wolodymyr Selenskyj die kalte Schulter. Ein ehrlicher Makler sieht anders aus.
Gleichzeitig verkündete Wang, sein Land werde die Zusammenarbeit mit Russland „weiter stärken“. Vor 75 Jahren, im Gründungsjahr der Volksrepublik, nahmen das kommunistische China und die damalige Sowjetunion diplomatische Beziehungen miteinander auf. Man darf davon ausgehen, dass 2024 ein Jahr der chinesisch-russischen Freundschaft wird. Der Handel zwischen beiden Ländern, der 2023 mit rund 240 Milliarden US-Dollar bereits Rekordhöhen erklommen hat, dürfte wachsen, ebenso die Zusammenarbeit etwa in den Vereinten Nationen. Wenn dabei auch noch die USA geschwächt werden: umso besser für Peking. Das Nachsehen hat die Ukraine.
Krieg in Israel und Gaza: China will zu „Frieden und Ruhe im Nahen Osten beitragen“
Auch in Nahost dürfte es bei Lippenbekenntnissen bleiben. Zwar hat Staats- und Parteichef Xi Jinping bereits in der Vergangenheit das großspurige Versprechen abgegeben, dass „die chinesische Weisheit zur Förderung von Frieden und Ruhe im Nahen Osten beitragen“ werde. Zu sehen ist davon allerdings nicht viel. Peking vermeidet es bislang, den Hamas-Terror zu verurteilen; stattdessen kritisiert die Parteiführung einseitig das Vorgehen der Israelis im Gazastreifen, während sich in den sozialen Netzwerken ungehindert antisemitische Verschwörungserzählungen ausbreiten, die bisweilen sogar von staatlichen Medien aufgegriffen werden.
Und mit dem Iran, jenem Land also, das den jüdischen Staat von der Landkarte wegwischen will, treibt China fleißig Handel. So haben sich chinesische Investitionen in das Land einem Bericht zufolge innerhalb eines Jahres verzehnfacht, zudem bezieht China rund ein Zehntel seines Rohöls von den Mullahs. Das erklärt auch, warum Peking die USA lautstark für ihre Angriffe auf die von Teheran unterstützten Huthis kritisiert, anstatt sich an der Militäroperation zu beteiligen. Dabei leidet auch China unter den Attacken der Terroristen auf Handelsschiffe im Roten Meer. „Je mehr sich die internationale Lage in Aufruhr befindet, desto mehr sind die Großmächte in der Verantwortung, sich in dieselbe Richtung zu bewegen“, fordert Außenpolitiker Wang Yi. Bislang aber belässt es China bei Worten.
China könnte im März einen neuen Außenminister bekommen
Im März, wenn Chinas Abnickparlament das nächste Mal tagt, könnte das Land einen neuen Außenminister bekommen. Als Favorit gilt Liu Jianchao, ein altgedienter Diplomat. Er könnte schon im März auf Wang Yi folgen, der das Amt von seinem geschassten und seitdem verschwundenen Vorgänger Qin Gang übernommen hatte und weiterhin oberster Außenpolitiker der Kommunistischen Partei bleiben dürfe. Liu gilt als leutselig und weltgewandt, er spricht fließend Englisch. Chinas Außenpolitik könnte also schon bald ein freundlicheres Gesicht zeigen. Wirkliche Macht aber wird Liu nicht besitzen. Wohin China steuert, bestimmt einzig und allein Parteichef Xi Jinping.